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Regen und Pannen beim Gutfindfestival Melt!Kirmeswerdung der Open-Air-Familie

Kommentar von David Denk

Die Ausgabe 2008 des Wohlfühlfestivals "Melt!" stand im Zeichen von Gewitter und Pannen. Unter den Regenschirmen gab es mehr Spaß als vor den Bühnen.

Nach wie vor gut finden: Festivalkulisse in Ferropolis. Bild: melt-festival

Als am späten Samstagnachmittag zwei Regenbogen über "Ferropolis" erschienen, applaudierte und johlte der ganze Zeltplatz. Gerade noch hatten die Festivalbesucher das miese Wetter verflucht und sich vor dem Regenguss in Sicherheit zu bringen versucht, nun standen sie vor ihren Zelten und bewunderten das Naturschauspiel, als wäre es der Headliner des Wochenendes.

Es war einer der raren Momente beim Melt! 2008, in denen die Festivalromantik aufkam, die die Süddeutsche Zeitung in einer Hymne auf "familiäre Open Airs" in der Samstagsausgabe beschworen hatte, von denen das Melt! "eines der schönsten" sei.

Bis nach dem Melt! 2006 hätte man da umstandslos zugestimmt. Doch dann kam im vergangenen Jahr das "Coca-Cola-Tent" dazu und damit die Kirmesatmosphäre. 2007 war allerdings auch das Jahr, in dem das Melt! zum ersten Mal seit Festivalgründung 1997 schwarze Zahlen geschrieben hat. Das ist die Ambivalenz der Kommerzialisierung: Was nützt einem die Aussicht, dass das Melt! auch nächstes Jahr stattfinden kann, wenn man sich fragt, ob man überhaupt wieder hinfahren soll?

Dass der Ruf des Melt! als das Gutfindfestival der Nation gefährdet ist, ahnt auch der Veranstalter. "Ich fände es schade, wenn in deinem Artikel stehen würde, dass man da nicht mehr hinfahren kann", sagt Matthias Hörstmann, der auch das kostenlose, von Anzeigen finanzierte Musikmagazin Intro herausgibt.

Doch auch Hörstmann, der zum Fünftagebart einen Kapuzenpulli der Festivaldarlings The Whitest Boy Alive trägt, scheint sich auf seinem eigenen Festival nicht mehr so ganz wohl zu fühlen. "Es sind Leute dazugekommen, die ich zu Hause nicht auf dem Sofa sitzen haben möchte, Drei-Tage-wach-Publikum", gibt er zu und sagt: "Dieses Festival hat sein Limit erreicht." Mehr als 20.000 Besucher kamen am Wochenende auf das unwirkliche, von monströsen Braunkohlebaggern gesäumte Festivalgelände nahe Dessau in Sachsen-Anhalt.

Das Melt! 2008 hatte viel mit sich selbst zu kämpfen. Abgesehen von der Kirmeswerdung eines Indiefestivals ärgerten die Besucher zahlreiche Organisationspannen: vor allem die stundenlangen Wartezeiten beim Tausch der Eintrittskarten gegen Festivalbändchen, die viel zu kleine Location für The Whitest Boy Alive und der wegen Gewitterschäden ersatzlos gestrichene Auftritt der Hypeband Hercules and Love Affair. Sowohl am Freitag- als auch am Samstagabend sorgte kräftiger Regen für Überschwemmungen und Kurzschlüsse auf der Hauptbühne, die in diesem Jahr den Namen eines Turnschuhherstellers trug.

Dessen Stoffschühchen hatten die Festivalprofis in diesem Jahr gegen bunte Gummistiefel getauscht. Während die einen trotzig durch die Pfützen tanzten, achteten die anderen, den Blick stur gen Boden gerichtet, ganz genau darauf, wo sie hintraten. An dieser Stelle möchte der Autor herzlichst der Blondine danken, die ihm ihren Union-Jack-Regenschirm "made in China" geliehen hat. Und Katja und Björn grüßen, die er unter dem Schirm kennengelernt hat. Weil es da ziemlich eng war, konnte er sehen, wie Björn eine Twitter-SMS mit folgendem Text schrieb: "Gewittersturm überm Melt. Warten auf The Notwist". Das ist sachlich völlig richtig - nur fragt man sich, wen es interessiert, wo Björn gerade im Regen steht.

Nachdem das Gewitter vorübergezogen und die Bühne trockengewischt war, bedankte sich Sänger Markus Acher artig dafür, "dass ihr alle noch da seid" und spielte eine knappe Stunde lang zauberhafte Notwist-Songs, die mit ihrem betörenden Plackern und Blubbern doch sowieso dem Regen näher sind als der Sonne.

Besonders stolz waren die Veranstalter des Melt! in diesem Jahr auf die beiden Höhepunkte eines jedoch vor allem im Popularitätsmittelfeld schwächelnden Festivals: die einzigen Deutschland-Auftritte von Franz Ferdinand und Björk in diesem Jahr - im Fall von Björk sogar das erste seit fünf Jahren. Besonders die Isländerin, für deren Auftritt das Festival zum ersten Mal auf drei Tage erweitert worden war, bezauberte die Festivalbesucher. Anmutig, energetisch und musikalisch überragend versöhnte Björk, die sogar auf ein Bläserensemble singen kann, viele Besucher mit dem Krisen-Melt! 2008.

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Ressortleiter tazzwei

12 Kommentare

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  • K
    Kay

    Ei ei ei, das tut mir alles echt schrecklich leid mit eurem schönen Festival, aber bitte bitte bitte(!) kommt jetzt bloß nicht alle zur Fusion. Solche Leute könne wir da gar nicht gebrauchen.

  • P
    Psynacht

    Melt???

     

    Nie wieder! Nächstes Jahr fahr ich wieder zur Fusion.Die Jahr Melt war ein Experiment und es ist gescheitert.Was soll ich auf einem Festival, wo ich erstmal 30 Minuten wandern darf, um bis zur Musik zu kommen und dann von den "netten" Security´s angepflaumt zu werden, gefälligst aus zutrinken. Ich fahr sonst nur zur Fusion oer zur Voov, da kenne ich das nicht. Zum Melt bin ich eigentlich nur wegen Björk gefahren. Der Auftritt war cool, Björk durch ihr isländisches "Dankeschön" ist mir dadurch nur noch sympatischer geworden. Aber wo Licht da auch Schatten. Was soll das bitte für eine Soundaussteuerung gewesen sein???

    Die Bässe waren total im Vordergrund, aber Björk´s Mikro aber dann so aufdrehen, das es sich überschreit, da geht doch wohl auch besser...

    Das bei einem Festival das Wetter schlecht sein kann und man deshalb Regenklamotten und Gummistiefel dabei haben sollte, ist ja logisch.

    Aber anscheinend waren die Veranstalter damit auch überfordert. Ich wollte zum Melt und nicht nach Woodstock!!!

    Fazit: Melt? Nicht nochmal. Ab nächstes Jahr geht´s zur Fusion.

  • M
    Melt!ler

    http://www.melt-festival.de/forum/viewtopic.php?id=2538&p=1

    Ergänzend noch der Link ins Melt-Forum mit Statement des Veranstalter-Team. Mitsamt Selbstkritik, Ableitung und Planvorhaben: "NICHT GRÖSSER, ABER BESSER! (Meint: Im Sinne der Besucher handeln!)

  • D
    Dan

    3-Tage-wach-Publikum hin oder her!

     

    Es waren definitiv zu viele Leute da. Und ich die Veranstalter haben so viel falsch gemacht, dass der Musik-Spaß leider zum Teil auf der Strecke blieb: z. B. Bändsel-Chaos am Freitagabend - es gab kein Reinkommen, deshalb die ersten 2 Bands verpasst, die ich sehen wollte...

     

    Von dem Sicherheitsrisiko aufgrund der Menschenmassen mal ganz abgesehen - von vorne pressten die Massen in die Schlange und hinten standen die Ordner, die gegen den Bauzaun gedrückt haben, damit er nicht umfällt. Die gequetschten Leute dazwischen waren offenbar egal.

    Das hat direkt zu Beginn für Missmut gesorgt. Wieder gut gemacht haben das die Veranstalter nicht.

     

    Eine komische Geschichte hab ich noch: Auf dem Campingplatz waren die richtigen Klos von 22 bis 8 Uhr geschlossen. Es gab also nur unbeleuchtete Dixis oder die Büsche. WARUM??

     

    Ich fahr da nicht mehr hin und das selbe gilt für meinen Freundes- und Bekanntenkreis

  • A
    Alex

    Ich seh das nicht so engstirnig.

     

    Kommerz hin oder her.

     

    Es war mein drittes Melt! und wird nicht mein letztes sein.

     

    Mir geht es um die Musik, die Acts und den Spaß mit meinen Freunden.

     

    Klar gab es einige Dinge die ich dieses Jahr auch nich so doll fand. Gegen das Wetter kann man logischer Weise nichts machen.

    Die Aufteilung der Bühnen hat mich ziemlich gestört. Die Gemini Stage aus dem Forum auszulagern war ein Fehler, zumal das Forum bei der Mainstage nie voll war...

     

    Aber im großen und ganzen seh ich dem Melt! immer noch sehr positiv entgegen. Das Fusion kann von der Kulisse und dem Line-Up einfach nicht mithalten und wer lieber zur Loveparade, die Nature One oder Southside/Hurricane und Rock am/im Ring/Park gehen will, dem solle man sei einen Artikel eher widmen...

     

    Das sind die 3 Tage wach Leute!

  • N
    Nina

    Herr Hörstmann will also kein "3-Tage-wach" - Publikum auf seinem Festival?

    Na, dann sollte man vielleicht nicht im Vorfeld eben diesen Song zur "Melt-Hymne" erklären und im Internet Verlosungen ala "Zeig uns dein Foto nach 3 Tagen wach und gewinne Melt-Tickets" anleiern. Selber Schuld.

     

    Der Artikel spricht mir aus der Seele, ich war nach 2 wunderschönen Melt-Jahren diesmal nicht mehr da - und werde vermutlich prival auch nicht mehr hinfahren.

     

    Das Melt macht aber eine Ähnliche Entwicklung durch wie die Intro mal gemacht hat, und die ist nicht unbedingt positiv - das Los des Undergrounds der Kommerz wird ?!?

  • L
    Lars

    Schöner Artikel, trifft meine dritte und letzte Melt!-Erfahrung auf den Punkt.

  • UO
    Uwe Oertel

    Es gab, richtig festgestellt, bedingt durch Wetter und organisatorische Fehleinschätzungen Probleme. Dies hat aber die meisten Besucher des Melt nicht davon abgehalten, verdammt viel Spaß zu haben, es hat die Leute nicht abgehalten, zu den fantastischen Bands, die nur so und zum Melt in der Festivallandschaft Deutschlands auftauchen zu feiern. Ich empfinde es als sehr überheblich sich hinzustellen und von einer Kirmesveranstaltung zu schreiben. Um im gleichen Stil zu bleiben würde ich von der - "Bild"werdung einer Zeitung - sprechen.

  • S
    stimpmania

    Vielen Dank für diesen sehr guten Nachbericht. Es beruhigt mich, dass die Organisatoren scheinbar erkannt haben, dass der gute Ruf des Melt Festivals derzeit ziemlich leidet und die Besuchergrenze erreicht (aus meiner Sicht bereits überschritten) ist.

  • YC
    Yvonne Chadde

    besonders "bezaubernd" waren die prinzen und prinzesschen mit stirnbändern und glitter und gymnastikhosen, die dem eurodance-revival völlig rechnung trugen. auch nach drei tagen mistwetter in treckingschuhen und mülltüten zauberten jene immer noch ein unbeflecktes shirt und etwas theaterschminke aus ihrer reisegarderobe.

    das stylomatenvorzeigefestival überraschte mit druffen ordnern, die die tür zum ersehnten whitest boy alive gig mit fäusten verteidigten und jenem hysterischen mob, der zum stampfesound von hot chip schier alle klemmigkeiten des arbeitsalltags weghüpfte, obwohl die musik kaum anlass dazu bot.

    björks defamärchenfilmkulisse unterstützte den anspruch dieser mütterlich warmen, willenstarken und ehrfurcht gebietenden sängerin, ernste mit unterhaltungsmusik auf das vorbildlichste zu verknüpfen. jene, die liebe zum klang lebten wie björk oder notwist waren der dank für gepanschte longdrinks, aldipommes und kaltnasse füße.

  • R
    rotzundrüben

    Endlich mal eine Kritik, die nach journalistischen Maximen verfasst wurde. Denn diese sucht man bei der MELT!-Berichterstattung auf Intro.de leider vergebens; auch wenn die Gründe hierfür hinlänglich bekannt sein dürften.

     

    Danke David

  • D
    Dan

    Ich war beim Melt und möchte dies loswerden:

    Fürs Wetter kann der Veranstalter zwar nichts, aber er hätte sich drauf einstellen und reagieren können: im Schlamm versunkene Wege mit Holzspänen auffüllen - das können die Leute bei der Fusion doch auch!

    Und: wenns am Freitagabend schon keine Mülltüten mehr gibt, bleibt der Kram halt liegen. Zwar nicht schön, aber ob der Fehlorganisation des Veranstalters gings nicht anders.

    @ den Veranstalter: limitiert entweder Eure Eintrittskarten oder stellt Euch auf die verkaufte Masse an Tickets ein!

    In diesem Jahr wars echt kein Spaß...