■ Tour d'Europe: Regelwirrwarr
Egal, ob legal oder illegal – Abtreibung ist eine Realität in allen europäischen Ländern. Ob aber viel oder wenig abgetrieben wird, dafür geben nicht allein liberale oder restriktive Gesetze den Ausschlag: die politische Lage und – vor allem – wirtschaftliche Nöte spielen eine mindestens ebenso große Rolle.
ie drei westeuropäischen Länder mit den niedrigsten Abtreibungszahlen sind nach Angaben der Zeitschrift Revue européenne de planification familiale einerseits Irland, wo 1992 ein Referendum bestätigte, daß die Abtreibung völlig verboten und lediglich die Reise zu einem Schwangerschaftsabbruch im Ausland erlaubt ist, andererseits die Niederlande (0,15 Abtreibungen pro Frau), die traditionell eine sehr liberale gesetzliche Regelung haben, und Spanien (0,23 Abtreibungen pro Frau), wo seit 1985 ein ausgesprochen restriktives Gesetz in Kraft ist. Die höchsten Abtreibungszahlen wurden 1993 in Schweden und Italien registriert (0,65 Abtreibungen pro Frau), gefolgt von der Ex-DDR (0,63 Abtreibungen pro Frau). In Frankreich, Großbritannien und der Ex- BRD lagen sie bei rund 0,4 Abtreibungen pro Frau. In Osteuropa, wo die Zahl der Abtreibungen sprunghaft angestiegen ist, ist Rumänien Spitzenreiter (6 Abtreibungen pro Frau), gefolgt von Rußland (4,5 Abtreibungen pro Frau).
Außer in Polen, wo das Parlament mit Unterstützung der katholischen Kirche im Januar 1993 ein strenges Verbotgesetz verabschiedete, dessen Liberalisierung im vergangenen Jahr an dem Veto von Präsident Walesa scheiterte, und in Irland ist die Abtreibung in allen europäischen Ländern legalisiert. Die Regelungen sind allerdings höchst unterschiedlich.
In Deutschland, wo mit der Vereinigung zwei unterschiedliche Gesetze aufeinander stießen, gibt es immer noch keine verbindliche einheitliche Regelung. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1993 die simple Ausweitung der westdeutschen Regelung auf den Osten, wo zu Zeiten der DDR die Abtreibung grundsätzlich bis zur 12 Woche legal war, untersagte, gilt gegenwärtig, daß die Abtreibung straffrei ist, aber nicht finanziert wird.
In Spanien gestattet das Gesetz die Abtreibung nur nach Vergewaltigungen, wenn die Gefahr der Mißbildung des Fötus besteht oder wenn die Mutter ein hohes Risiko körperlichen oder seelischen Schadens eingehen würde. Die von der sozialistischen Regierung seit Jahren versprochene weitergehende Liberalisierung wurde aus Rücksicht auf die katalanischen Alliierten im Parlament immer wieder verzögert. Und wenn nach den bevorstehenden vorgezogenen Neuwahlen erst die Konservativen an der Macht sind, dürfte die Reform auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben sein.dora
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