Regionalwahlen in Frankreich: Attacken werden zum Bumerang
Vor den Regionalwahlen Mitte März versuchte die Regierungspartei UMP, in der Hauptstadtregion ihre politischen Gegner mit Dreck zu bewerfen. Das ging nach hinten los.
Weil die Anwärter um ein Amt im antiken Rom eine strahlend weiße Toga (candida) trugen, heißen die Bewerber bei Wahlen "Kandidaten". Wie weiß muss deswegen ihre Weste sein? Die Versuchung ist groß, mit nicht immer ganz fairen Mitteln in der Vergangenheit oder im Privatleben der Gegner zu stöbern. Denn die Erfahrung lehrt, dass am Schluss immer etwas hängen bleibt.
Das hatte sich Francis Delattre so ausgerechnet, der bei den Regionalwahlen für die Regierungspartei UMP im Val-dOise bei Paris kandidiert. Sein lokaler Gegenspieler, der sozialistische Spitzenkandidat Ali Soumaré, ist ein junger Schwarzer aus dem Vorort Villiers-le-Bel, der bei den gewaltsamen Unruhen im November 2007 als Quartiersprecher und als Vermittler mit den Behörden in Erscheinung getreten war. Zunächst versuchte Delattre, wenig elegant, seinen Gegner zu diskreditieren, indem er in Anspielung auf dessen Hautfarbe und Aussehen spottete, Soumaré erinnere ihn mehr an einen Fußballspieler des Pariser Klubs PSG als an einen Politiker. Weil dies kaum ankam, fuhr er die schwere Artillerie auf. Dank diskreter Hinweise aus ihm nahestehenden Polizei- oder Justizkreisen dachte er, Ali Soumaré, 30, den politischen Gnadenstoß zu versetzen, indem er ihn als "abgebrühten, mehrfach vorbestraften Delinquenten" attackierte. Nicht weniger als fünf Mal habe er es mit der Justiz zu tun gehabt, so wegen Diebstahls und eines Raubüberfalls.
Das tönte zudem so plausibel: Denn in der Vorstellung so mancher Wähler ist ein junger Farbiger aus einem "heißen" Außenquartier der "Banlieue" ohnehin entweder ein Penner oder ein Dealer, allenfalls ein Rap-Musiker, der bloß gegen die Polizei und die herrschende Ordnung schimpft. Bei der UMP, die mit einem klaren Rückstand gegen die Sozialisten ins Wahlrennen steigt, rieb man sich schadenfreudig die Hände. Spürbare Verlegenheit machte sich auch bei Soumarés linken Parteifreunden breit. Hatte der in Villiers-le-Bel so populäre Kandidat ihnen mit einer kompromittierenden Vergangenheit ein Kuckucksei ins Nest gelegt?
Dieser war, wie die Staatsanwaltschaft berichtigte, als 20-Jähriger 1999 wegen eines Diebstahls tatsächlich zu mehreren Monaten Haft verurteilt worden. Laut französischem Recht ist dies aber verjährt, Soumaré gilt als rehabilitiert. Noch anhängig ist eine Klage wegen Rebellion gegen die Ordnungshüter und eine Anzeige wegen eines Verkehrsdelikts. In beiden Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Vor allem stellte die Justiz richtig, dass dieser Ali Soumaré mit dem Raubüberfall nichts zu tun hat, der von einem Namensvetter verübt wurde. Diese Verwechslung ist bezeichnend für das fragwürdige Vorgehen der UMP. Delattre hat ungeprüft Informationen veröffentlicht, die dem Amtsgeheimnis unterliegen und nicht publiziert werden durften. Der UMP ist die Affäre mit Bumerangeffekt nun peinlich. Unzufrieden ist auch Präsident Nicolas Sarkozy, er hat die Pariser Spitzenkandidatin, Hochschulministerin Valérie Pécresse, für Dienstag zu sich bestellt.
Soumaré hat nicht nur Klage eingereicht. Ein Parteikollege, Vincent Peillon, hat ebenso ungeniert wie Delattre "Jugendsünden" der Gegenseite ausgegraben und öffentlich einen alten Zeitungsartikel vorgelesen, in dem die Untaten eines derzeitigen Ministers und eines früheren Mitglieds in mehreren Rechtsregierungen beschrieben werden. Das sollte wohl eine Warnung vor einer möglichen Eskalation mit Indiskretionen sein. In einem Leitartikel warnte Le Monde die Kontrahenten vor einer solchen Schmutzkampagne und erinnerte sie an das Vorbild von General de Gaulle, der sich 1965 geweigert habe, kompromittierende Informationen über seinen Gegner François Mitterrand als "Stinkbomben" in der Wahlkampagne zu verwenden: "Wer sie wirft, riecht am Ende übler als jene, für die sie bestimmt waren."
In seiner Banlieue ist Soumaré jedenfalls keineswegs diskreditiert, im Gegenteil, seine Gegner haben dem Nachwuchspolitiker zusätzlich Bekanntheit verschafft. Vor allem die Jüngeren identifizieren sich mit ihm, weil sie aus eigener Erfahrung wissen, wie ihre Glaubwürdigkeit und legitimen Ansprüche permanent in Frage gestellt werden, erklärt der Soziologieprofessor Didier Lapeyronnie.
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