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Referendum spaltet Deutschtürken„Hajo“ und „Hayır“ in Mannheim

In Mannheim hat Integration geklappt, meinen die „Mannemer“. Das türkische Referendum reißt Gräben zwischen Leuten mit türkischem Pass auf.

Kirchturm und Minarett stehen in Mannheim-Jungbusch nahe beisammen, Freunde und Gegner Erdogans eher nicht Foto: Imago / epd

Mannheim taz | Dieser Bosporus liegt zwischen Lidl und Lale Döner, zwischen Café Meydan und dem barocken Rathaus. Er ist etwa 100 Meter breit und gepflastert – der Mannheimer Marktplatz. Wer ihn überquert, ist mitten in einem Getümmel mit anderem Sound, anderen Bildern: opulente Brautkleidläden, Döner-Grills, Süpermerkezi und orientalische Bäckereien wechseln ab mit vielfrequentierten Barbiershops, wo bärtige Männer Tee in schmalen Gläsern trinken, davor herrenlose Einkaufstrolleys und Frauen, die in Gruppen zusammenstehen, ihre Kinder in Buggys.

Hier ist Klein-Istanbul, wie die Einheimischen sagen, das raue Mannheim gemischt mit dem lauten Istanbul. Der Geruch der Schokoladenfabrik und der von gegrillten Lammspießen mischen sich, wie Kurpfälzisch und Türkisch. wie „Hajo“, und „Hayır“ – ja sicher und nein.

144 Nationalitäten sind es allein in den 150 Quadraten der Mannheimer Innenstadt. Die größte Bevölkerungsgruppe im Viertel sind Türken, aber viele Kurden leben auch hier – größtenteils friedlich.

Jetzt allerdings ist die Anspannung vor dem Referendum über die Verfassungsänderung in der Türkei zu spüren. Der Auftritt eines türkischen Politikers wurde vor ein paar Wochen abgesagt. Zu groß ist die Angst vor Ausschreitungen, so wie es sie vor zwei Jahren gab. Damals gingen Türken und Kurden nach einer türkischen Kundgebung gegen die PKK aufeinander los.

Zwei junge Männer, blaue Anzüge, weiße Hemden, spazieren über den Marktplatz, hinein in die Verbindungsachse zwischen Innenstadt und Hafenviertel, Mannheims Seidenstraße. Vorbei am Fischladen, den Wettbüros, die immer voll sind. Vorbei am Bierkistl, der Kneipe mit den labbrigen Deutschlandflaggen auf dem Dach, die ziemlich einsam zwischen einem türkischen Gemüseladen und einem Punjabi-Shop liegt.

In der Hand halten die beiden Männer ein Bündel hellgelber Flyer. Darauf steht in fetten Buchstaben: Evet – Ja. In einem Dönerladen sprechen sie einen jungen Mann an. Das Wort „Evet“ fällt so oft wie „Erdoğan“. Nach längerem Zögern nimmt Erkan, (so soll er hier heißen) einen Flyer, schaut darauf, legt ihn auf die Theke neben die Kasse.

Erkan spricht leise, sein Deutsch ist holprig. Er habe die beiden gefragt, warum er für das Präsidialsystem stimmen soll. Aber sie hätten ihm keine Antwort geben können. „Wenn du mich fragst, was in einem Döner ist, kann ich es dir genau sagen. Das ist meine Arbeit, ich muss das wissen. Diese Jungs haben keine Ahnung, worum es geht“, sagt er. Er ist sich sicher, dass sie es nur für Geld machen.

Verwaltungswillkür

Erkan ist Kurde, stammt aus Sanliurfa, nahe der syrischen Grenze. Der Stadt, in der auch Abdullah Öcalan, der Führer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, geboren wurde. Weil Erkan hier an pro-kurdischen Demonstrationen teilnahm und Mitglied in Kulturvereinen war, stand irgendwann der Verfassungsschutz vor der Tür. Seine Familie durfte er deshalb bisher nicht nachholen.

Im Referendum wird er für Nein stimmen. „Aber es spielt keine Rolle. Erdoğan ist längst König“, sagt er, „die Verfassungsreform ist nur dazu da, dass er später nicht verurteilt werden kann.“ Dann betreten neue Gäste den Laden, er steht auf, ein andermal, sagt er. Vielleicht, wenn seine Familie hier ist.

Das ist keine Verfassung für die Türkei, sondern für Erdoğan. Was ihr Deutschen hinter euch habt, haben wir vor uns

Von draußen dringt Mittagslärm in den Laden, irgendwo sirrt eine Alarmanlage, klopft ein Presslufthammer. Vor der Polizeiwache brüllt sich ein rumänisches Pärchen an, bis jemand aus einem Fenster ruft: „Halt die Gosch.“

Am Ende der Straße gelangt man in den Jungbusch, das Hafenviertel. Der Verputz an den alten Backsteingebäuden, früher Kaufmannshäuser, bröckelt. Der Geruch der Schokoladenfabrik ist intensiver, bei Ostwind unerträglich. Vor dem Rhodos sitzen die ersten Trinker mit Germania – dem Mannheimer Bier. Ein Mann mit Kappe und Bauch beschwert sich bei einem Polizisten über die Junkies in der Straße. „Kunn ma do ned mo was mache?“

Ein Kirchturm, ein Minarett

Der rot leuchtende Schriftzug der Onkel-Otto-Bar ist ein Relikt aus der Zeit, als hier Gastarbeiter ihr Feierabendbier tranken und Prostituierte die Straße säumten. Arbeiterviertel, Rotlichtmilieu, Ausländerviertel. Hier lebten Türken, Kurden, Italiener zusammen. Im Hafen, auf dem Bau oder am Fließband waren sie Kollegen. Heute heißen die Kneipen zwar noch immer Störtebeker oder Kombüse, doch das Publikum ist ein anderes. Am Wochenende tönt aus den Läden Elektro, statt Bier fließt jetzt Aperol Spritz.

Das Tor zum Jungbusch besteht aus zwei Türmen. Ein Kirchturm aus rotem Sandstein, und gegenüber das Minarett der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, eine der ersten und lange Zeit die größte in Deutschland. Ein runder Eckbau in Türkis mit winzigen, dreieckigen Fenstern wie Schießscharten. Der Anbau in Rosa, von außen hässlich – wie so vieles in Mannheim.

„Hier stimmen alle dafür“, sagt Hakan und meint die Verfassungsänderung. Er trinkt Kaffee in der Bäckerei, die sich im Erdgeschoss der Moschee befindet. Hakan ist froh, dass Erdoğan den Islam stärkt. Seine Frau, die Lippen so rot geschminkt wie die Farbe ihres Kopftuchs, steht neben ihm und nickt. Ab und zu sagt sie etwas auf Türkisch, ihr Mann übersetzt. Hakan ist 42 Jahre alt, er ist in Deutschland geboren. „Ich bin Türke“, sagt er trotzdem. Die Politik habe Integration mit Assimilation verwechselt. Er erzählt, wie ein Lehrer zu seinem Sohn gesagt hat, Erdoğan sei ein Diktator. „Was sull dan des?“, fragt er empört.

Man könne mit Deutschen nicht mehr diskutieren. Meinungsfreiheit bedeute, dass man so denken müsse wie die Deutschen, sagt Hakan, aber „meine Seele lebt in der Türkei“. Trotzdem: Zurück will Hakan nicht, er fühlt sich wohl in Mannheim. „Weil hier so viele Ausländer wohnen.“ Warum stimmt er dann für ein System, in dem er selbst nicht leben möchte? „Wir wissen, was für uns das Beste ist“, sagt er.

Jahrelang galt die Stadt mit der viertgrößten türkischen Gemeinde in Deutschland als Vorbild für Integration und Zusammenleben. Mannheim war bekannt für seinen Lokalpatriotismus. Für Bülent Ceylan, für Spaghetti-Eis, für Waldhof Mannheim. Da gab es Mannheimer und Nicht-Mannheimer, nett und Depp. Was ist daraus geworden?

Verfassungswillkür

Vielleicht weiß es Nazan Kapan. Sie sitzt in einem Café im Mannheimer Stadthaus auf der anderen Seite des Markplatzes. Ein Achtziger-Jahre-Bau mit Passagencharme, überdröhnt von lauter Techno-Musik. Ein paar Eishockey-Fans haben sich um einen Ghettoblaster versammelt. „Adler Monnem“, beginnt einer von ihnen, aber niemand stimmt ein.

Nazan Kapan lacht. „Typisch Mannheim“. Die 55-Jährige ist SPD-Mitglied und Gemeinderätin, ihr Vater war einer der ersten Gastarbeiter, sie kam als Kind aus der Türkei hierher.

Sie glaubt, Mannheim sei toleranter als andere Teile Deutschland. „Hier ist Vielfalt doch Normalität.“ Trotzdem würde sich jetzt, vor dem Referendum, die Kurzsichtigkeit der damaligen Integrationspolitik offenbaren. „Erdoğan ist das Sinnbild vom anatolischen Jungen, ein Symbol für Rückständigkeit. Dieser anatolische ‚Bauer‘ ist auch nach Deutschland eingewandert. Die Politik hat nicht verstanden, dass diese Menschen bleiben werden. Ich kenne das permanente Abgewertet-Werden“, sagt sie, als Frau, als Türkin, als Muslimin. „Du als Türkin verstehst das nicht“, die Grundschullehrerin sagte es zu ihr und sie hört es bis heute immer wieder.

Für viele Deutschtürken seien solche Erfahrungen ein Grund, für die Verfassungsänderung zu stimmen. „Menschen, die sich permanent in dieser Benachteiligung definieren, suchen nach einer klaren Führungspersönlichkeit.“ Sie selbst stimmt mit Nein, auch wenn sie dafür knapp 70 Kilometer zum Generalkonsulat nach Karlsruhe fahren muss.

Ein älterer Kollege aus dem Gemeinderat bleibt vor dem Tisch, an dem sie sitzt, stehen und legt sofort los. „Erdoğan versucht, sich die Verfassung anzupassen. Das ist keine Verfassung für die Türkei, sondern für ihn selbst. Was ihr Deutschen hinter euch habt, haben wir vor uns“, sagt er.

„Ich fliege bald zu meinen Eltern in die Türkei. Ich fühle mich schon jetzt unwohl“, sagt Kapan. Der Hass in den sozialen Medien, der auch ihr entgegenschlägt, hat sie ängstlich gemacht. „Hast du die doppelte Staatsbürgerschaft?“, fragt ihr Kollege. „Ja, leider.“

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