Referendum in Ägypten: Umstrittene Verfassung tritt in Kraft
Bis zu den Wahlen in sechzig Tagen übernimmt das Oberhaus die parlamentarischen Befugnisse. Dort stellen die Islamisten die Mehrheit.
KAIRO rtr/dpa/afp | Ägypten hat von nun an eine islamistisch geprägte Verfassung. Präsident Mohammed Mursi setzte das umstrittene Regelwerk nach Veröffentlichung der offiziellen Endergebnisse der Volksabstimmung am späten Dienstagabend mit seiner Unterschrift in Kraft. Damit ist der Weg für Parlamentswahlen frei, die in rund zwei Monaten stattfinden sollen.
In den zwei Durchgängen des Referendums votierten 63,8 Prozent der Wähler für den Verfassungsentwurf. Die Wahlkommission erklärte, es seien keine schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten entdeckt worden. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei nur knapp 33 Prozent.
Regierungschef Hischam Kandil erklärte nach dem Referendum, es gebe weder Sieger noch Verlierer, „die Verfassung ist für uns alle da“. Gleichzeitig rief er alle politischen Kräfte zum Dialog auf, um nun gemeinsam an einer Gesundung der angeschlagenen Wirtschaft zu arbeiten. Auch die USA und die EU riefen zur Versöhnung auf. Es sei nun an der Zeit für Kompromisse, hieß es aus dem US-Außenministerium.
Die Opposition erklärte, sie werde ihren Kampf gegen die Verfassung fortsetzen. Der Regierungskritiker Hamdin Sabahi, der bei den Präsidentschaftswahlen im Sommer auf den dritten Platz kam, sagte, die oppositionelle Nationale Rettungsfront werde zwar nicht zum zivilen Widerstand aufrufen, aber mit friedlichen Mitteln weiter gegen die Verfassung kämpfen. „Von Anfang an hat die Nationale Rettungsfront gesagt, dass diese Verfassung nicht das Volk repräsentiert“, sagte Sabahi. „Das ist keine Verfassung des nationalen Konsenses, sondern der nationalen Teilung.“ Einen Eingriff der Streitkräfte lehnte er ab. Der Muslimbruderschaft warf Sabahi vor, nach der absoluten Macht in Ägypten zu streben.
Nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung übernahm das ägyptische Oberhaus vorübergehend die parlamentarischen Befugnisse von Präsident Mohammed Mursi. Das Staatsfernsehen übertrug am Mittwoch die erste Sitzung des vollständigen Schura-Rats in Kairo. Die 270 Mitglieder der zweiten Parlamentskammer sollen so lange Gesetze beschließen, bis ein neues Unterhaus gewählt ist.
Die Schura wird von Islamisten dominiert. Sie machen mehr als 70 Prozent des Gremiums aus. Das erste nach dem Arabischen Frühling gewählte Unterhaus war im Sommer aufgelöst worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!