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Regierung Thatcher stark angeschlagen

Der Rücktritt von Finanzminister Nigel Lawson hat in Großbritannien eine Regierungskrise ausgelöst / Neue Diskussionen um eine Absetzung der britischen Regierungschefin entfacht / Die Londoner Börse reagierte mit Kurseinbrüchen  ■  Von Ralf Sotscheck

London (taz) - Der überraschende Rücktritt von Finanzminister Nigel Lawson am Donnestag abend hat die Regierung Thatcher in die schwerste Krise ihrer Amtszeit gestürzt. In einem Brief an Premierministerin Margaret Thatcher begründete Lawson seinen Schritt: „Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist nur möglich, wenn volle Übereinstimmung zwischen der Premierministerin und dem Finanzminister herrscht und auch demonstriert wird. Jüngste Ereignisse haben bestätigt, daß diese grundlegende Voraussetzung nicht erfüllt ist, solange Alan Walters Ihr persönlicher Berater ist.“

Der Konflikt zwischen Lawson und Walters schwelt seit Walters Ernennung zum Wirtschaftsberater Thatchers im Frühjahr. Als „monetaristischer Guru“ lehnt Walters Großbritanniens Beitritt zum Europäischen Währungssystem (EWS) ab. Lawson dagegen vertritt eine strikte Wechselkurspolitik und ist für den Beitritt zum EWS. Er will die Kurse durch staatliche Eingriffe stabil halten, um die Rekordinflation unter Kontrolle zu bringen. Mit ihm hat jetzt der letzte ausgewiesene „Europäer“ das Kabinett Thatcher verlassen.

Der Auslöser, der im Konflikt der beiden Politiker zu Nigel Lawsons Rücktritt geführt hatte, war ein Artikel im 'American Economist‘, in dem Walters den Finanzminister scharf kritisierte. Thatcher ließ sich darauf hin nur zu einer halbherzigen Verteidigung ihres Ministers herab. Sie erklärte am Donnerstag vor dem Unterhaus: „Ein Berater berät, ein Minister entscheidet.“ Damit gab sich Lawson jedoch nicht zufrieden. Eine Stunde nach seinem Rücktritt warf auch Walters das Handtuch. Ein konservativer Hinterbänkler dazu: „Walters wollte sich nicht als Torpedo gegen die konservative Regierung profilieren.“

Lawsons Rücktritt hat auf dem Geldmarkt einen Schock ausgelöst. Das Pfund sank trotz Intervention der US -Bundesreserve unter 2,90 Mark und wird vermutlich weiter fallen. Damit vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit, daß die britische Regierung die Zinsraten erneut erhöhen muß eine bei der Bevölkerung äußerst unbeliebte Maßnahme, weil dadurch die Hypotheken steigen. An der Londoner Börse verloren britische Wertpapiere gestern beträchtlich und brachten die ohnehin schon angeschlagene britische Wirtschaft in noch größere Schwierigkeiten.

Es ist unklar, welche Richtung der neue Finanzminister John Major einschlagen wird. Majors kometenhafter Aufstieg begann vor drei Monaten, als er zum Außenminister ernannt wurde. Major gilt seither als „Thatchers Schoßhündchen“. Er wird als aussichtsreicher Kandidat für ihre Nachfolge gehandelt. Innenminister Douglas Hurd übernimmt das Außenministerium, während Fraktionsführer David Waddington ins Innenministerium wechselt.

Margaret Thatchers Verhalten ihrem Finanzminister gegenüber stieß bei der Parteibasis auf Entsetzen. Versuche des Parteivorsitzenden Kenneth Baker, die Krise zum „Sturm im Wasserglas“ herunterzuspielen, schlugen fehl. Der konservative Abgeordnete Jim Lester sagte: „Das sind schlechte Nachrichten für unsere Partei. Es geht nicht, daß die Premierministerin ein Statement herausgibt und der Finanzminister ein anderes.“ Die dem „linken“ Tory-Flügel angehörenden Hinterbänkler beklagten erneut Thatchers autoritären Führungsstil. Sie forderten Baker auf, die Premierministerin zur Vernunft zu bringen.

Die Ereignisse vom Donnerstag haben die innerparteilichen Diskussionen über eine Alternative zu Premierministerin Thatcher angeheizt. Viele Tories glauben nicht mehr daran, daß die nächsten Wahlen mit Thatcher an der Parteispitze zu gewinnen sind. Labour-Chef Neil Kinnocks Kommentar zu der Krise lautete am Donnerstag: „Es ist klar, daß Thatcher nicht länger in der Lage ist, die Regierung zu führen.“ Die Premierministerin wird jetzt versuchen, die Parlamentswahlen so weit wie möglich hinauszuschieben, um Gras über die Sache wachsen zu lassen.

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