Regierungsbildung in Finnland: Orpos Rechtskoalition steht
Nach der Abwahl von Sanna Marin steht in Finnland nach zähen Verhandlungen eine Vierer-Koalition. Auch die rechten Wahren Finnen sind dabei.
Dass Orpo wahrscheinlich Regierungschef werden würde, stand praktisch schon fest, als am Wahlabend des 2. April die Stimmen ausgezählt waren. Als Vorsitzender der Wahlsiegerin, seiner Sammlungspartei, blieb ihm allerdings die Alternative, statt mit den zweitplazierten Wahren Finnen lieber mit den drittplatzierten Sozialdemokraten eine Regierung zu bilden. Er entschied sich für die Rechtspopulisten.
Für eine parlamentarische Mehrheit brauchte er aber zusätzlich die Stimmen von zwei Vier-Prozent-Parteien, der Schwedischen Volkspartei und den Christdemokraten.
Bei den nun zu Ende gegangenen Verhandlungen wurden sich die drei Parteien aus dem rechten Parteienspektrum in den meisten Fragen schnell einig. Differenzen gab es mehrfach mit der liberalen Volkspartei, die vor allem die schwedische Minderheit im Lande repräsentiert. Zwischen Henrikssons Partei und den Wahren Finnen hakte es vor allem in der Migrations- und der Klimapolitik. Wiederholt drohten die Verhandlungen zu scheitern.
Neue Alkohol-Regeln
Bei der Volkspartei gab es von vornherein starke Skepsis gegenüber einer Beteiligung an einer Regierung mit den Wahren Finnen. In der vergangenen Legislaturperiode war die Volkspartei noch Teil der „Frauenregierung“ unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Sanna Marin gewesen. Jetzt wechselt sie von einer Koalition, die bis zum Links-Außen-Flügel der finnischen Parteienlandschaft gereicht hatte, zu einer, die bis zum äußeren rechten Flügel reicht.
Das Regierungsprogramm ist noch nicht veröffentlicht worden, es soll erst noch redigiert werden. Schwerpunkte wurden aber bekannt. So haben sich die Wahren Finnen mit einer Verschärfung der Migrationspolitik ebenso durchgesetzt wie mit einer Aufweichung der Klimapolitik: Die soll Privathaushalte und Firmen finanziell weniger belasten als bislang geplant, beispielsweise soll der Benzinpreis sinken.
Außerdem soll trotz der Tatsache, dass Amnesty International gerade diese Woche die stetigen Qualitätsverschlechterungen im Gesundheitssektor kritisiert hat, das Sozialbudget gekürzt werden. Und es gibt eine Änderung, die den Alltag der FinnInnen direkt betrifft: Die Alkoholpolitik soll weiter dereguliert werden. Statt nur in den staatlichen „Alko“-Monopolläden sollen Getränke mit einem Alkoholgehalt bis zu 8 Prozent in Zukunft auch in Lebensmittelgeschäften verkauft werden dürfen. Bislang lag die Obergrenze bei 5,5 Prozent.
Wie geht es weiter? Über das Regierungsprogramm und die personelle Zusammensetzung des Kabinetts sollen nun die vier Parteien und deren Fraktionen beraten und ein Votum abgeben. Fällt das – wie erwartet – positiv aus, soll voraussichtlich Ende Juni im Reichstag über den neuen Regierungschef und die künftige Regierung abgestimmt werden. Orpos Koalition könnte auf 109 der 200 Parlamentsmandate zählen.
Und was halten die anderen „Ehepartner“ von Henrikssons Sorge, dass dies keine glückliche Regierungsehe wird? Petteri Orpo ist natürlich wenig geschmeichelt: „Ich hoffe, es gibt in Zukunft positivere Kommentare. Wenn es schon keine Liebesehe wird, dann vielleicht eine Vernunftehe.“ Es sei ja die „gemeinsame Pflicht“ der vier Parteien, „Finnland in Ordnung zu bringen“. Und die Wahre Finnen-Vorsitzende Riikka Purra kann mit dem Ehevergleich gar nichts anfangen: „Liebe und Ehe suche ich woanders.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus