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ReformresteSchulsenator denkt pädagogisch

Dietrich Wersich düpiert Reformgegner Walter Scheuerl: Vier Grundschulen dürfen das sechsjährige gemeinsame Lernen in einem Schulversuch erproben.

Ärgert die Schulversuchsgegner: Schulsenator Dietrich Wersich (CDU). Bild: dpa

Erfreuliche Nachrichten für vier Grundschulleiter: Zwei Tage nach Weihnachten erfuhren sie, dass CDU-Schulsenator Dietrich Wersich ihre Anträge auf den Schulversuch für eine sechsjährige Primarschule genehmigt. "Wir haben erst mal einen Luftsprung gemacht", berichtet Rainer Kühlke von der Harburger Schule Grumbrechtstraße.

Zwei Jahre habe das Kollegium hart für das Primarschulkonzept gearbeitet. "Der verlorene Volksentscheid ging uns sehr nahe", sagt Kühlke. Seine Schule war eine von 24 "Starterschulen", die trotzdem im August die Fünftklässlern behielt. Doch dies sollte nur für diesen einen Jahrgang möglich sein. Das neue Konzept der Grumbrechtstraße sieht aber jahrgangsübergreifendes Lernen von Klasse vier bis sechs vor und könnte so gar nicht erprobt werden. Deshalb beantragte das Kollegium einen zwölfjährigen Schulversuch, obwohl die Aussichten "schlecht standen", wie Kühlke erinnert. "Doch dann sind wir auf einen Senator getroffen, der pädagogisch denkt."

Noch Anfang Dezember sah es nicht danach aus. Insgesamt gab es neun Versuchsanträge von Starterschulen. Diese seien "zurückzuweisen", hatte der Primarschulgegner Walter Scheuerl erklärt, als er seine Kandidatur auf der CDU-Liste bekannt machte. Es schien in diesen Tagen so, als würde die CDU alles tun, um ihn zufrieden zu stellen. Wenig später ging das Gerücht um, die Ablehnung sei politisch entschieden, es werde nur noch an der Begründung gefeilt.

Doch der frisch gebackene Schulsenator Wersich dementierte. Die Anträge seien noch nicht "entscheidungsfähig", erklärte er. Die Schulen bekämen eine "zweite Chance", hier nachzubessern. Vier Schulen reichten Informationen zu Wersichs Zufriedenheit nach, neben Kühlkes die Schulen Vizelinstrasse, An der Burgweide und Rellinger Straße. Die Versuche laufen zehn Jahre und werden wissenschaftlich begleitet. So wird die Lernentwicklung der Kinder mit der anderer verglichen. Die übrigen fünf scheiterten. In zwei Fällen waren es Anträge für Langformschulen von Klasse 1 bis 10, die es laut Gesetz formal nicht mehr gibt.

Der GAL-Schulpolitiker Michael Gwosdz sprach von einem "Erfolg für engagierte Eltern und Lehrkräfte". Es wäre ein großer Rückschlag für "Schulentwicklung von unten", wäre deren Engagement "zwischen ideologischen Mühlsteinen zerrieben" worden. Linksfraktionschefin Dora Heyenn monierte, dass nur vier Anträge genehmigt wurden, und sprach von einem "Kniefall vor Scheuerl". Heyenn und Gwosdz wollen am 24. Januar im Schulausschuss vom Senator die Gründe erfragen.

Auch Stefanie von Berg von "Pro Schulreform" lobte die Entscheidung. Sollten die Untersuchungen zeigen, dass die vier Schulen erfolgreich sind, biete sich hier eine Perspektive für eine "langfristige, von unten hoch wachsende Veränderung der Schullandschaft". Die Elternvertreterin ist in die GAL eingetreten und wird im Wahlkreis Eimsbüttel-West auf Platz 2 fürs Rathaus kandidieren.

Walter Scheuerls Initiative "Wir wollen lernen" betonte indes, dass "nur" vier Anträge genehmigt wurden, und weist in einer Mail Eltern darauf hin, dass sie Kinder von Modellschulen nach Klasse vier "ummelden" können.

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3 Kommentare

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  • A
    Angebiedert

    @ Angewidert:

    Schön angewidert formuliert ;-)

  • A
    Angewidert

    Eines hat Scheuerls verlogen-euphemistisch benannte Initiative (Subtext: "wir wollen doch nur was lernen, aber die Schmuddelkinder machen ja immer nur Quatsch, mit denen wollen wir doch nicht in eine Klasse gehen!") jedenfalls gezeigt: Die Maske ist gefallen, der Mythos zerbröselt. Die Stadt Hamburg, in der traditionell das Klein- und Großbürgertum gemeinsam mit den Arbeitern die (entsprechend rechte) SPD wählte, die Stadt Max Brauers, die als bürgerliche Bastion protestantischer Pfeffersäcke immer auch auf etwas sozialen Ausgleich bedacht war; in der man als Besserverdiener sein von den Briten geliehenes Understatement pflegte und sich sozialliberal-distinguiert über südlichere Neureiche, Adelige und Konservative still amüsierte; das Heim einer progressiven Medienlandschaft und großer Geister, als modern und "weltoffen" berühmt: diese Stadt ist mit den neuen Generationen am Ruder und mit den diversen besserverdienenden Zugezogenen endgültig mutiert zu einem dumpfen neokonservativ-biedermeierlichen Öko-Gucci-Herrenreiter-Facebook auf der einen Seite, und einem ebenso dumpfen Brot-und-Spiele-Radio-Hamburg-Ghetto mit Media-Markt für die Verlierer dieser Entwicklungen, inklusive Flatratesaufparty und Bahnhofsschlägerei, wenn man es mal gar nicht mehr aushält.

     

    Vor 20 oder 30 Jahren hätten sich die gutkleideten und gebildeten Einwohner von Flottbek, Rissen oder Blankenese, und erst recht die Kreativen und Intellektuellen aus Eimsbüttel und Altona in Grund und Boden geschämt, einem PR-vernetzten und von BILD hofierten reaktionären Rattenfänger wie Scheuerl (oder zuvor schon Schill) hinterherzulaufen. Undenkbar. Heute findet man überhaupt nichts dabei, sondern steht in seinen "konservativen" protzigen Designerklamotten am Rathausmarkt rum und johlt Sky Dumont zu, um auch ja weiterhin nichts abgeben zu müssen, um die eigenen sowieso schon privilegierten biogenährten Wonneproppen in die bestmöglichsten Startpositionen zu hieven, dazu noch etwas Geigen- und Chinesischunterricht, während Gülcan und Stefano aus Barmbek und Veddel von diesen Power-Eltern die Ellenbogen zu spüren bekommen und bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst - bei McDonalds oder vor der Playstation. Ob Medizin, Jura oder MBA, was-mit-Medien oder was ohne: der eigene Nachwuchs soll schon unter sich bleiben, Kontakt zur "Unterschicht", wie man nun ja wieder sagt, schadet den Sprösslingen nur bei ihrer Elite-Entwicklung. Nach oben buckeln, nach unten treten, bestens vernetzt, gefühl- und stillos, gierig, engherzig und neurotisch, dabei aber bisweilen "grün" angehaucht und jedem Zeitgeist hinterherrennend: Das ist das neue laute Hamburger "Bürgertum", Hamburgs besserverdienende Bildungs-Teaparty.

     

    Der Lack ist ab in Hamburg, von Schulpolitik über Stadtplanung bis zur Kulturpolitik zeigt sich überall das neue hässliche Gesicht der "spannenden" seelenlos-neoliberalen Kommerzstadt, und damit derer, die in ihr nun das Sagen haben. Klar, dass da auch gleich die verfilzte Kahrs-und-Scholz-SPD Morgenluft wittert und sich an den Scheuerl-Trend ranklemmte. Und die Verlierer? Noch ertragen oder ignorieren sie scheinbar resigniert Gal-Schulkonzepte und Scheuerls Elite-Politik, Elphi und Wohnungsnot, Landesbank und Leiharbeit, Kürzungen und weiteren Hohn. Diese Leute bildeten immer eine Mehrheit in Hamburg. Würden sie sich dessen mal bewusst, hätten sie mal genug, entdeckten sie die Politik für sich, könnten die Scheuerls und Dumonts dieser Stadt sich warm anziehen.

  • K
    Klap

    Gegen diese langfristig angelegten Schulversuche und wissenschaftlich (hoffentlich) gut begleiteten Versuche ist ja nach dem ganzen Schulreform Hin- und Her nichts auszusetzen.

     

    Von den Erfahrungen (ob nun den Positiven oder auch den Negativen) werden alle (Grund)schulen auch schon vor Ablauf der 10 Jahre profitieren können.

     

    Wahrscheinlich können die dort angemeldeten zumindest nichts verlieren. Und wer in Klasse 4 der Meinung ist, die Umschulung auf Gymnasium oder Stadtteilschule wäre besser, der kann es trotzdem machen, denn ob man das Kind auch "länger" gemeinsam lernen lassen will kann mann dann immer noch entscheiden. Die engültige Akzeptanz der Schulversuche wird sich zeigen, wenn die Eltern der "gymnasialbefähigten" Kinder sich nach Klasse 4 zu 90% für den Verbleib auf der Primarschule entscheiden.