piwik no script img

Regierungskrise in SchwedenSchwedens Regierung gestürzt

Die rot-grüne Regierung um Ministerpräsident Stefan Löfven verliert ein Misstrauensvotum. Hintergrund ist Streit um eine Mietrechtsreform.

Schwedens Ministerpräsident Stefan Lofven nach dem Misstrauensvotum am Montag in Stockholm Foto: tt news/reuters

Stockholm taz | Schwedens rot-grüne Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Stefan Löfven ist am Ende. Am Montag stimmte eine Reichstagsmehrheit von 181 der 349 Abgeordneten für ein Misstrauensvotum gegen den Regierungschef. Löfven hat nun eine Woche Zeit, sich zu entscheiden, ob er zurücktritt oder selbst Neuwahlen ausschreibt.

Damit ist eine Regierung gescheitert, die angesichts der schwedischen Tradition von Blockregierungen von Beginn an als „unmöglich“ galt. Geschuldet war das einem Wahlergebnis, bei dem die Schwedendemokraten drittstärkste Partei geworden waren und eine Mehrheit für die üblichen Rechts- bzw. Linksbündnisse blockierten. Die Lösung war deshalb eine „Ampel“ der besonderen Art. Formal hat Schweden seither eine rot-grüne Regierung, die sich aber über ein Regierungsabkommen die parlamentarische Unterstützung durch „gelb“, zwei liberale Parteien, sicherte.

Für eine Mehrheit reichte es aber auch nur unter zwei Bedingungen, die die Linkspartei stellte: Keine einschneidenden Änderungen im Arbeits- und im Mietrecht. Würde dagegen verstoßen werden, werde die Partei mit einem Misstrauensvotum reagieren, hieß es.

Doch gerade zu „Reformen“ in diesen beiden Bereichen hatte Löfven sich im Regierungsabkommen gegenüber den liberalen Parteien verpflichtet. Offenbar vertraute er einfach darauf, dass die Linkspartei ihre Drohung schon nicht wahrmachen werde. Anfang Juni wurde der Vorschlag zu einer Mietrechtsänderung präsentiert, auf den die neue Linkspartei-Vorsitzende Nooshi Dadgostar nach einer Fristsetzung mit dem Misstrauensantrag reagierte. Konservative, Christdemokraten und Schwedendemokraten schlossen sich dem an. Die parlamentarische Mehrheit gegen Löfven war damit da.

Um was es in der Sache geht: Ein Gesetzesentwurf ist in Arbeit, der für neugebaute Mietwohnungen „Marktmieten“ möglich machen will, also eine Festlegung der Miete allein durch den Vermieter. Das gibt es in Schweden bislang nicht. Ähnlich wie Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, geschieht das für die Festlegung der Kriterien für die Miethöhen bei jährlichen Verhandlungen zwischen den Verbänden der Immobilieneigentümer und einer Art Mietergewerkschaft. In der Praxis hat dieses Modell die Wirkung einer institutionalisierten Mietpreisbremse und gilt als wichtiger Pfeiler der Sozialpolititik.

Paradox dabei: Ebenso wie die Linkspartei sind auch die rot-grünen Regierungsparteien in ihrer klaren Mehrheit gegen die Möglichkeit der Einführung von Marktmieten. Laut einer aktuellen Umfrage lehnen 97 Prozent der sozialdemokratischen und 93 Prozent der grünen WählerInnen die Demontage des geltenden Mietrechtsmodells ab.

Auch wenn Ministerpräsident Löfven der Linkspartei „Unverantwortlichkeit“ vorwarf, weil sie das Land „angesichts einer immer noch herrschenden Coronapandemie in eine politische Krise gestürzt hat“, begrüßten prominente Vertreter der Sozialdemokraten das Vorgehen der Linken: Das eigentliche Problem der Regierung Löfven sei nämlich deren Bereitschaft gewesen, sich von den Liberalen zu solchen Zugeständnissen drängen zu lassen. Wobei man allerdings nicht vergessen darf, dass der von Löfven gemachte Schritt über die Blockgrenzen hinweg hin zur Einbindung der Liberalen erst nach mehreren vergeblichen Anläufen zu einer Regierungsbildung zustande kam.

Wie wird es weitergehen in Schweden? Eines hat sich gegenüber 2018 geändert. Konservative und Christdemokraten haben ihre bisherige Linie verlassen und sind nun zur Bildung einer von den rassistischen Schwedendemokraten abhängigen Regierung bereit. Eine klare Mehrheit für ein derartiges Rechtsbündnis gibt es laut aktueller Umfragen derzeit aber ebensowenig wie für eine neue Ampel-Lösung.

Eine Neuwahl ist laut der schwedischen Verfassung eine „Extrawahl“. Es wird keine neue Legislaturperiode in Gang gesetzt, die ursprüngliche läuft weiter. Weshalb es also im September 2022 zur regulären Parlamentswahl kommen wird und eine neue Regierung damit allenfalls ein Jahr im Amt wäre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!