Regierungskrise: Zweckehe statt Traumpaar
CDU und GAL gehen nach gut zwei Jahren zunehmend auf Distanz zu einander. Hält das einstige Modellbündnis noch bis zu seinem planmäßigen Ende durch?
Die Szene sprach Bände: Als GAL-Fraktionschef Jens Kerstan am vergangenen Mittwoch in der Bürgerschaft mit HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher abrechnete, zollte auf Seiten des Koalitionspartners CDU niemand auch nur höflichen Beifall. Applaus bekam Kerstan trotzdem: Seit an Seit beklatschten Sozis, Linke und Grüne Kerstans Attacken. Ein Ausblick auf die Zukunft?
Vorbei ist es mit der schwarz-grünen Harmonie. Seit Oktober gehen die Partner des Modellversuchs mit bundespolitischer Bedeutung zunehmend auf Distanz zu einander. Passte bis zum Sommer kein Blatt zwischen die beiden Koalitionspartner, so kann man heute locker eine zwanzigbändige Enzyklopädie zwischen Schwarz und Grün platzieren.
Zwar regiert man offiziell noch zusammen, doch in der Praxis macht jeder der beiden Koalitionäre längst, was er will. Beispiele für das geräuschvolle Neben- und Gegeneinander der vergangenen Wochen: Zuerst setzte sich die CDU mit ihrem Altonaer Papier von der bisherigen schwarz-grünen Schulpolitik ab. Anfang Oktober stellte die GAL-Parteichefin Katharina Fegebank öffentlich die Bündnisfrage: Ohne Koalitionsaussage, verkündete sie überraschend früh, wolle die GAL in die nächste Bürgerschaftswahl ziehen. Auch die CDU, teilte der Parteivorsitzende Frank Schira postwendend mit, werde im nächsten Wahlkampf nicht unbedingt für die Fortsetzung der schwarz-grünen Liaison werben.
Aus dem einstigen Traumhochzeits-Paar des Hamburger Bürgertums ist eine Zweckehe geworden, in der sich die Alleingänge mehren. Ob Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) sich um den ehemaligen Kohl-Berater Andreas Fritzenkötter zunächst als Medienkoordinator der Hansestadt bemühte und ihn nach Grünen-Protesten am gestrigen Freitag lediglich zum persönlichen Image-Berater ernannte; ob Frank Schira markige Worte zum Thema Integration absonderte oder Justizsenator Till Steffen (GAL) in der Justizministerkonferenz einen Vorstoß für das Adoptionsrecht für schwule Paare ritt - stets stand der Koalitionspartner erst kopfschüttelnd daneben und ging dann auf Gegenkurs.
Am vergangenen Wochenende eskalierte die Situation beim Thema HSH Nordbank, als Kerstan der CDU die Pistole auf die Brust setzte; verkündete, alles andere als einen Rauswurf Nonnenmachers innerhalb von zwei Tagen werde seine Partei nicht akzeptieren. Ahlhaus reagierte verschnupft, im eilig einberufenen Koalitionsausschuss gab es laute Worte - der Beifalls-Boykott für Kerstan am Mittwoch war nur das stille Echo auf diesen Konflikt.
Schon wird eifrig gewettet, wie lange die schwarz-grüne Koalition noch hält; ob sie ihr planmäßiges Ende im Frühjahr 2012 erlebt. Sichtbar sind die Risse zwischen CDU und GAL seit der verlorenen Volksabstimmung über die Schulreform und dem gleichzeitigen Abgang des Schirmherren der schwarz-grünen Koalition, Ole von Beust. Stand bis Juli für CDU und GAL die Frage im Vordergrund, was jeder Partner zum Gelingen des Bündnisses beitragen kann, ruht seitdem bei beiden Parteien der Fokus auf der Frage: Wie kommen wir hier möglichst schadlos wieder raus?
Es sind verschiedene Faktoren, die zur Abkühlung des schwarz-grünen Verhältnisses beitragen. Gebeutelt werden beide Parteien von miesen Umfrageergebnissen, die zeigen, dass es für Schwarz-Grün in Zukunft vermutlich nicht mehr reichen wird. Die CDU, die zwischen 30 und 35 Prozent dahin dümpelt, zieht daraus den Schluss, sie müsse das eigene, das konservative Profil wieder schärfen - und das geht am besten in Abgrenzung zum Koalitionspartner.
Die GAL, die in der einstigen Wahlhochburg der Grünen gerade noch bei zehn bis zwölf Prozent steht, während die bundesweiten Umfragen der Ökopartei genau das doppelte verheißen, geht da keinen anderen Weg. Zudem sind die Grünen über einige Personalentscheidungen von Ahlhaus verärgert, empfinden die von der CDU gestellten Senatoren als "letztes Aufgebot".
Weder Finanzsenator Carsten Frigge, der über frühere Tätigkeiten allzu stark mit der HSHNordbank und deren Aufsichtsrats-Chef Hilmar Kopper verwoben scheint und gegen den die Mainzer Staatsanwaltschaft unter Hochdruck wegen des Verdachts der Beihilfe zur Untreue ermittelt, noch Kultursenator Reinhard Stuth, der in der Debatte um die Schließung des Altonaer Museums eine denkbar schlechte Figur abgab, gelten vielen Grünen noch als tragbar.
Komplettiert wird das - in den Augen der Grünen - Gruselkabinett durch den mitunter orientierungslos wirkenden Wirtschaftssenator Ian Karan, der in seinem eigenen Lebenslauf Dichtung und Wahrheit nicht unterscheiden kann; zu spät zu Terminen erscheint, weil er sich noch immer in seiner Behörde verirrt und schließlich - am vergangenen Mittwoch - in der Bürgerschaft ganz unbeirrt eine Rede zum völlig falschen Thema hielt, bis er vom Präsidium darauf aufmerksam gemacht wurde.
Gerade für die GAL spielen auch bundespolitische Gesichtspunkte eine zentrale Rolle: Seit der von Schwarz-Gelb durchgesetzten Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke feiert die alte Lagerbildung - hier CDU und FDP, dort SPD, Grüne und mittlerweile auch Linke - ein Comeback. Da ist es schädlich, wenn in Hamburg Union und Grüne einträchtig kuscheln.
Wer deshalb aber schon die Tage von Schwarz-Grün zählt, der könnte sich verrechnen. Zwar wirkt, nachdem die Koalition zwei Jahre lang durch ein hervorragendes Politikmanagement wie geschmiert funktionierte, der derzeitige Zustand desaströs, doch ist das Bündnis gerade mal in der Normalität angekommen. Auch Rot-Grün war in Hamburg eine Koalition der Dauerkrise, des Beharkens und der Alleingänge - und hielt dennoch bis zum Schluss. Das einst wohltemperierte schwarz-grüne Koalitionsklima ist zwar merklich abgekühlt, vielleicht gar unterkühlt, aber längst nicht eisig.
Dagegen, dass die Ehe allzu schnell zerbricht, spricht, dass beide Partner noch Zeit brauchen, um Erfolg versprechend in den nächsten Wahlkampf zu starten. Vor allem Christoph Ahlhaus ist dankbar für jeden Monat, der ihm bleibt, Profil zu gewinnen, in die Rolle des Bürgermeisters hineinzuwachsen und aus dem Schatten Ole von Beusts herauszutreten. Die GAL hingegen braucht nach Moorburg-Murks und Schulreform-Scheitern dringend noch einen Erfolg, um ihren Wählern unter die Augen treten können - zum Beispiel den ersten Spatenstich für die Stadtbahn.
Und: Auch im Bund sind - trotz Atomkonflikt - CDU und Grüne weiter daran interessiert, dass die schwarz-grüne Regierungsoption in Hamburg nicht verbrannt wird, beide Parteien wollen sich diese zusätzliche Möglichkeit zum Machterwerb in dem unübersichtlich gewordenen Fünf-Parteien-System grundsätzlich erhalten. Genügend Gründe, sich gemeinsam über die gesamte Legislaturperiode zu quälen.
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