Referendum in der Türkei: Abstimmung über Wahlverfahren
Nach langem Streit entscheidet die türkische Bevölkerung am Sonntag das Prozedere künftiger Präsidentenwahlen.
ISTANBUL taz Am Sonntag wird die türkische Bevölkerung in einem Referendum darüber abstimmen, ob der Staatspräsident künftig direkt vom Volk oder weiterhin im Parlament gewählt wird. Nach längeren juristischen und verfahrenstechnischen Debatten hatte die Wahlkommission erst am Mittwoch endgültig grünes Licht für den Abstimmungstermin am Sonntag gegeben. Damit kommt die in diesem Jahr so erbittert geführte Auseinandersetzung über die Wahl eines neuen Präsidenten nun zu einem Abschluss.
Am Dienstag hatte das Parlament zwei Artikel des Gesetzestextes geändert, der den Wählern nun vorgelegt wird. Darin stand ursprünglich, der 11. Präsident der Republik werde durch das Volk gewählt. Weil nach der Formulierung des Gesetzentwurfs im Frühjahr, der als Reaktion auf die formaljuristische Verhinderung der Wahl Abdullah Güls durch das Parlament im Mai von der Regierungsfraktion mit heißer Nadel gestrickt worden war, aber dann im August doch noch einmal eine Präsidentenwahl durch das Parlament zustande kam, ist der 11. Präsident nun schon im Amt. Damit Gül nach dem Referendum nicht wieder zurücktreten muss, änderte die Regierungsmehrheit nun den Text.
Problematischer als diese Formfragen ist jedoch die mangelnde inhaltliche Ausgestaltung der zukünftigen Präsidentenrolle. Nach der geltenden Verfassung liegt die Machtposition des türkischen Präsidenten zwischen dem rein repräsentativen deutschen Modell und den mächtigen Präsidenten der USA oder Frankreichs. Er hat keine exekutiven Befugnisse, ist aber Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat entscheidenden Einfluss auf sämtliche Ernennungen höherer Staatsbeamter. Außerdem kann er Gesetzesvorhaben blockieren. Kritiker weisen nun darauf hin, dass von der regierenden AKP immer gefordert wurde, die Kompetenzen des Präsidenten einzuschränken, ein vom Volk gewählter Präsident aber doch automatisch eine größere Legitimität hat als ein vom Parlament designierter.
Zwar wird in der Gesetzvorlage geregelt, dass der vom Volk gewählte Präsident künftig nur noch für fünf statt wie bisher für sieben Jahre bestimmt wird und dafür dann für eine zweite Periode kandidieren darf. Aber was er genau tun oder lassen soll, steht nicht fest. Trotzdem rechnen alle Beobachter damit, dass der Antrag im Referendum angenommen wird. Es sei denn, er scheitert an zu geringer Beteiligung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!