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Reden von ParlamentariernMaulkorb im Bundestag sorgt für Protest

Sollen nur noch stromlinienförmige Meinungen im Bundestag geäußert werden? Ein Entwurf von Union, SPD und FDP sieht vor, nur noch von Fraktionen bestimmte Politiker ans Mikro zu lassen.

Wer künftig nach vorne treten darf im Bundestag, wollen einige Parteien gern regulieren. Bild: dapd

BERLIN dpa | Abgeordnete sollen im Bundestag künftig nur noch ans Rednerpult treten dürfen, wenn es den Fraktionen passt. Das sieht ein Entwurf von Union, SPD und FDP vor, der im Parlament für helle Aufregung sorgt. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) erteilt den Vorschlägen eine klare Absage.

Thierse argumentierte in der Zeitung Sonntag Aktuell, eine starre Regelung, wer reden dürfe und wer nicht, „wäre nicht sinnvoll und entspräche weder dem Geist des Parlamentarismus noch dem Inhalt der Debatten“.

Wie die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf einen Entwurf des Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages berichtet, sollen künftig nur Parlamentarier das Wort erhalten, die von den Fraktionen bestimmt wurden. Andere Abgeordnete dürfte der Parlamentspräsident dann nur noch ausnahmsweise und maximal drei Minuten lang reden lassen – und zwar nach Rücksprache mit den Fraktionen. Darüber wede am 26. April im Bundestagsplenum abgestimmt.

Die geplante Neuregelung gilt auch als Konsequenz aus der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm im September. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) löste damals großen Unmut aus, weil er außer der Reihe die Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) ans Rednerpult ließ, die von ihren Fraktionen abweichende Meinungen vertraten. Die Fraktionschefs protestierten, der Ältestenrat des Bundestags erteilte Lammert eine Rüge.

Schäffler nannte die Geschäftsordnungspläne eine „Kastration der Abgeordneten durch die Abgeordneten selbst“. Zu Handelsblatt Online sagte er: „Das Parlament muss auch die Minderheit schützen, das zeichnet eine starke parlamentarische Demokratie aus“. Der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, kündigte Widerstand an: „Mit der faktischen Abschaffung der mündlichen Erklärung zur Abstimmung wird die Artikulation des einzelnen Abgeordneten in Konfliktsituationen mit seiner Fraktion massiv eingeschränkt“, sagte er. „Die Vorschläge werden weder von Grünen und Linken noch vom Präsidenten akzeptiert. Sie sind nicht entscheidungsreif.“

Die FDP-Abgeordnete Sylvia Canel sagte der Hamburger Morgenpost: „Das ist ein nicht hinnehmbarer, massiver Einschnitt in die Rechte des Bundestagspräsidenten.“ Linken-Chef Klaus Ernst sagte dem Blatt: „Ein Maulkorb für Kritiker kommt für uns nicht in die Tüte.“

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17 Kommentare

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  • N
    noevil

    Erst mal denkt man an einen verspäteten Aprilscherz und will lachend zur Tagesordnung übergehen. Aber dann schnappt man doch nach Luft, liest das Ganze nochmal und schaut sich doch recht fassungslos um, wo denn der allgemeine Aufschrei über das bleibt, was sich da zusammenbraut.

     

    Da können wir uns ja gleich unsere ganze pensionsberechtigte Phalanx von Bundestagsabgeordneten sparen. Kommt wenigstens billiger. Am besten gleich nur noch die Fraktionsvorsitzenden reden und entscheiden lassen - bis endlich der letzte Deutsche kapiert, was da im gange ist.

     

    Was sagt denn der Bundestagspräsident dazu - und unser neuer Bundespräsident? Ach so, der letztere repräsentiert ja nur - Freiheit! Und wo bleibt sie dann - die Rede-Freiheit?

     

    Mein Aufschrei: ICH FASS ES NICHT!!

  • I
    IHannah

    Hier wird an den Grundfesten der Demokratie gesägt! Neu-rechte Ideologen, bekanntermaßen Feinde des Parlamentarismus, wirds freuen. Folge der geplanten Regelung werden zukünftig noch mehr auf Linie gebürstete Fraktionsmitglieder sein, die, im Interesse ihrer Karriere und / oder weil sie unfähig zu innerfraktionellem Widerspruch sind, brav im Meinungseinheitsbrei mit schwimmen. Dramatisch, wie weit sich die Tendenz zu Konformität und widerspruchslosem ´Grau-Sein` bereits in bundesdeutsche Köpfe, Herzen, Strukturen gefressen hat. Erschütternd, dass nicht ein großer allgemeiner Aufschrei gegen diesen Plan eines verordneten Maulhaltens zu hören ist!

  • WS
    Wolfgang Siebert

    Das sollten wir uns nicht gefallen lassen und unsere verschlafenen Abgeordneten mal ein bisschen wachrütteln!

    Schreibt alle eMails an eure Abgeordneten: vorname.nachname@bundestag.de!

  • M
    Marvin

    Wer erinnert sich noch daran, dass die Grünenfraktion AUSLOSEN ließ, wer damals gemäß eigenem Gewissen GEGEN den Krieg stimmen DURFTE - und wer nicht, um die rotgrüne Kriegsmehrheit nicht zu gefährden? Richtig: Niemand erinnert sich daran.

     

    Deswegen wirkt das grüne Engagement gegen den Fraktionszwang auch so richtig vielfältig, bunt & überzeugend!

  • ET
    Erwin Thomasius

    Meine Schlussfolgerung aus dem Artikel:

    Die Abgeordneten von CDU, SPD und FDP im Deutschen Bundestag sind in ihrer Mehrheit für den Abbau der Demokratie in Deutschland.

  • C
    Chamberlain

    Ermächtigungsgesetz, ick hör dia Trappsen.

     

    Geile Show zur Zeit. Ich lache mich kaputt und das Ausbeut- und Wahlvieh grast munter weiter.

     

    Ob ich schon mal meine Häftlingsuniform schneidern lasse?

     

    C

  • M
    Marvin

    Indiskutabel und undemokratisch.

     

    Das sind ja Frankfurter Verhältnisse:

    http://www.jutta-ditfurth.de/allgemein/OekoLinX-ARL_20080526_Ditfurth-Ruecktritt.pdf

  • GS
    Guido Schümann

    Quo vadis, Deutschland? Quo vadis, Demokratie?

     

    Das Rederecht der vom Volk gewählten Abgeordneten im Parlament ist ein kostbares Gut. Der Bundestagspräsident Herr Lammert hat dies bereits bei der Debatte um den Euro-Rettungsschirm erkannt.

     

    Unerträglich: In Deutschland soll nun von Politikern, die von sich behaupten, das Volk zu vertreten, auf (formal korrektem?) demokratischem Wege die Möglichkeit zur Äußerung einer Meinung, die von vorgegebenen Fraktionsmehrheiten abweicht, noch weiter eingeschränkt bis fast unmöglich gemacht werden.

     

    Es ist nicht zu fassen: Deutschland schafft sich und die positiven Tugenden und Grundwerte, für die dieses Land lange Zeit stand, immer mehr ab.

     

    Wehret den Anfängen! Sonst heißt es in Zukunft nur noch: Gute Nacht, Demokratie! Gute Nacht, Deutschland!

  • MC
    Manfred Corte

    .... wäre es nicht besser diese Schwatzbude der Abnicker ganz zu schließen? Der Bundestag hat doch weitgehend nur noch Alibi-Funktion und simuliert Demokratie nur noch nach außen. Es gibt doch auch nur noch Vereinzelte, denen es sich lohnt zuzuhören. Sie reden zwar - aber zu sagen haben sie - nichts ....

  • D
    D.J.

    Eigentlich wollte ich die Kindertruppe von den Piraten nicht wählen (Grüne und Linke kommen für mich ohnehin nicht mehr in Frage). Da ich aber Demokrat bin, verbietet mir mein gewissen, diese Demokratiefeinde von CDU, SPD, FDP zu wählen.

    Merken diese Demokratiedarsteller eigentlich nicht, dass aus Verachtung durch die Bevölkerung allmählich blanker Hass auf sie wird?

  • W
    Weinberg

    Für die Maulkorb-Fans von CDU/CSU, SPD und FDP wird es erneut Nachhilfeunterricht in Sachen Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht geben!

  • FJ
    Franz J.A. Romer

    mit der Selbstentmachtung endete die weimarer-Republik, in der auch keiner wirklich regieren wollte. Der Rest ist ja denn hoffentlich bekannt. Diese Parlamentarierer, die den Antrag einbrachten gehören dringend in der nächsten Wahl entfernt, jedoch das geht auch nicht. Denn das verhinderten die Politdiktatoren, indem sie sich vom Bundesverfassungsgericht, - (welches von den Abgeordneten gewählt wird - statt vom Bürger) - bescheinigen ließen, dass der Passus in Artikel 38.(1) des Grundgesetzes: "Die Abgeordneten [...] werden in [...] unmittelbarer, [...]Wahl gewählt.", keine Aufforderung zu einer direkten Wahl sei. So werden wir die "Bande" nicht los, denn sie tauchen dann unabänderlich in den Listen wieder auf.

  • GB
    Golo Baake

    Ein bischen Ungarn .....

  • A
    Arne

    Oh, wie schrecklich! Abgeordnte, die sich dank der Protektion ihrer Partei in ein Parlament wählen ließen und dort dann auch noch der Fraktion angehören wollen (was für Ausschußsitze und viel Knete sorgt), müssen sich auch noch dieser unterordnen.

    Wie sollen die das nur verkraften, wo doch jeder Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft immer sagen darf, was er will.

  • F
    F.Schmoldt

    Einen Maulkorb für Abgeordnete - na Klasse, dann sind wir ja wieder in Volkskammer der ehemaligen DDR.Nichts mehr mit Demokratie, oder was?

  • T
    Thomas

    Wer ist denn da im Bundestag (als Person) dafür? Muss ja irgendwer.

     

    Wie begründen die denn die Alternativlosigkeit oder überhaupt den ganzen abstrusen Gedanken?

    Bei so einem Mechanismus kann man nicht mehr das Optimierungsgequatsche vorbringen. Das wäre, als würde man das BVerfG aus Kostengründen abschaffen, um die Implementierung von Gesetzen effizienter zu gestalten.

     

    Würde mich wirklich interessieren, was die Pro-Leute dazu zu sagen haben. Ich würde so gerne lachen.

  • B
    brikan

    Liebe Genossen

    willkommen in der Volkskammer.Eure Freiheit besteht darin zu tun was ich sage.Und willst du nicht mein Bruder sein so schl......