Regelverstöße bei Lebertransplantationen: Drei vorsätzliche Manipulationen

In bayerischen Kliniken gab es mehr als 60 Verstöße gegen die Richtlinien zur Lebertransplantation. Das ist das vorläufige Ergebnis der Untersuchungskommission.

Vorerst werden nur die Lebertransplantationen der letzten Jahre untersucht. Bild: dpa

BERLIN taz | An allen bayerischen Lebertransplantationszentren mit Ausnahme des Uniklinikums Würzburg haben Ärzte zwischen 2007 und 2012 insgesamt mehr als 60mal gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Vergabe lebensrettender Spenderorgane verstoßen. Zu diesem Ergebnis kommt ein vorläufiger Kommissionsbericht über Unregelmäßigkeiten bei Lebertransplantationen in Bayern unter Leitung des Wiener Chirurgieprofessors Ferdinand Mühlbacher. Auftraggeber der bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP).

„Der Bericht befindet sich noch in der konsensuellen Endabstimmung“, sagte Mühlbacher der taz. Er hoffe, ihn dem Ministerium bis Ende der Woche vorlegen zu können. Dass in mehr als 60 Fällen wider die Richtlinien gehandelt worden sei, sei unstrittig, so Mühlbacher. „Die Frage ist dann aber, wie wir das bewerten: war es ärztliches Versehen, eine Ordnungswidrigkeit oder eine vorsätzliche Manipulation?“

Von den mehr als 60 Fällen aus fünf Jahren, in denen Mediziner aus den Lebertransplantationszentren in Erlangen, Regensburg, Großhadern (Ludwig-Maximilians-Universität München) sowie „Rechts der Isar“ (Technische Universität München) falsche Angaben gegenüber der für die Organzuteilung zuständigen Stiftung Eurotransplant machten, seien nach bisheriger Einschätzung der Kommission, so Mühlbacher, nur drei Fälle der bewussten Manipulation verdächtig.

„Die anderen waren zwar nicht mit dem Regelwerk der Bundesärztekammer kompatibel, aber unter der ärztlichen Alltagspraxis nachvollziehbar.“ Es sei wahrscheinlich, dass diese Regelverstöße als Ordnungswidrigkeit gewertet würden, sagte Mühlbacher.

Absichtlich Röhrchen vertauscht

Bei den drei Manipulationsfällen – alle diese Patienten wurden in der Klinik Rechts der Isar behandelt – soll ein inzwischen nicht mehr an dem Klinikum tätiger Arzt absichtlich Laborröhrchen vertauscht, Urin ins Blut gemischt und Dialysen vorgetäuscht haben, die in Wahrheit aber gar nicht stattfanden. Die Manipulationen dienten offenbar dazu, die Patienten kränker erscheinen zu lassen, als sie eigentlich waren.

Dadurch rückten sie auf der Warteliste für ein Spenderorgan nach oben und erhielten schneller (und damit zu Lasten anderer, ebenfalls leberkranker Patienten) eine Leber, als ihnen eigentlich zustand. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt deswegen seit dem Spätherbst 2012, hat aber bislang keine Anklage erhoben. Das Klinikum Rechts der Isar hat sich unterdessen von dem Vorgesetzten des verdächtigen Arztes getrennt.

Von den verbleibenden Regelverstößen, die als nicht vorsätzlich gewertet werden dürften, entfallen nach Informationen der taz drei auf Erlangen, 12 auf Großhadern, 22 auf das Klinikum Rechts der Isar und 26 auf Regensburg.

Gezinkte Angaben

Die Regelverstöße betrafen in Regensburg und Großhadern unter anderem Angaben zur Größe von Lebertumoren, ab denen eine Transplantation im Ausnahmefall noch zulässig ist. In Regensburg und im Klinikum Rechts der Isar wurden daneben alkoholkranke Patienten auf die Warteliste aufgenommen, obwohl diese noch nicht die vorgeschriebene sechsmonatige Karenzzeit nachweisen konnten.

Allerdings hatten Psychologen einigen dieser Patienten eine sehr gute Sozialprognose bescheinigt. Weitere Verstöße betrafen die Verwechslung vorgeschriebener bildgebender Verfahren bei der Messung und Übermittlung von Tumordiagnosen.

Sowohl die derzeitigen Regelungen zum Umgang mit Patienten mit Leberkrebs als auch mit Alkoholikern sind wissenschaftlich umstritten. „Die sechsmonatige Alkoholabstinenz ist völlig willkürlich“, kritisierte Mühlbacher. „Das Regelwerk der Bundesärztekammer ist nicht mehr up to date, es gehört dringend reformiert.“ Diese Empfehlungen werde er in seinen Bericht einfließen lassen, sagte er.

Insgesamt werteten die Gutachter der Mühlbacher-Kommission zwischen Dezember 2012 und April 2013 rund 800 bayerische Krankenakten von Lebertransplantationspatienten aus. Die Vorgehensweise, erfuhr die taz aus infomierten Kreisen, sei jedoch in Teilen der Kommission umstritten gewesen. In Regensburg etwa fiel den Gutachtern auf, dass das Klinikum im Vergleich zu anderen Zentren extrem viele leberkranke Patienten behandelte, die zugleich dialysepflichtig waren. Wer eine Dialyse erhält, gilt als sehr dringlich und hat folglich gute Chancen auf ein Spenderorgan.

Nur zwei Tage Zeit

Zur Durchsicht der Unterlagen aus fünf Jahren hatten die Gutachter in Regensburg aber nur zwei Tage Zeit. Überprüft werden konnte, so hieß es aus Gutachterkreisen, unter diesen Bedingungen nur, ob die Regensburger Patienten die Dialyse zum Zeitpunkt der Meldung an Eurotransplant wirklich erhalten hatten (was der Fall war), nicht aber, ob die vorausgehende ärztliche Entscheidung, eine Dialyse durchzuführen, überhaupt medizinisch geboten war.

Beobachter der Transplantationsszene gehen davon aus, dass bei gründlicherer Überprüfung möglicherweise mehr Verstöße zu finden gewesen wären. Als schwierig gilt vor diesem Hintergrund die Vergleichbarkeit der Ergebnisse aus Bayern mit denen anderer Gutachter-Kommissionen, etwa an der Uniklinik Göttingen. Dort durchforstet eine Vielzahl von Experten seit bald einem Jahr akribisch sämtliche Lebertransplantationsakten – mit entsprechend hohen Fundzahlen.

Ein beschuldigter Arzt aus Göttingen ist inzwischen in Untersuchungshaft; die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen versuchter Tötung wird zeitnah erwartet.

Komplizierte Regelungen

Mühlbacher wies Vorwürfe, seine Kommission habe in Bayern nicht gründlich genug geprüft, entschieden zurück: „Wenn man zwei Tage vor Ort ist, heißt das doch nicht, dass man die Akten anschließend nicht auch anderswo auswerten kann.“

Allein mit der Auswertung der Daten aus Regensburg hätten sich bald 20 Experten über Wochen beschäftigt. Viele Verstöße hätten sich im übrigen kurz nach der Einführung der neuen Vergaberegeln für Spenderlebern 2006/2007 ereignet. „Die Regeln sind kompliziert, manche Ärzte haben sich anfangs vertan“, sagte Mühlbacher. Das sei heute anders.

Das bayerische Wissenschaftsministerium als Auftraggeberin des Gutachtens wollte sich zu etwaigen Konsequenzen – beispielsweise eine Schließung oder Zusammenlegung einzelner Transplantationszentren oder eine grundlegende Reform der Vergabe-Richtlinien – noch nicht äußern. Man wolle den Mühlbacher-Bericht in seiner Endfassung abwarten, sagte eine Sprecherin. Ebenfalls in Kürze erwartet wird ein Bericht zur Begutachtung aller bundesweit 24 Lebertransplantationsprogramme durch eine Kommission der Bundesärztekammer.

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