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Regierungsumbau in SyrienEs hängt an freien Wahlen

Serena Bilanceri
Kommentar von Serena Bilanceri

Die neue Regierung sendet positive Signale – aber es zeigt sich: Die Macht konzentriert sich beim Präsidenten und seinen Verbündeten.

Die einzige Ministerin, Hind Kabawat, und ihr Präsident (links), beim Amtseid Foto: Reuters / Khalil Ashawi

E ndlich ist es so weit: Syrien hat eine neue Übergangsregierung. Inklusiver als die bisherige sollte sie sein, da lastete der Druck auf Syriens neuem Präsidenten Ahmed al-Scharaa schwer. Vor allem nach den Massakern an den Ala­wi­t*in­nen wurden im In- und Ausland die Rufe laut, mehr Teilhabe am politischen Geschehen für alle Minderheiten des multikulturellen Landes zu garantieren.

Bislang regierten vor allem Ex-Funktionäre aus Idlib oder HTS-nahe Menschen Syrien. Inzwischen hat sich die einstige Terrorgruppe HTS von ihrer islamistischen Vergangenheit distanziert, doch besonders vielfältig war die bisherige Regierung nicht, sondern: männlich und sunnitisch. Teil der neuen Regierung sind nun eine Frau (eine Christin), ein Alawit, ein Druse und ein Kurde – zusammen mit Technokraten und Vertretern der Zivilgesellschaft. Das ist zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung.

Gleichzeitig bleiben mehrere Fragen offen. Fast die Hälfte der Sy­re­r*in­nen ist weiblich – doch nur eine von 23 Ministern ist eine Frau. In der neuen Regierung sind Ex-Mitglieder der Regierung aus Idlib und der Assad-Ära, doch keine Ver­tre­te­r*in­nen der kurdischen Verwaltung im Nordosten. Nach dem Abkommen zwischen dem einstigen Rebellenbündnis SDF und al-Scharaa könnte dies eine zwielichtige Botschaft senden.

Auch wird klar, dass die Macht für die nächsten fünf Jahre fest in den Händen des Präsidenten, der die Regierung leitet, und seiner Verbündeten bleibt. Anas Khattab, der auf der US-Terrorliste stand, ist jetzt Innenminister. Das Außenministerium bleibt bei Asaad al-Schibani und die Verteidigung bei HTS-Kommandant Murhaf Abu Qasra. Auch wird die Justiz islamischer geprägt, mit der Scharia als Gesetzesgrundlage.

Noch ist es aber zu früh, um daraus die künftige Richtung des Landes abzulesen. Vieles, wenn nicht alles, wird davon abhängen, wie ernst es die neuen Machthaber mit der politischen Beteiligung von Frauen, Minderheiten und Andersdenkenden meinen. Und nicht zuletzt davon, ob und wann endlich freie Wahlen stattfinden werden.

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Serena Bilanceri
Autorin
Freie Auslandskorrespondentin für Jordanien und den Nahen Osten. Jahrgang 1983, lebt in Bremen und Amman. 2020 erhielt sie ein IJP-Stipendium. Seitdem berichtet sie u.a. über soziale Themen, Menschenrechte und Politik in Nahost. Geboren in Pisa, hat sie in Deutschland, Spanien, Großbritannien und Italien studiert.
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3 Kommentare

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  • Ich denke, hier muss realistisches Erwartungsmanagement betrieben werden. Eine Regierung, die aus einer islamischen Miliz hervorgegangen ist, wird nicht plötzlich eine säkulare Gesellschaftsordnung nach westeuropäischem Vorbild schaffen. Das entspricht auch gar nicht den Vorstellungen der Bevölkerung. Die deutsche Außenpolitik wäre gut beraten, hier pragmatische Ziele zu wählen und Wege zu finden, progressive Politik zu fördern, die sowohl für Regierung als auch Bevölkerung tragbar sind.



    Leider beobachte ich in den deutschen Medien seit dem Sturz Assads die Neigung, die neuen Regierenden überwiegend positiv zu beleuchten. Ich vermute zum einen, dass die Niederlage Assads als Sieg für den Westen und seine Werte ausgelegt werden will, zum anderen, dass ein vermeintlich stabiles Syrien eine Grundlage für mehr Abschiebungen bieten würde.

    • @KishonLamar:

      Gute Punkte! Eben war noch ein Kopfgeld von 10 Millionen auf den (wie lange) Übergangspräsidenten ausgesetzt, dann ein Treffen, schon wird umdekoriert.

  • Fünf Jahre sind eine lange Zeit, bei all den ( globalen ) Verwerfungen. Und nur eine Frau in der Regierung, das spricht auch eine deutliche Sprache. Ein schwaches Bild!