Regierungsbildung in Griechenland: Griechen wählen Chaos
Die Wähler entziehen den Volksparteien das Vertrauen. Die Sieger können nicht miteinander, die Regierungsbildung kann dauern. Und wird vermutlich scheitern.
ATHEN taz | Es ist ein politisches Erdbeben ohnegleichen: Die Traditionsparteien, die konservative Nea Dimokratia (ND) und die sozialistische Pasok stürzen ab, während das radikale Linksbündnis stärkste Oppositionskraft wird und die Neonazis erstmals den Sprung ins griechische Parlament schaffen.
Fast 40 Jahre lang war Griechenland von den beiden Volksparteien ND und Pasok geprägt, die sich bei der Regierung untereinander abwechselten, ihre Anhänger mit reichlich Pfründen bedachten und den Staatsschulden wenig Beachtung schenkten. Diese Ära ist seit dem Sonntag endgültig vorbei. Beide erreichten zusammen nur noch 32 Prozent der Stimmen. Das langt nicht einmal für eine Fortsetzung der großen Koalition.
Am Montagnachmittag ging der Auftrag zur Regierungsbildung zunächst an den konservativen Antonis Samaras. Er hat drei Tage Zeit, um Möglichkeiten zur Bildung einer Koalition auszuloten, und will mit allen Parteien sprechen, außer den Rechtsradikalen. Die Chancen stehen schlecht.
Eine Schlüsselrolle könnte der rechtspopulistischen Partei „Unabhängige Griechen“ zukommen. Sie wurde im Februar von konservativen Abweichlern gegründet, nachdem Samaras auf Druck europäischer Schwesterparteien eine politische Kehrtwende vollzog und für den umstrittenen Sparkurs im griechischen Parlament stimmen ließ. Auf Anhieb erreichten die „Unabhängigen Griechen“ 10 Prozent der Stimmen. Samaras lässt verlauten, er würde alles tun, um die verloren gegangenen Söhne zurückzuholen, doch deren Chef Kammenos erklärte bereits, er würde „nicht einmal tot“ mit seinem ehemaligen Parteivorsitzenden Samaras zusammenarbeiten.
Radikale Linke könnte beauftragt werden
Sollte den Konservativen kein Durchbruch gelingen, dann müsste der Staatspräsident laut Verfassung die zweitstärkste Parlamentsfraktion mit der Regierungsbildung beauftragen, nämlich das „Bündnis der radikalen Linken“ (Syriza). Parteichef Alexis Tsipras meinte, er sähe nicht ein, warum er auf ein „Instrument der parlamentarischen Demokratie verzichten sollte“, das ihm zustünde. Viele Möglichkeiten hat Tsipras nicht: Die orthodoxe Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hat ein Verhandlungsangebot schon zurückgewiesen, und der gemäßigte Fotis Kouvelis, Chef der europafreundlichen „Demokratischen Linken“, betrachtet jedes gedruckte oder gesendete Wort von Tsipras mit Argusaugen.
Als letzter Kandidat für einen Sondierungsauftrag stünde der Vorsitzende der drittgrößten Fraktion zur Verfügung, nämlich Sozialistenchef Evangelos Venizelos. Schon am Wahlabend plädierte der ehemalige Finanzminister für eine Koalition aller proeuropäischen Kräfte, die Griechenland aus der Krise führen sollte. Aber auch für ihn gäbe es keinen Vertrauensbonus bei den Linksparteien.
Wird keiner fündig auf der Suche nach Koalitionspartnern, dann finden Neuwahlen statt. Immer mehr Kommentatoren glauben zu wissen, daran führe wohl kein Weg vorbei. Als möglicher Wahltermin sei der 17. Juni im Gespräch. Dass bis dahin wichtige Europa-Termine anstehen, scheint derzeit niemanden groß zu interessieren. Nach griechischen Medienberichten hat der Staat nur noch bis Mitte Juli Geld, dann wäre das Land pleite. Die aus EU, EZB und IWF bestehende Troika hat verlauten lassen, dass sie nicht nach Griechenland kommt, bevor eine handlungsfähige Regierung vereidigt wird. Das kann dauern.
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