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Regionale Kunst-Schau in BremenFrühling im Gleisbett

Im Bremer Güterbahnhofs entfaltet sich das Schaffen regionaler Künstlern. Die Zusammenarbeit mit Galerien und Museen macht den "Kunstfrühling" trotz anfänglicher Berührungsängste zu einem seltenen Event.

Viele Künstler haben ihre Werke vor Ort entwickelt. Bild: Jochen Könnecke

BREMEN taz | Holprig sind die Wege zur Kunst. Schlechtes Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher und einen alten Bahnübergang muss man überwinden, will man zur derzeit größten Ansammlung zeitgenössischer Kunst in Norddeutschland gelangen. Doch dann ist man mitten im "Kunstfrühling". Er blüht in der riesigen Halle des alten Bremer Güterbahnhofs und vereint über 200 KünstlerInnen und 53 Museen, Kunstvereine und Galerien aus der "Metropolregion Bremen-Oldenburg" und Hannover.

Wer die vom Bremer Verband Bildender Künstler (BBK) organisierte Mega-Schau per Rad erkundet, profitiert von den alten Auffahrtsrampen. Aber angesichts der erwarteten 25.000 Besucher wird das wohl ein Mobilitäts-Privileg der Vorabbesucher bleiben.

Dass ein Unterfangen dieser Dimension nicht zwangsläufig den zweifelhaften Charme einer Messe verströmt, ist allein der Ortswahl zu verdanken: Unter dem angerotteten Sägezahndach des schon lang verlassenen Güterbahnhofs liegen Gedanken an die Art Cologne und ähnliche Hochglanzveranstaltungen angenehm fern.

Der BBK hat viel versucht, um der regionalen Kunstszene zu frischem Wind und unvoreingenommenen Blicken von außen zu verhelfen. Nicht nur die Jury ist eine auswärtige, auch die Kuratorinnen kommen aus Berlin. Ihr Hauptkriterium bei Auswahl und Platzierung der künstlerischen Positionen sei deren "erkennbare konsequente Linie" gewesen, sagt Rebeccah Blum, die im Hauptberuf an der renommierten Berliner Galerie Scheibler Mitte arbeitet. Was sie dann bei der Sichtung der auszustellenden Werke als deren gemeinsames Thema auszumachen meinte, nennt sie "Trauma - Die Phobie als Muse". Wobei dem "Trauma" der erste und der letzte Buchstabe weggeklammert werden … Doch das modische Wortspiel ist durchaus angemessen: Zwar sind etliche Arbeiten unabhängig vom Kunstfrühling entstanden, aber viele TeilnehmerInnen entwickelten ihre Beiträge tatsächlich vor Ort.

Die Aneignung dieses Ortes ist eine dankbare Aufgabe. Überall trifft man auf sich überlagernde Spuren früherer Nutzungen. Neben angerosteten Hinweisen zur Arbeitssicherheit findet sich viel Farbiges, von dem man oft nicht weiß: Ists ein Graffito oder Wandmalerei, die eigens für den Kunstfrühling entstand? Und der Turnschuh, der dort von der Decke baumelt - bei dem handelt es sich um die unfreiwillig installativ wirkende Hinterlassenschaft eines illegalen Einsteigers, der die Halle durchs Dach betreten wollte, stellt Ausstellungsleiter Wolfgang Zach vom BBK klar.

Sehr eindrucksvoll sind die geborstenen Backsteinwände, die an den Versuch des Regisseurs Hans Kresnik vor einigen Jahren erinnern, für seine "Amerika"-Inszenierung eines der alten Gleisbetten in ein riesiges Wasserbecken zu verwandeln. Damals ergossen sich 700.000 Liter Wasser in den alten Bahnhof und die angrenzenden Probenräume, weil die Theatertechniker von der Existenz von Betonmauern ausgingen. Noch immer liegen die Backsteinbrocken auf einer Länge von fast 200 Metern herum, gegenüber ließ die Bremerin Ina Raschke die Gleisbett-typischen Schottersteine einen Pfeiler hochfließen: Eine äußerst elegante Schotterwelle.

Folgt man den Kresnik-Trümmern, erreicht man irgendwann ein rot leuchtendes Tor, über dem Buchstaben prangen: "Es wird alles wieder gut." Das ist der Eingang zur "Künstlerplattform", in die 57 von 270 BewerberInnen einkuratiert wurden. Die Mischung dieses Entrees aus Heilsversprechen und Las-Vegas-artiger Vorhölle haben die Hannoveraner Lotte Lindner und Till Steinbrenner aufgebaut, die damit "die Ambivalenzen des Kunstbetriebs" symbolisieren wollen. Gleich hinter dem Tor wartet der nächste Knall-Effekt: Eine venezianische Gondel, deren Besatzung aus wild kostümierten Schaufensterpuppen mit gewaltigen Maschinengewehren in den Händen besteht.

Das Besondere des Bremer Kunstfrühlings liegt darin, dass hier Künstler, Galeristen und Museen gemeinsam ausstellen: "Das gibt es sonst nirgends", sagt Zach selbstbewusst. Allerdings muss der BBK immer wieder Überzeugungsarbeit leisten, um den Konkurrenzängsten unter den Galeristen entgegenzuwirken - wenn Künstler sich zunehmend selbst vermarkten, kann das für sie durchaus zum Problem werden. Einige alt gediente Galeristen und Museumsleiter lehnen ihre Teilnahme noch immer ab. Allerdings sind auch Solidarisierungseffekte zu beobachten: Viele der Transporte, die für einzelne Künstler oft ein logistisches Problem darstellen, übernehmen die Museen mit.

Eine eher unauffällige Auseinandersetzung mit dem Raum sucht Malte Schweiger. Der gelernte Tischler hat die Lichtflecken beobachtet und markiert, die durch die kleinen Löcher in der Hallendecke fallen. Seine unscheinbaren Kreise skizzieren den zeitlichen Rhythmus, in dem die Strahlen durch die Halle wandern. Piotr Rambowski wiederum hat sich angewöhnt, die Farbflecken auf dem Boden seines Ateliers zu porträtieren. Er macht aus ihnen Gesichter, eine anthromorphologische Anverwandlung, aus der bemerkenswert freundlich-bizarre Visagen entstehen. Angewandt auf den Güterbahnhof, findet diese Technik ein reiches Betätigungsfeld: Ein irgendwo vorgefundenes Zickzack-Gekrakel findet sich als Zahnreihe eines rundlich-frechen Gesichtes wieder.

Am hintersten Ende der Halle, direkt vor den seit vielen Jahren nicht mehr geöffneten gewaltigen Türflügeln, hat der Bremerhavener Ralph Hinz ein passendes Plätzchen gefunden. Er braucht Schummerlicht, da kommen ihm die Graffiti-gesättigten Fenster sehr entgegen, um seine Lichtkästen eindrucksvoll in Szene zu setzen: Sie zeigen eine Reihe unauffälliger Einfamilienhäuser, die sich durch eine sehr spezielle Gemeinsamkeit auszeichnen: In ihnen wurden Morde begangen. Zugleich verbindet sie die Tristesse charakterloser Fassaden und Vorgärten, vermutlich spielten sich dort Familiendramen ab. Man könnte es verstehen.

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