Regierung streicht Förderprogramme: Keine 2. Chance für Schulverweigerer
Zwei Projekte wollen benachteiligte Jugendliche vom Schulschwänzen abhalten oder ihnen einen Ausbildungsplatz organisieren. Nun werden die Fördermittel gekürzt.
BERLIN taz | Wenn über den drohenden Fachkräftemangel in Deutschland debattiert wird, heißt es häufig, auf keinen Jugendlichen könne verzichtet werden. Auch die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, Schülern beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf besser zu unterstützen und "neue Möglichkeiten im Schnittfeld Jugend, Kultur und Schule qualitativ und quantitativ auszubauen".
Doch just in diesen Tagen beklagt der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, das zwei Programmen, die sich um Jugendliche mit Problemen in der Schule und in der Übergangsphase zwischen Schule und Beruf kümmern, massiv die Mittel gekürzt werden.
Demnach sollen die Projekte "Schulverweigerung - 2. Chance" und "Kompetenzagenturen" ab September 2011 bis Ende 2013 insgesamt nur noch 50 Millionen Euro erhalten. Im Förderzeitraum September 2008 bis August 2011 waren es noch 144 Millionen Euro, die aus dem Topf des Europäischen Sozialfonds (ESF) flossen.
Verwaltet und zugeteilt wird das Geld vom Familienministerium. Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit befürchtet nun, dass ab Sommer "notwendige Angebote für junge Menschen in vielen Kommunen ersatzlos wegfallen" und hat die Bundesregierung aufgefordert, die Kürzungen zurückzunehmen.
Im Projekt "Schulverweigerung - 2. Chance" kümmern sich Sozialarbeiter an bundesweit rund 200 Standorten um Schüler auf Haupt- oder Förderschulen, die die Schule schwänzen oder im Unterricht sitzen, diesem aber nicht mehr folgen. In enger Abstimmung mit Eltern, Lehrern und Trägern der Jugendhilfe wird versucht, die Schüler wieder an das Lernen heranzuführen. Ziel ist es, dass die Jugendlichen einen Hauptschulabschluss machen. Derzeit brechen rund sieben Prozent aller Jugendlichen die Schule ohne einen Abschluss ab.
"Die 2. Chance ist ein Erfolg, wir haben zwischen 2009 und 2010 6.500 Schüler betreut, knapp 60 Prozent davon wurden in die Schule reintegriert", sagt Annika Koch, Sprecherin des Kooperationsverbundes, zu dem sich sieben große Institutionen der Jugendsozialarbeit zusammen geschlossen haben. Für Koch sind die Mittelkürzungen daher unverständlich: "Kaum hat man mit solchen Projekten begonnen, werden sie nach relativ kurzer Zeit wieder zusammengeschrumpft oder ganz eingestellt. Das ist nicht durchdacht und nachhaltig." Der Kooperationsverbund befürchtet, dass bis Ende 2013 nur noch die Hälfte der 200 Anlaufstellen der "2. Chance" aufrecht erhalten werden können.
Dafür fehlt das Geld
Das gleiche träfe auch für die "Kompetenzagenturen" zu. An derzeit noch 204 Standorten bundesweit kümmern sich Sozialarbeiter um besonders benachteiligte Jugendliche, die Probleme haben, in den Beruf zu finden. In Kooperation mit den Jobcentern, der Jugendhilfe, der örtlichen Wirtschaft und Trägern von Bildungsangeboten wird versucht, die Jugendlichen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zu beraten und zu begleiten.
Rund 33.000 Jugendliche wurden von den Kompetenzagenturen zwischen September 2009 und August 2010 betreut, Zahlen über den Erfolg gibt es allerdings noch nicht. Eine Evalution soll im Herbst 2012 vorliegen, teilt das Familienministerium in der Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD mit, die der taz vorliegt. "Unser Ziel ist es, die Jugendlichen bis zum Abschluss einer Ausbildung zu führen", sagt Kooperationsverbundes-Sprecherin Koch über das Programm.
Allerdings räumt sie auch ein, dass etliche Jugendliche keinen Ausbildungsplatz ergattern und Warteschleifen im sogenannten Übergangssystem drehen. Im Familienministerium verweist Sprecher Hanno Schäfer darauf, dass die ESF-Förderung für die Programme eigentlich schon im August 2011 enden würde. "Aufgrund des Erfolgs der beiden Programme" führe man die Förderung jedoch mit 50 Millionen Euro bis Ende 2013 fort.
Künftig soll sich die "2. Chance" auch um Schulabbrecher auf Berufsschulen kümmern. Schäfer verweist darauf, dass beide Programme seit 2002 bzw. 2006 vom Bund unterstützt würden und diesem per Gesetz auch nur eine "Anregungs- und Initiierungsfunktion" zukomme. "Es bestand daher in den vergangenen Jahren ausreichend Gelegenheit, kommunale Verankerung zu etablieren und gute Einrichtungen in eine Dauerförderung zu überführen."
Doch dafür fehlt den Kommunen das Geld. Sie müssen sich bereits jetzt mit maximal 55 Prozent an einer Kofinanzierung der Projekte beteiligen. "Die Kommunen sind nur schwer in der Lage, jetzt auch noch für die ausfallenden Kosten aufzukommen oder die Projekte ab 2014 alleine weiterzuführen", sagt Ursula Krickel, Referatsleiterin für Jugend- und Familienpolitik beim Deutschen Städte- und Gemeindebund.
Es sei bedauerlich, denn beide Programme seien in der kommunalen Praxis gut angenommen worden: "Besonders die 2. Chance ist durchaus eine Erfolgsgeschichte." Man führe deswegen derzeit noch einmal Finanzgespräche mit dem Familienministerium. Das stellt in der kleinen Anfrage nämlich auch fest, dass es vor den ESF-Programmen "in den meisten Kommunen keine lückenlose und durchgänge Förderung" für die Zielgruppe gegeben habe.
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