Reformkurs von Boliviens Präsident Morales: Vom Halb- zum Vollmond
Boliviens Präsident Evo Morales gewinnt ein Referendum nach dem anderen. Doch wird das die Gegner seines Reformkurses beeindrucken?
Die anhaltende Ungewissheit, Beklemmung und Lähmung Boliviens schienen nach dem Referendum vom 10. August ein Ende zu nehmen. Schließlich wurden Staatspräsident Evo Morales Ayma und Vizepräsident Álvaro García Linera in ihren Ämtern bestätigt. Und das mit der Mehrheit von über 67 Prozent der Wähler. Damit stieg die Zustimmung für Morales um etwa 15 Prozent im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2005, wie nun auch das amtliche Endergebnis am Freitag bestätigte.
Morales gewann in sieben der neun Departamente, wobei er in den umkämpften Regionen Beni und Santa Cruz deutlich zulegen konnte. Er brachte damit die Hegemonie in den separatistisch orientierten Provinzen der "media luna" (des sogenannten "Halbmondes") gehörig ins Wanken. "Der Vollmond, die Neugründung Boliviens", so ein enthusiastischer Anhänger der Regierung auf einer Kundgebung in La Paz, könnte jetzt aufgehen. Das ist aber nicht viel mehr als das Prinzip Hoffnung. Eines, das schwer zu realisieren sein dürfte.
Morales, der von der paramilitärischen "Jugend Santa Cruz" (Juventud Cruceñista) - einem bewaffneten Arm der ostbolivianischen Oligarchie - als "stinkender Indio" beschimpft wird, bleibt dennoch im Unterschied zu seinen "weißen" Widersachern aus den Provinzen der einzige Politiker von nationaler Bedeutung. Die Gouverneure von Pando, Beni, Santa Cruz und Tarija konnten zwar bestätigt werden, gingen aber aus dem Referendum geschwächt hervor, womit ihre jüngst noch postulierte nationale Konsensfähigkeit ad absurdum geführt wurde. Während die Anhänger von Morales längst eine "harte Hand" gegen die Provinzialisierung von Ökonomie und Politik der "spalterischen Anti-Nation" verlangt hatten, erklärten die abtrünnigen Provinzen vor dem Referendum Morales zur Persona non grata, besetzten Flughäfen, auf die der "stinkende Indio" und der "Schwule" García Linera keinen Fuß setzen sollten. Eine unerhörte Situation, die aber Morales landesweit viel Sympathie gebracht haben dürfte.
Er gab sich konstruktiv, "patriotisch", als über den Konflikten stehender Landesvater. Unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen kündigte er an, die strittigen Punkte des Verfassungsentwurfs im Einvernehmen mit den aufrührerischen Provinzen "harmonisieren" zu wollen. Er betonte, es gehe um einen notwendigen Kompromiss "zur Rettung des Vaterlandes". Der könnte sich allerdings durch die unversöhnliche Haltung der angeschlagenen - aber nicht geschlagenen! - Opposition als schwer einlösbar erweisen.
Noch vor wenigen Wochen hatten die Gouverneure der separatistischen Provinzen verkündet, sie würden sich schwer überlegen, "ob man sich mit diesem Chávez-Zögling, der die Petrodollars aus Caracas wie ein Irrer verteilt, überhaupt an einen Tisch setzt". Dabei wurde Morales auf Kundgebungen regelmäßig in Kolonialsprache beleidigt, als "Zögling" Hugo Chávez denunziert oder schlicht ein "dreckiger Bimbo" genannt.
Das pejorative Arsenal dieser Oligarchie ist hochexplosiv und erinnert an General Hugo Banzer, der in den 70er-Jahren sich anschickte, "den Krebs des Kommunismus und der faulen Untermenschen aus dem Vaterland" auszutreiben. Dabei schreckte er nicht einmal davor zurück, "weiße Farmer" aus Südafrika, die von "Negern bedroht waren", zur Auswanderung nach Bolivien durch großzügige Grund-und-Boden-Geschenke zu überreden, damit sie die "faulen Indios" ersetzen können. Während die antikommunistische Politik in Verbindung mit dem "Plan Condor" verwirklicht werden konnte, blieb der "Plan Südafrika" eine Chimäre des rassistischen Generals. Aber seine Erben beherrschen die Rhetorik des inzwischen verstorbenen Generals perfekt. Die rassistische Rhetorik ist jedoch heute nicht das einzige Hindernis für einen Kompromiss, der für das gebeutelte Land dringend notwendig wäre. Es geht insgesamt um eine Strategie gesellschaftlicher und sozialer Integration. Die Forderung einer breiten Mehrheit der Bolivianer nach mehr Autonomie und Selbstverwaltung muss mit dem Streben der regionalistischen Rechten in Einklang gebracht werden.
Dabei geht es Morales - diesem "ewigen Verräter", so sein radikal "indianistischer" Kontrahent Felipe Quispe - nicht etwa um Sozialismus, sondern um ein linksnationalistisches Projekt, das in seinem Verfassungsentwurf verankert ist. So sieht seine Charta Magna, die noch per Referendum bestätigt werden müsste zwar vor, die Privatisierung staatlichen Eigentums zu verbieten. Sie räumt des Weiteren 36 indigenen Stämmen Eigentumsrechte, sprachliche und administrative Autonomie ein und entwirft eine Bodenreform zur Eingrenzung des Großgrundbesitzes und zur Verteilung von Grundstücken an landlose Bauern. Auch wird das Gewaltmonopol des Staates gestärkt und jegliche ausländische Militärpräsenz untersagt. Doch ebenso werden viele der Reformen neoliberaler Vorgängerregierungen beibehalten, die Dezentralisierung der Staatseinnahmen gestärkt oder eine uneingeschränkte Sicherung des Privateigentums an Produktionsmitteln und Grund und Boden garantiert. Föderale Elemente wie regionale Polizeibehörden, die Ernennung von Landesbeamten durch den jeweiligen Gouverneur sind wichtige Eckdaten.
Morales Verfassungsentwurf ist alles andere als "totalitär". Er stellt vielmehr eine Verbindung bürgerlich-demokratischer mit teilweise staatskapitalistischen Elementen dar. Es geht, folgt man García Linera, um drei historische Aufgaben, die zur Fortexistenz des Landes unerlässlich sind und nachgeholt werden müssten: "Erstens um die Herstellung von ethnischer Gleichheit, die noch eine offene Wunde aus der Kolonialzeit darstellt; zweitens um die soziale Demokratisierung und Dezentralisierung der Macht, die im Interesse der breit ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen umstrukturiert werden muss; und drittens um die Entwicklung einer produktiven und wettbewerbsfähigen Ökonomie, die imstande sein soll, Reichtum für die Mehrheit der Bevölkerung zu generieren."
Das klingt plausibel und stellt tatsächlich den Kern von Morales Politik dar, was aber für die bolivianische Opposition, die sich "antietatistisch" gibt, unannehmbar erscheint. Sie will nichts von den Gewinnen aus der stark industrialisierten Land- und Forstwirtschaft abgeben.
"Was für eine historische Ungerechtigkeit!", sagt man da zu Recht in den ärmeren westlichen Provinzen. Dabei war es einmal andersrum. Bis vor 150 Jahren lebten die Ostprovinzen Beni oder Santa Cruz von den Silber- und Zinnminen des Hochlands, in denen die "stinkenden Indios" für das gesamte Land arbeiteten. Für alle, selbst für die einstige Minenoligarchie aus den Westprovinzen von La Paz, Oruro oder Potosí war es selbstverständlich, die armen "Tropenprovinzen" im Tiefland zu alimentieren. Die "wilden Weißen" baskischer oder andalusischer Herkunft aus dem Osten lebten glücklich - und auf Kosten der Guarani-Indianer - in der üppigen Natur. "So glücklich", dass der als "Rousseau der Anden" bekannte Staatspräsident Tomás Frías 1870 schrieb, "dass wir eine Eisenbahn bauen sollten, damit sie uns zeigen, wie glücklich Bolivianer werden können."
Die Eisenbahn wurde nicht gebaut. Und das Glück blieb nur eine Robinsonade im liberalen Pathos des Präsidenten. Eine enge Landstraße sicherte den einst noch spärlichen Verkehr zwischen den Ostprovinzen und dem vergleichsweise fortgeschrittenen Westen. Erst mit der bürgerlich-demokratischen Revolution vom 1952 wurde der Osten stärker in das Land integriert, bis er dann in den 80er-Jahren schließlich zum ökonomischen Motor der Nation wurde.
Vom Halbmond zum Vollmond? Tatsächlich ist das eine Existenzfrage. Es könnte ein schwerer, sogar blutiger Weg werden. Denn eine antibolivianische Rechte wird auf absehbare Zeit keine Wahlen gewinnen.
Eine kleine Hoffnung gibt es nach dem Referendum noch, den Konflikt politisch und damit friedlich zu lösen. Die Opposition hat sich gerade bereit erklärt, mit Morales in La Paz zu verhandeln. Ob sie das ernst meint, wird sich an den Ergebnissen zeigen. Sollte die "Harmonisierung" jedoch eine Quadratur des Kreises bleiben, stehen weitere, finstere Zeiten in Bolivien bevor, das inzwischen in Lateinamerika als "Referendums-Republik" bezeichnet wird.
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