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Regierungsbildung in IsraelNetanjahus Riesenkabinett

Israels Regierung trotzt der Krise: Um die Koalition zusammenzuhalten, sitzen im neuem Kabinett 37 Minister. Die öffentliche Kritik an der inflationären Postenvergabe wächst.

Freigiebig mit Ministerposten: Benjamin Netanjahu. Bild: dpa

JERUSALEM taz Likud-Chef Benjamin Netanjahu startet seine zweite Runde als israelischer Premierminister mit einem aufgeblasenen Kabinett. 30 Minister, darunter fünf ohne definierten Aufgabenbereich, plus sieben Vizeminister umfasst die künftige Regierung in Jerusalem. Ohne die großzügige Postenvergabe an seine Partner wäre Netanjahu die Bildung der Koalition nicht gelungen.

Rund 9 Millionen Schekel (ca. 1,5 Mio Euro) kostet ein Minister den Steuerzahler im Jahr. Die auflagenstärkste Zeitung Jediot Ahronot rechnete ihren Lesern am Dienstag vor, wie viele warme Mahlzeiten von diesem Geld gekauft werden könnten, oder "2.250 Computer für Schulkinder oder 1.500 kugelsichere Westen für die Soldaten". Ab einer bestimmten Anzahl von Ministern "wird eine Regierung regierungsunfähig", kommentierte Nachum Barnea im selben Blatt. "Das ist wie eine Inflation. Es gibt immer mehr Geld und das wird immer weniger Wert."

Die Größe der Regierung macht sich nicht gut in den Augen der Öffentlichkeit, gerade jetzt, wo alle den Gürtel enger schnallen müssen. Die Wirtschaftskrise, die mit Verspätung doch noch mit voller Wucht Israel erreichte, zwingt Netanjahu, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen.

Das Tauziehen um die Posten dauerte bis wenige Stunden vor der Vereidigung der neuen Minister. Netanjahus Parteifreund Silvan Schalom ließ ein geplantes Treffen mit seinem Chef platzen. Schalom, ehemals Außenminister, war enttäuscht, dass ihm die Rückkehr in sein altes Amt verwehrt wurde. Außenminister wird der streitbare Avigdor Lieberman von der rechts-nationalen Partei Israel Beteinu, es sei denn, die derzeit wegen Betrug und Geldwäscherei gegen ihn laufende polizeiliche Untersuchung führt zu einer Anklage. Auch dann soll das Amt in den Händen der Rechtsnationalen bleiben, die sonst die Koalition verlassen wollen.

74 Mandate von 120 umfasst Israels neue Regierung. Neben Likud und Israel Beteinu ist die Arbeitspartei als drittgrößte Fraktion in der Koalition vertreten sowie die orientalisch-orthodoxe Schass, die national-orthodoxe Beit HaJehudi und die ultraorthodoxen der Fraktion Judentum und Thora - für keine der Parteien ideal. Am schlimmsten betrogen fühlen sich die Wähler der Arbeitspartei nach dem Einzug ihrer Führungspolitiker in die Rechtsregierung.

Sogar der ehemalige Präsident der Ben-Gurion-Universität, Avishai Braverman (Arbeitspartei), willigte schließlich ein, Minister ohne Aufgabenbereich zu werden. Noch vergangene Woche hatte Braverman den Zentralrat seiner Partei zum Votum gegen die Koalition zu überzeugen versucht. "Unser politischer Zickzack hat uns zahlreiche Mandate gekostet", meinte er. Die Partei habe ihren historischen Weg verloren und sei "in eine Identitätskrise geraten". Er warnte, für die künftige Regierung "nicht als Feigenblatt herzuhalten".

Neben der Wirtschaftskrise steht akut die Frage eines Geiselaustauschs auf der Agenda der neuen Regierung. Sie wird wie ihre Vorgängerin unter großem Druck der Öffentlichkeit stehen, eine Freilassung des seit knapp drei Jahren in Gaza festgehaltenen Soldaten Gilad Schalit auszuhandeln. Jediot Ahronot zitierte gestern "hohe Hamas-Vertreter" in Gaza, die davon ausgehen, dass "es in den Amtsjahren Netanjahus keine Fortschritte in der Schalit-Sache geben wird". Auch Syriens Präsident Baschar Assad kommentierte diese Woche: "Es ist ganz egal, ob in Israel eine rechte, eine linke oder eine Regierung der Mitte an der Macht ist", sagte er im Verlauf des Gipfeltreffens der Arabischen Liga, denn das israelische "Volk ist ohnehin nicht reif für den Frieden".

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1 Kommentar

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  • L
    Laluna

    Bei Leuten wie Herrn B. N. wirkt sicher das menschlich weitgehend angeborene sogenannte Kindchen-Schema der Wahrnehmung, das ihrem Erfolg nutzt, weil es sie so schön nett aussehen lässt. Das Phänomen gibt es aber nicht nur in der Politik, sondern auch im Alltag: Schönheit (bzw. was die Mehrheit dafür hält) ist wichtiger, als Kompetenz, zumindest gibt's da sowas wie unbewusste Bonuspunkte.