Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.
Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?
Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.
Leider gibt der Artikel nicht den vollständigen Vorschlag von Kirsch und Großmann wieder. Beide Professoren schlagen vor, jedem jungen Bürger aus einem Teil der abgeschöpften Erbschaften ein gleiches Startkapital zukommen zu lassen. Das ist für mich der wesentliche und eigentlich liberale Teil des Vorschlags Kirsch/Großmann. Denn Erben an sich wäre nicht ungerecht wenn niemand dabei übersehen würde, und jeder ein Grunderbe als persönliches Startkapital bekäme.
Den Teil der eingezogenen Erbschaften den Kirsch und Großmann in einen Fonds stecken wollen, der dann letztendlichen vom Politikerkaste verwaltet würde, könnte man duchaus als den linken Teil des Vorschlags bezeichnen.
Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.
"Blamiert hat sich nicht nur die Koalition, sondern auch die neoliberale Ökonomie als Wissenschaft."
LOL......... die neoliberale Ökonomie ist keine Wissenschaft, sondern eine Religion.
Das fängt an mit dem Glauben an ein übergeordnetes Wesen (der Markt), der mit unsichtbaren Kräften (die unsichtbare Hand) alles zum Guten wendet, wenn man nur genug Vertrauen (Glauben an die Kräfte) hat.
Wie bei jeder Religion werden Diskrepanzen zwischen Realität und Glauben - hier z.B. das Schisma des "perfekten Marktes", den es nicht gibt und niemals geben wird, entweder einfach ignoriert oder als nicht relevant angesehen.
Wenn etwas überhaupt nicht funktioniert und auch die kognitive Dissonanz die Realität nicht mehr übertünchen kann, ist nicht die tatsächliche Handlung der Verursacher sondern der Mangel an mehr. Wenn ein Gebet nicht hilft, dann zwei oder drei oder halt 1 Millionen.
Die Gebete sind dabei auch stets die selben: Geht es dem Kapital gut, geht es allen gut. Lohnkosten müssen gesenkt werden, Arbeitszeiten verlängert damit die Kaufkraft steigt und Arbeitsplätze geschaffen werden...usw. Das diese Glaubensätze und Gebete schon in sich widersprüchlich sind, spielt keine Rolle auch nicht, dass bis dato nirgendswo empirisch nachgewiesen werden konnte, dass diese auch nur im Ansatz sich in der Realität verwirklichen.
Denn schließlich handelt es sich um eine Religion, nicht um eine Wissenschaft. Selbstverständlich profitiert auch jemand davon, es ist wie immer die Kaste der Priester, hier die oberen 10%, und wie immer auf Kosten der Gläubigen.
Wenn es den Unternehmen gut geht, geht es der Gesellschaft gut. Lohnkosten müssen sinken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitszeit ist zu verlängern, damit Umsatz und Kaufkraft gesteigert werden. Dieses Dogmen-Potpourri ist nicht nur in sich widersprüchlich (wie soll bei gesenkten Löhnen und Sozialleistungen die erhöhte Warenmenge gekauft werden?), die einzelnen Kernsätze halten auch keiner faktischen Prüfung stand.
Sicherlich gibt es "den Markt" als mystisches, willentlich handelndes Wesen genauso, wie es "die Gesellschaft" als solches gibt - nämlich gar nicht.
Handelnde Einheit des Marktes - wie der Gesellschaft - ist vielmehr das Individuum, das sich mehr oder minder rational im Rahmen seiner körperlichen und geistigen Möglichkeiten um die Verwirklichung seiner persönlichen Wünsche und Vorstellungen bemüht - welche auch immer die sein mögen: Seien sie ego- oder altruistisch, qualitäts- oder quantitätsbewusst, erfolgsmaximierend oder einsatzminimierend, wirtschaftlich oder ideell ausgelegt, das Individuum sucht sich seinen Weg selbst, und viele Individuen und deren Wege zusammen machen dann den Markt aus. Der "reguliert" sich natürlich nicht selbst, sondern wabert auf eine im Wesentlichen demokratische Art und Weise zwischen den einzelnen manchmal gleichgerichteten, manchmal gegensätzlichen Interessen der Teilnehmer hin und her und wieder zurück.
Der Natur der Schwerpunktsetzung entsprechend werden die Abermillionen Einzelbewegungen des Marktes dabei tendenziell wirtschaftliche Werte bei jenen Individuen anhäufen, die geistig und körperlich fit sind und ihre Prioritäten besonders egoistisch, quantitätsbewusst, erfolgsmaximierend und natürlich wirtschaftlich dominiert setzen. Die werden also "reich" - nicht nur, aber vor allem, weil Reichsein für sie wichtiger ist als für Andere und auch ALS Alles andere. Dafür verzichten sie auf andere Werte.
Dieser Kumulation kann man in Grenzen entgegenwirken, aber es würde die Mitnahmeeffekkte für Andere zerstören, wenn man diesen Eigennutzoptimieren ihr Schaffen generell vergällen würde. Denn so ganz nebenbei schaffen die Jobs und Wohlstand auch für Andere, weil sie nicht rasten und ruhen können, solange da draußen noch Geld zu verdienen ist, und sie immer neue Wege finden, das zu tun.
Es ist also genau der VERZICHT auf die Unterstellung irgendwelcher fiktiver Kollektivwesen, der den Markt ausmacht.
Durch das aktuelle feudale Erbschaftsrecht ist die Demokratie in Deutschland massiv gefährdet. Die Eliten reißen sich - auch beim Erben - alles unter den Nagel, während für die große Mehrheit nur Krümel bleiben! Das Dumme ist hierbei: Die Eliten machen sich ihre Gesetze auch noch schön selbst. Das hat reines Zersetzungspotential und mit Gerechtigkeit nicht das Geringste zu tun.
Also, packen wir es an!
@amigo Speziell beim Erbschaftsrecht kann man aber wohl nicht abstreiten, dass sich ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung für die Interessen der Eliten einspannen lässt (warum auch immer).
Nicht alles, was auf familiärem Zusammenhalt beruht, ist deshalb gleich "dynastisch". Man kann seine Kinder und Verwandten auch einfach lieben, ihnen alles Glück der Welt wünschen und sein Möglichstes dazu tun, dass sie - zumindest wirtschaftlich - vor Unglück gefeit sind. Will sagen: Mir fehlt in den Diskussionen über die "Gerechtigkeit" (subjektivster aller vermeintlich absoluten Begriffe) des individuellen Erbrechts die Rücksichtnahme auf die Sichtweise des Erblassers, also dessen, ohne den es nichts zu erben gäbe.
Ein Vermögen zu vererben (statt es z. B. zu verprassen oder zu verschenken) ist nämlich eine der ganz ursprünglichen Arten der freien Verfügung über erworbenes (und im Zweifel bereits versteuertes) Eigentum. Die Frage sollte also weniger sein, "Hat der Erbe es verdient?" sondern vornehmlich "Hat es der Erblasser verdient, dass man ihm das Vererben verbietet?". Es ist nämlich mit Leistung und/oder Verzicht verbunden, ein Vermögen aufzubauen und bis zum Lebensende zu erhalten, das als ordentliche Erbmasse taugt. Und es sollte Sache dessen sein, der diese Leistung erbringt und den Verzicht übt, auszuwählen, für WEN er das tut. Dass unser Erbrecht als Regelfall vorsieht, dass das die eigene Familie ist, spiegelt nur die empirische Realität wieder - Gründe siehe oben.
Insofern kann man auf Basis jener "individualistisch-liberalen" Thesen im Artikel vielleicht fragen, was der Quatsch mit dem Pflichtteilsanspruch und der steuerlichen Privilegierung bestimmter Verwandter soll. Aber Menschen grundsätzlich die Entscheidung zu nehmen, was nach ihrem Tod mit ihrem Vermögen passiert, lässt sich damit nicht rechtfertigen.
Davon abgesehen ist es in der Tat blauäugig zu glauben, dass nachhaltige Vermögenswerte (Unternehmen, Erfindungen, Immobilien etc.), die auch gesellschaftlichen Wohlstand erzeugen, genauso geschaffen würden, wenn von vornherein klar wäre, dass die Eigentumsrechte daran mit dem Tod des Schaffers verfallen.
Hier ist viel Marktliberalität, Vertragsfreiheit und Tausch von Äquivalenten die Rede. Offenbar gilt das aber nicht für privates Eigentum. Wenn ich mein Leben lang arbeite, Steuern zahle und meine Erträge versteuere emfpinde ich es als zutiefst ungerecht, wenn ich mein erspartes Vermögen nicht ohne Abgaben an meine Kinder weitergeben kann. Zwar sind Schenkungen mit einem Freibetrag versehen, mich irritiert aber der neidgetragene Grundgedanken, dass mit dem Erbe ein besserer Start ermöglicht würde. Genau das beabsichtige ich ja mit der Übertragung meines Vermögens.
Autofahrer:innen stellen ein Viertel aller Verurteilten in Deutschland. Doch vielen fehlt Bewusstsein für ihre Taten.
Reform der Erbschaftsteuer: Wo Zufall und Willkür regieren
Erben ist ungerecht. Das zeigt auch ein Blick in die Ideengeschichte. Schade nur, dass das die Große Koalition wenig interessiert.
So entstand die Reform der Erbschaftssteuer: im Schweinsgalopp Foto: dpa
Die CSU, die Stiftung Familienunternehmen und die Lobby der Besserverdienenden haben die Große Koalition weichgeklopft. Die Erbschaftsteuerreform ist keine Reform, sondern ein im Schweinsgalopp fabrizierter Geschenkkatalog für Firmenerben.
Blamiert hat sich nicht nur die Koalition, sondern auch die neoliberale Ökonomie als Wissenschaft. Sie hat auf alle wichtigen Fragen immer wenigstens zwei sich ausschließende Antworten – oder gar keine: Ist Wachstum notwendig? Ist Erben in einer Gesellschaft gerechtfertigt, die angeblich auf dem Tausch von Äquivalenten und Vertragsfreiheit auf Märkten beruht?
Die Ökonomieprofessoren Guy Kirsch und Volker Großmann haben die These begründet (Süddeutsche Zeitung vom 21. 3. 2016). Sie plädieren dafür, „den Nachlass reicher Menschen zu hundert Prozent“ zu besteuern. Feinheiten wie Freibeträge und Normen für Härtefälle kann man regeln. Die herrschende Lehrmeinung hält derlei für kommunistische Ketzerei oder – im gängigen Polit-Slang – für „wachstumsfeindlich“, „systemwidrig“, „arbeitsplatzvernichtend“ usw.: sämtliche Leitartikeltonarten rauf und runter. Die beiden Professoren schlagen vor, dass Erbschaften nicht an „Erbberechtigte“ verschenkt werden, sondern in einen Fonds fließen, aus dem Vorhaben finanziert werden, die der gesamten Generation Heranwachsender dienen.
Mit Gleichmacherei hat das nichts zu tun, denn: „Wer den Einzelnen ernst nimmt, muss es geradezu als Ärgernis empfinden, wenn Söhne und Töchter reicher Väter im Zweifel nur deshalb besser als andere durch das Leben gehen können, weil sie reiche Eltern haben.“ Die beiden Autoren halten das für eine zwingende Konsequenz des „individualistischen Liberalismus“, auf den sie sich beziehen.
Trivial-Litanei des Plusmachens
Dieser Liberalismus, auf den sich auch die meisten Mainstream-Ökonomen berufen, hat seinen Ursprung im philosophisch radikalen Denken des Aufklärungszeitalters, im Gegensatz zum Vulgärliberalismus des 19. und 20. Jahrhunderts, der nur auf der buchhalterisch-trivialen Litanei des Plusmachens beruht.
Der Brauch, Vermögen zu vererben, entspringt gerade nicht dem „liberal-individualistischen“ Denken, sondern „feudal-tribalen“ Bräuchen. Die wirklichen Väter liberaler Denkweise, also jenes Konzepts in Philosophie, Ökonomie und Sozialwissenschaft, das auf der Freiheit des Individuums und auf der Aufklärung beruht, haben noch gewusst, was heutige Ökonomen nicht mehr gelernt oder vergessen haben.
Zu den Vätern des diskussionswürdigen Liberalismus gehört der Philosoph John Locke (1632–1704). Er erkannte nur zwei Formen von Eigentum an: das Eigentum „eines jeden Menschen an seiner Person“ und dasjenige an der „Arbeit seines Körpers und des Werks seiner Hände“. Vererbung von Vermögen erfüllt die zweite Bedingung nicht. Erben sind bloß Trittbrettfahrer des rechtmäßigen Erwerbs. Locke gab diesen den bündigen Bescheid: „Wer nicht den gleichen Rechtsanspruch wie der Vater, nämlich den der Zeugung, hat“, kann nicht Erbe sein.
Keine Reform, sondern ein im Schweinsgalopp fabrizierter Geschenkkatalog für Firmenerben
Lockes Gedanke richtete sich auch gegen die „natürliche“, aristokratisch-dynastische Erbfolge, mit der Namen, Titel sowie politische Gebiets- und Herrschaftsansprüche von Generation zu Generation angeblich rechtmäßig weitergereicht werden: „Niemand hat ursprünglich ein persönliches Herrschaftsrecht mit Ausschluss aller übrigen Menschen über irgendetwas.“ Darin liegt der Unterschied zwischen begründetem, „liberal-individualistischem“ Denken und bloß „feudal-tribalen“ Bräuchen, d. h. die Differenz zwischen Liberalismus und FDP-Fusel.
Immanuel Kant (1724–1804) zählte zwar Vererbung – im Unterschied zu Locke – zu den zulässigen „Erwerbsarten“, hielt aber an der liberalen, antiaristokratischen und antidynastischen Pointe fest: Staaten können weder vererbt noch getauscht, gekauft oder verschenkt werden, weil sie nicht der Dispositionsfreiheit bzw. Willkür eines Eigentümers unterliegen.
Befangene Interessentenprosa
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) machte auf ein Problem jeder Vererbung aufmerksam, das mit der Geschichte und der Stellung des vererbenden Familienvaters zu tun hat. Nach römischem Recht verfügt das Familienoberhaupt („pater familias“) über uneingeschränkte Gewalt, d. h. „die Macht über Leben und Tod“ („vitae necisque potestas“). Er konnte Frauen und Kinder töten lassen, in die Sklaverei verstoßen oder verkaufen. Auch die Erbfolge unterlag nur „der Willkür“ des Familienoberhaupts. „Das Unsittliche solcher und anderer Rechte“ (Hegel) ist evident. Die jahrhundertealten Versuche, die mit dem Vererben von Vermögen verbundene genuine Willkür und Unsittlichkeit in einem Prozess „tumultarischen Gesetzgebens“ (Hegel) rechtlich zu ordnen und in sittlich akzeptable Bahnen zu lenken, produzierten nach Hegel nur „das Schwierige und Fehlerhafte in unserem Erbrechte.“
Ein „gerechtes Erbrecht“ blieb zu jeder Zeit ein Widerspruch, weil Willkür mit keinem noch so seichten Begriff von Recht und Gerechtigkeit zusammenzubringen ist. Davon hatten Sozialwissenschaftler in den 20er Jahren noch eine Ahnung, als sie im maßgeblichen „Wörterbuch der Staatswissenschaften“ 1926 trocken registrierten, dass „die Gerechtigkeit des Erbrechts Zufall“, also nichtig geworden sei. Alle bisherigen Erbrechts-„Reformen“ setzen nur den Zufall an die Stelle der Unsittlichkeit und Willkür bei der Vererbung.
Die Debatten über die neueste Erbschaftsteuer-„Reform“ sind von solcher Einsicht weit entfernt. Sie reproduzieren nur Varianten der in „feudal-tribalem“ Denken befangenen Interessentenprosa im ökonomischen, juristischen oder politischen Jargon à la mode.
Kirsch und Grossmann benannten den Kern jeder Debatte über Erbschaftsteuern: „Die Akzeptanz einer marktwirtschaftlichen Ordnung setzt Chancengleichheit voraus, welche ein urliberales Anliegen ist. (…) Es geht auch darum, dass wir Wachstum und Wohlstandsmehrung nicht zugunsten reicher Erben opfern, indem wir die Entfaltungsmöglichkeiten anderer beeinträchtigen.“ Daran erinnert zu haben, dafür können die beiden Schweizer Ökonomen nicht laut genug gelobt werden.
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!
Inhaltliches Feedback?
Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.
Kommentar von
Rudolf Walther
Autor*in
Themen
mehr von
Rudolf Walther