Regierungen und das Internet: Wir regeln das schon
Die Mächtigen in Regierungen und Wirtschaft wollen das Internet stärker ihrer Kontrolle unterwerfen. Die Angst vor einem freien Netz wächst von Jahr zu Jahr.
Man traf sich Anfang Dezember zur Neuordnung der Kommunikationswelt der Netze in Dubai. Offiziell wollten Vertreter der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, über die Neufassung der Vollzugsordnung für internationale Fernmeldedienste von 1988 beraten. In Wirklichkeit jedoch ging es um die Zukunft des Internets.
Was stand zur Disposition? Viele in der Fernmeldeunion vertretene Regierungen pochen auf ein Recht, künftig in Erfahrung bringen zu dürfen, welche Route ein Informationspäckchen durch die Datennetze genommen hat. Sie nennen das „right to know“, faktisch aber ist es das möglichst allumfassende Recht zur Online-Überwachung nebst dessen technischer Standardisierung.
Die heute im Internet noch gewohnte Netzneutralität – die Gleichbehandlung aller Daten – soll wie nebenbei zugunsten weniger mächtiger Telekommunikationskonzerne ausgehebelt werden. Kein Wunder, dass darüber hinter verschlossenen Türen verhandelt wird.
wurde 1974 in Berlin geboren. Die Informatikerin mit den Schwerpunkten Überwachungstechnologien, Ethik und Datenschutz ist eine der SprecherInnen des Chaos Computer Club. Sie schrieb mehrere Bücher und sitzt in der Internet-Enquete-Kommission des Bundestages. Sie arbeitet als wissenschaftliche Projektleiterin am Forschungszentrum für Kultur und Informatik der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Viele Mitgliedsländer streben dafür eine neue Art der inhaltlichen und auch monetären Regelsetzung durch die ITU an. Dies würde ihnen auch die Unterbindung einiger Dienste im Netz erlauben und die Marktdominanz einiger Konzerne festigen. Dazu gehören etwa die IP-Telefonie oder Callback-Dienstleistungen, die an Landesgrenzen künftig unterbunden werden könnten.
Die herrschenden Wenigen diskutierten in Dubai
Diskutiert haben in Dubai Vertreter von 193 Regierungen, von Assistenten bis hin zu Ministern. Sie wurden von Rechtsstaaten entsandt, aber ebenso von Ländern wie China, Russland und Saudi-Arabien. Sie berieten sich mit Vertretern aus Telekommunikationskonzernen und Überwachungsbehörden sowie allerhand „Beratern“ der Privatwirtschaft. Es sind die herrschenden Wenigen. Voll war es dennoch: Allein Brasilien reiste mit mehr als fünfzig Teilnehmern an.
Trotzdem blieb der Kreis der Verhandler und Interessenvertreter im Vergleich zu den Milliarden potenziell betroffenen Netznutzern verschwindend klein. Der eiskalte Versuch der Telekommunikationsunternehmen im Verein mit totalitär gesinnten Regierungen, die Kontrolle im Netz mit Hilfe der ITU zu übernehmen, kam spät, aber mit Macht.
„Wem gehört das Internet? Amazon oder Wikileaks? Anonymous oder Facebook?“ In der sonntaz vom 29. Dezember widmen wir uns den Machtverhältnissen im Netz. Wir erzählen, wie Amazon unsere Wünsche aus seinen Daten liest, wie ein Pop-Song um die Welt treibt und wie Facebook uns zu Dauergrinsern macht. Yeah! Am Kiosk, //www.taz.de/zeitung/e-paper/e-kiosk/:eKiosk oder gleich im //www.taz.de/zeitung/abo/wochenendabo/:Wochenendabo.
Dieser Versuch ist vorerst gestoppt, weil einige Regierungen des Westens, vor allem die USA den bei den Verhandlungen entstandenen Vertrag nicht unterzeichnen wollten.
Dennoch wirkte die Fernmeldeunion wie eine Verkörperung undemokratischer, abgeschlossener Machtstrukturen, die ausschließlich nach den Interessen Weniger handelt und die zudem die Öffentlichkeit scheut. Hier sind Grundsätze wie die allgemeinen Menschenrechte nur störende Flausen. Was maßt sich eine Allianz von Diktatoren und ihrer Helfershelfer an, die Regeln für das zukünftige Netz schreiben zu wollen?
Kritik über Grenzen hinweg
Über die Länder- und Parteigrenzen hinweg gab es Kritik. Niemand erwartete, dass die ITU eine Regulierung des Internets zufriedenstellend anpacken könnte. Zwar ist die Organisation vor allem ein internationales Standardisierungsinstitut. Sie kümmert sich aber auch um so unterschiedliche Bereiche wie Satellitensysteme, Seefunk, Maßnahmen in Katastrophenfällen und sogar gewerbliche Schutzrechte. Auch diese Schutzrechte bergen enormes Konfliktpotenzial, denn wenige mächtige Telekommunikationsausrüster können durch ihr „geistiges Eigentum“ die Entwicklung von internationalen Standards dominieren und ihre ohnehin schon große Marktmacht damit noch weiter ausbauen.
Sollte also ausgerechnet diese Organisation entscheiden, wer die Macht über die Netze und die künftigen Kommunikationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft ausüben darf? Selbst das Europäische Parlament äußerte seinen Unmut. Und der US-amerikanische Kongress hat dieses Jahr gleich zwei Resolutionen verabschiedet, die der ITU in deutlichen Worten nahelegen, die Macht zur Regulierung des Internets nicht an sich zu reißen. Die Amerikaner argumentieren, das globale Netz solle frei von der Kontrolle durch Regierungen sein. In diesem Punkt sind sich sogar Republikaner und Demokraten einig.
Dass es den Vereinigten Staaten dabei um die Aufrechterhaltung der eigenen Kontrolle über einen erklecklichen Teil der technologischen Basis des zukünftigen Netzes geht, ist offensichtlich. Schließlich sitzen die meisten Institutionen, die das Internet verwalten und seine Regeln definieren, in den USA. Hände weg vom Netz, möchte man also nicht nur der Fernmeldeunion, sondern auch der amerikanischen Regierung zurufen. Das Internet ist zu wichtig, um politische Verhandlungsmasse zu sein.
Die Angst vor einem freien Netz
Die Absichten vieler Regierungen und Konzerne haben sich auch nach Dubai nicht verändert. Sie würden gern die Mechanismen, wie sie in der aussterbenden klassischen Telekommunikationsindustrie üblich waren, auf die Datennetze übertragen, in denen sich längst andere, demokratischere Normen und Standardisierungswege entwickelt haben.
Hierarchische, autoritäre Strukturen – von der technischen und kulturellen Revolution des Internets überrollt, überholt und umgangen – versuchen einen letzten geradezu absurd anmutenden Übernahmeversuch. Die Kritik an der existierenden US-Dominanz im sogenannten Internet Governance ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Doch will man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Angst vor einem freien Netz mit jedem Jahr zunimmt, dass die Mächtigen in Regierungen und Wirtschaft den Druck permanent erhöhen, das Netz einzuhegen. Dabei agieren sie in geschlossenen Zirkeln, deren Vorschläge und Ergebnisse nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit gelangen. Und nicht nur das: In der ITU geben auch Diktatoren und Vordemokraten ihre Vorschläge zum Besten, die nicht einmal versuchen zu verschleiern, dass es ihnen um die Kontrolle und Unterdrückung ihrer Bevölkerung geht.
Wenn Russland, China oder Saudi-Arabien in Zukunft ihre Vorstellungen eines „regulierten“ Informationsflusses durchsetzen, wird es nur noch um die Limitierung der Netze gehen. Nicht mehr um ihre Chancen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!