Reeves & Kenneally über "Side by Side": "Das ist das Ende des Mediums Film"
"Side by Side" von Keanu Reeves als Produzent und Christopher Kenneally als Regisseur zeigt den Übergang vom Zelluloid- zum Digitalkino. Sie sind naiv herangegangen, sagen sie.
taz: Herr Reeves, Herr Kenneally, was war der Auslöser, "Side by Side" zu drehen?
Keanu Reeves: Der ausschlaggebende Impuls für mich war das Gefühl, auf dem Gebiet des Filmemachens an eine Weggabelung gelangt zu sein. An einen Punkt, an dem mehr und mehr digitale Bilder im Umlauf sind - nicht nur in der Werbung und im Fernsehen, sondern auch im Hollywood-Kino. Für mich stand plötzlich die eine große Frage im Raum: Stehen wir vor dem Ende des Filmemachens auf Zelluloid?
Christopher Kenneally: Die Bildqualität des digitalen Kinos hat mittlerweile zu der von Film aufgeschlossen. Vor ein paar Jahren war es noch so, dass man, wenn man die Möglichkeit hatte, auf Film zu drehen, das in der Regel auch getan hat. Jetzt sieht man plötzlich immer mehr Filmemacher, die sich tatsächlich bewusst dafür entscheiden, digital zu drehen. Das ist eine erstaunliche Entwicklung. Und so haben wir beide angefangen, oft darüber zu diskutieren und irgendwann sagte Keanu zu mir …
Reeves: … lass uns einen Film machen.
Sie haben das Konzept von "Side by Side" gemeinsam entwickelt?
Kenneally: Vor ein paar Jahren haben wir gemeinsam an "Henrys Crime" gearbeitet - Keanu war Produzent und Hauptdarsteller, ich war für die Postproduktion zuständig. Während der Arbeit kamen diese Gespräche immer wieder auf, ohne dass wir groß darüber nachgedacht hätten.
1964 in Beirut geboren, wurde als Chevalier Danceny in Stephen Frears "Dangerous Liaisons" (1988) bekannt. Es folgten Hauptrollen in Independent-Filmen wie Gus Van Sants "My Own Private Idaho", vor allem aber in Blockbustern wie "Speed". Seinen bisher größten Erfolg erzielte Reeves in der "Matrix"-Trilogie - als Neo.
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Chris Kenneally
1970 in Hartford, Connecticut, geboren, war bisher primär als Postproduction Supervisor tätig. Sein Spielfilm "Crazy Legs Conti: Zen and the Art of Competitive Eating" (2004) feierte auf dem Tribeca Film Festival Premiere.
Reeves: Es hat sich alles sehr natürlich ergeben.
Kenneally: Und irgendwann haben wir dann einfach eine Kamera in die Hand genommen und angefangen zu filmen.
In "Side by Side" kommen Regisseure wie Martin Scorsese, David Lynch oder Steven Soderbergh ebenso zu Wort wie der Kameramann Anthony Dod Mantle, der mit einer Digitalkamera den Look von Thomas Vinterbergs "Das Fest" kreierte. Wussten Sie schon im Vorfeld, wen Sie interviewen möchten?
Kenneally: Wir hatten eine Liste mit Namen, die sich allerdings ständig verändert hat, weil uns unsere jeweiligen Gesprächspartner immer wieder neue Namen von Leuten genannt haben, mit denen wir uns unbedingt unterhalten sollten.
Reeves: Ein Mitarbeiter von Technicolor in New York gab uns dann den Tipp, auf das "Camerimage"-Festival nach Polen zu fahren, wo man viele Kameraleute treffen könne.
Kenneally: Als wir dort angekommen sind, haben wir uns einfach die Kameraleute auf den Gängen des Festivalgeländes geschnappt und sie gefragt, ob wir sie interviewen dürfen.
Wie waren die Reaktionen?
Kenneally: Bei vielen hatten wir das Gefühl, dass sie schon länger darauf gewartet hatten, dass jemand sie zu diesem Thema befragt.
Reeves: Wir sind mit einer gewissen Naivität an die Sache herangegangen. Ich denke, dass man das auch merkt, wenn man sich den Film anschaut. Aber gerade dadurch haben wir unsere Gesprächspartner zum Reden gebracht.
Halten Sie den Wandel, den Sie in "Side by Side" dokumentieren, für einen Paradigmenwechsel auf dem Gebiet des Filmemachens?
Kenneally: Ich denke, für den Zuschauer sind die Veränderungen oft nicht unbedingt so augenfällig. Dass man eine Geschichte auf eine packende Art und Weise erzählen muss, daran hat sich ja nichts geändert. Der Workflow hinter den Kulissen aber, der verändert sich gerade immens. Genauso wie die Arbeit am Set. Aber bezogen auf die Geschichten selbst bin ich nicht so sicher. Wobei, "Avatar" oder "Sin City", das sind Filme, die es ohne die Digitaltechnik natürlich nicht gegeben hätte.
Reeves: Für mich liegt die größte Veränderung nicht in den sich wandelnden kreativen Abläufen, sondern schlichtweg darin, dass etwas zu Ende geht: Wir erleben das Ende des Mediums Film. Das ist der ganz große Einschnitt. Der Prozess des Filmemachens selbst ist relativ konstant.
Abgesehen von Lena Dunham, deren Film "Tiny Furniture" 2010 ein Überraschungserfolg in den US-amerikanischen Arthouse-Kinos war, kommen in "Side by Side" kaum Lowbudgetfilmer vor. Dabei bieten doch die günstigen DSLR-Foto-Kameras gerade ihnen ganz neue Möglichkeiten.
Reeves: Ich finde, dass die Möglichkeiten, die sich Independent-Filmern durch das digitale Filmemachen eröffnen, im Film durchaus auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen werden. Auch Richard Linklater spricht ja davon, dass ihm die digitale Filmtechnik die Chance gegeben hat, etwas zu tun, was vorher nicht möglich gewesen wäre.
Kenneally: Das Tolle am digitalen Filmemachen ist doch, dass mit ihm eine Demokratisierung einhergeht: Menschen, die zuvor aus finanziellen Gründen vom Filmemachen ausgeschlossen waren, können nun auf sehr günstige Weise drehen. Mehr Menschen haben die Möglichkeit, filmisch Geschichten zu erzählen. Dadurch werden sehr viel mehr gute Filme entstehen - aber natürlich auch sehr viel mehr schlechte.
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