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Regierung im Punjab abgesetzt

■ Entscheidung am Montag abend / Gandhi–Sprecher: „Allgemeine Gesetzlosigkeit“ / Polizei und Armeesondereinheiten im Einsatz / Moderate Sikh–Regierung konnte sich nicht durchsetzen

Neu Delhi (dpa/wps) - Der nordwestindische Unruhestaat Punjab ist am späten Montag abend der direkten Verwaltung durch die Zentralregierung in Neu Delhi unterstellt worden. Der gewählte Ministerpräsident Barnala, der seit 1985 eine moderate Sikh–Regierung angeführt hatte, wurde abgesetzt. Gandhi–Pressesprecher Rao gab als Begründung an, im Punjab, einem der fruchtbarsten Bundesstaaten Indiens, herrsche allgemeine Gesetzlosigkeit. Plünderungen, Bankraub, Brandstiftung und Morde seien an der Tagesordnung. In den vergangenen Wochen war Barnala vorgeworfen worden, er schaffe es nicht, die fundamentalistische Sikh–Jugend unter Kontrolle zu bringen. Militante Gruppen hatten in letzter Zeit ihre Kampagne für einen Sikh– Staat Khalistan wieder verstärkt. Allein im April ermordeten sie 76 Menschen, die meisten davon selbst Sikhs. Unter anderem wurden auch Tabakhändler und Friseure Ziel der Attacken, weil sie durch ihre Berufe angeblich gegen die religiösen Vorschriften der Sikhs verstoßen. Mehrere Minister in Barnalas Kabinett unterhielten Kontakte zu militanten Gruppen und vereitelten immer wieder die Pläne des verantwortlichen Polizeichefs, der daraufhin im Mai mit Rücktritt drohte. Die letzte Schlappe mußte Barnala einstekken, als die religiöse Führung der Sikhs ihn vor mehreren Monaten wegen Kollaboration mit der Zentralregierung exkommunizierte. Tausende von Soldaten und Bereitschaftspolizisten wurden am Dienstag in Richtung Punjab in Bewegung gesetzt, um etwaige neue Aktionen zu verhindern. Polizeichef Ribeiro erhielt alle Vollmachten für den Umgang mit den Militanten. Der Zeitpunkt für die Absetzung Barnalas wurde von Gandhi mit sicherem Blick auf die Parlamentswahlen im angrenzenden Staat Haryana am 17. Juni gewählt. Der mehrheitlich von Hindus bewohnte Bundesstaat ist eine traditionelle Basis der in Delhi herrschenden Congress–Regierung, die in letzter Zeit in verschiedenen Regionalwahlen schwere Einbußen erlitt. Ein Friedensabkommen Gandhis mit dem später ermordeten moderaten Sikh–Führer Longowal hatte in Haryana immer Unzufriedenheit geschürt, weil es unter anderem die Teilung der Hauptstadt Chandigarh und eine Neuaufteilung des Bewässerungswassers vorsah. Mit der Entlassung Barnalas ist dieser Vertrag endgültig zu Makulatur geworden. Nach der Anordnung des Präsidenten soll der Vertreter der Zentralregierung im Punjab, Gouverneur Siddharta Shankar Ray, die Regierungsgeschäfte zunächst für begrenzte Zeit auf direkte Anweisung aus Neu Delhi führen. Allerdings wurde das Parlament des Punjab nicht aufgelöst, sondern nur vorläufig seiner Befugnisse enthoben. Vertreter fast aller indischen Oppositionsparteien sind am Dienstag aus Protest gegen Gandhis Entscheidung demonstrativ aus dem Parlament in Neu Delhi ausgezogen.

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