Regionalkrimi im ZDF: Noch so einer
Regionalkrimis sind die Superheldenfilme der Öffentlich-Rechtlichen. Im Sommerloch hat das ZDF nun „Mordkommission Königswinkel“ versteckt.
Die sechste und letzte Folge der besten deutschen Fernsehserie, „Kir Royal“: Baby hat seine eigene Klatschkolumne inzwischen selbst so satt, er wähnt sich längst mit großer Story auf dem Absprung vom Lokaljournalismus. Die Kolumne muss einstweilen weiterlaufen. Zu Sekretärin Edda: „Da hast die Gästeliste, die schreibst einfach ab!“ Im Jargon nennt man das „kalt schreiben“. Angeblich sind Lokaljournalisten (und Kritiker) dafür besonders anfällig.
„Man geht nicht hin, schreibt aber über die Veranstaltung, als hätte man sie besucht“, wird das „Kalt schreiben“ in dem Fernsehkrimi erklärt, den das ZDF am Montagabend mitten im Sommerloch aus dem Hut zaubert. Eine von drei Leichen ist Lokaljournalist, auch er wähnte sich mit großer Mafia-Story schon auf dem Absprung. Und behalf sich wie einst Baby: „Im Lokalteil wollen die Leute ihren Namen lesen. Und den richtig geschrieben. Der Rest ist zweitrangig.“
Der Franzose Pierre Bayard hat vor ein paar Jahren einen Buch-Bestseller gelandet: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“. Das müsste doch auch bei Filmen funktionieren. Jedenfalls dann, wenn sie so vorhersehbar aus einem leidlich bekannten Repertoire an Chargen und Motiven nach Schema F konstruiert sind wie „Mordkommission Königswinkel – Liebe bis über den Tod“ (Buch: Jürgen Werner, Regie: Thomas Nennstiel).
Da sind zum Beispiel die Amigo-Seilschaften, der Selbstläufer in Bayernkrimis. Und wenn man dann noch weiß, dass die von Lavinia Wilson gespielte Kommissarin Julia Bachleitner mit einem Landrat verheiratet ist und sich so einen phänotypischen Schmierlappen vorstellt – am besten residiert er in so einem Architektenhaus, denn im deutschen Fernsehkrimi ist moderne Architektur immer ein todsicheres Indiz –, dann ist der ganze Film eigentlich schon vor dem inneren Auge abgelaufen. Zumal wenn da im Titel schon „Mordkommission“ – oder alternativ „SOKO“ – steht und darauf der Name einer reizvollen Provinzgegend folgt, nicht zwingend aber vorzugsweise in Bayern oder Friesland.
Mo., 10.7., 20.15 Uhr, ZDF, „Mordkommission Königswinkel – Liebe bis über den Tod“; Regie:Thomas Nennstiel; DarstellerInnen: Lavinia Wilson, Vladimir Burlakov, Frederic Linkemann, Johannes Zirner, Thomas Unger, Hannes Jaenicke
Regionalkrimis sind die Superheldenfilme der Öffentlich-Rechtlichen. Es folgt immer noch einer. Regionalkrimi heißt Lokalkolorit – heißt Dialekt. Aber auf keinen Fall zu viel davon, sonst kommen wieder so viele Leserbriefe aus den 15 anderen Bundesländern. Die (etwa in diversen „Tatorten“) bewährte Lösung: Die Nebendarsteller sprechen Bayerisch, die Hauptdarsteller Hochdeutsch. Nicht dass die Schauspielerin Wilson, in München geboren und aufgewachsen, kein Bayerisch könnte – ihre Agenturseite weist es ausdrücklich aus. Auch der in Moskau geborene Vladimir Burlakov ist in München aufgewachsen. Er gehört neben Alina Levshin zu den aus Dominik Grafs Russenmafia-in-Berlin-Saga „Im Angesicht des Verbrechens“ hervorgegangenen Jungstars russischer (respektive ukrainischer) Herkunft. Burlakovs Präsenz veredelt aktuell zahlreiche Fernsehspiele. Ob vor drei Wochen ein „Mata Hari“-Biopic der ARD oder jetzt diese Krimischmonzette im ZDF.
Ein Cliffhanger! Ein Cliffhanger!
Der Sender droht übrigens, „Königswinkel“ seriell fortzusetzen. Da versteht es sich von selbst, dass die ach so ungleichen Ermittler als Duo wider Willen anfangen – sie sollen sich erst noch zusammenraufen. Es versteht sich auch, dass sie den Mörder am Ende finden. Dass es aber gleichwohl eines Cliffhangers bedarf. So viel hat man inzwischen von den amerikanischen Serienmachern gelernt.
Was sich nicht von selbst erklärt: Das Sommerloch ist bei den Öffentlich-Rechtlichen Wiederholungszeit, das Fernsehen muss halt mitmachen bei der Austeritätspolitik, aber warum werden da eigentlich immer nur die wenn auch noch so mäßigen Programme der vergangenen ein bis drei Jahre wiederholt? Und nicht die herausragenden Produktionen, das Best-of von wann auch immer? So eine 30 Jahre alte Serie hätte doch gerade den Vorzug, dass die Jüngeren sie noch nicht und manche Ältere sie nicht mehr kennen. Wie wär’s mit „Kir Royal“?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind