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Reden über Pilze

Irlands drakonische Zensur gegen Sinn Fein et alii im 21. Jahr  ■ Von Michael Farrell

Vor einigen Jahren brach in einem Gästehaus des irischen Ferienstädtchens Bundoran ein schweres Feuer aus. Ein Reporter der nationalen Fernsehgesellschaft Radio Telefis Eireann (RTE) schickte das Interview mit einem Augenzeugen an die Sendezentrale – und obwohl Nachricht und Interview von allgemeinem Interesse waren, wurde es nie gesendet.

In der Sendezentrale von RTE in Dublin hatte jemand entdeckt, daß der Augenzeuge Mitglied von Sinn Fein ist, der politischen Partei, die die IRA unterstützt. Nun war weder an dem Interview noch an dem Feuer irgend etwas „politisch“ – aber unter den drakonischen Zensurgesetzen der Republik Irland sind alle Interviews beziehungsweise Sendungen mit „Sprechern“ von Sinn Fein verboten. Das Management von RTE interpetierte dies so, daß Interviews mit Mitgliedern von Sinn Fein, und zwar egal über welches Thema, bei ihnen nicht erscheinen dürfen.

Ein Aktivist der Schwulenbewegung beteiligte sich einmal an einem phone-in mit dem Gesundheitsminister in einer Diskussion über Maßnahmen zum Schutz vor Aids; als man entdeckte, daß er Mitglied von Sinn Fein ist, wurde sein Beitrag abrupt abgebrochen. In einem anderen Fall beteiligte sich jemand telefonisch an einer Sendung für Gartentips und fragte nach dem Züchten von Pilzen; auch er wurde unzeremoniell vom Mikrophon abgeschnitten, als klar wurde, daß auch er Sinn Fein angehörte.

Diese Fälle sind vielleicht noch zum Lachen, aber ansonsten ist nichts witzig am Paragraph 31 des Irish-Broadcasting-Authority-Gesetzes von 1960. Es erlaubt dem Minister, der für die Sendeanstalten zuständig ist, alles zu verbieten, was eventuell „Verbrechen fördert oder dazu aufruft oder sonst die Autorität des Staates untergräbt“.

Im November 1972 entließ der damalige Minister die gesamte Chefetage von RTE: ein Interview mit einem führenden Mitglied der IRA war über den Äther gegangen. Und 1988 wurde die Radiojournalistin Jenny McGeever entlassen, als sie in einem Bericht über die Beerdigungen der drei IRA- Leute, die von britischen Undercover-Agenten in Gibraltar erschossen worden waren, einige faktische Bemerkungen eines Sinn-Fein- Mitglieds sendete, der die Beerdigungsprozessionen organisiert hatte.

Ergebnis einer solchen Politik ist ein Klima von Paranoia und Selbstzensur in der RTE. Selbst investigative Reporter scheuen sich davor, Themen anzufassen, die sie womöglich in Kontakt mit Sinn- Fein-Leuten bringen könnten – was natürlich die Berichterstattung von RTE über Nordirland äußerst mangelhaft macht. Als der Sprecher des hungerstreikenden Bobby Sands, Owen Carron, 1981 ins britische Parlament gewählt wurde, standen die Medien der Welt Schlange, um ihn zu interviewen. RTE war wegen des Verbots nach Paragraph 31 nicht dabei und interviewte statt dessen den unterlegenen Kandidaten der Ulster-Unionisten. Das gleiche passierte, als der Chef von Sinn Fein, Gerry Adams, zum Abgeordneten von West-Belfast 1983 ins britische Parlament gewählt wurde: RTE durfte wieder nur den unterlegenen Kandidaten befragen.

Tatsächlich war insgesamt die Berichterstattung RTEs über den republikanischen Hungerstreik von 1981 und die Hinwendung von Sinn Fein zu demokratischen Wahlen Anfang der achtziger Jahre – zwei entscheidende Entwicklungen in der Politik Nordirlands – extrem mangelhaft. Man durfte Sinn- Fein-Leute nicht interviewen, und durch die selbstauferlegte Isolation von der entsprechenden Bevölkerungsgruppe, die Sinn Fein und die IRA unterstützt, konnte RTE auch die Bedeutung weder des Hungerstreiks noch der Entwicklung hin zu Wahlen begreifen – oder erst, nachdem alles längst passiert war.

Die Geschichte eines Verbots

Paragraph 31 des Sendegesetzes gab dem Ministerium auch die Macht, jedes beliebige „bestimmte Thema oder bestimmte Kategorien von Themen“ zu verbieten. Im Oktober 1971, nach der Einführung von Massenverhaftungen ohne Prozeß in Nordirland, die zu einer Explosion von Gewalt führte, gab das Ministerium in seinem Versuch, die Republik vor einem Überspringen der Eskalation zu schützen, einen Erlaß unter diesem Gesetz heraus. Der Erlaß verbot alles, was „der Förderung von Zielen oder Aktivitäten von Organisationen dient, die fördert, aufruft oder sich beteiligt an der Erreichung von Zielen durch Mittel der Gewalt“ – das heißt, er verbot alle Erwähnung solcher Tatsachen und Ereignisse im Äther. RTE protestierte zunächst sogar noch gegen die Vagheit dieser Regelung, aber seine Reporter mußten dennoch unter diesen so unbestimmten Regeln über die Entwicklung in Nordirland berichten.

Im November 1972 führte einer der anerkanntesten Journalisten von RTE im Radio ein Interview mit dem damaligen Führer der Provisorischen IRA. Er kam vor Gericht, weil er sich weigerte, seine Quelle zu identifizieren, und die gesamte Führungsriege von RTE wurde, wie schon gesagt, entlassen, weil sie die Übertragung des Interviews nicht verhindert hatte. Die neue Administration verbot sofort alle Interviews mit IRA-Leuten. Zwar waren Interviews mit Repräsentanten von Sinn Fein, immerhin einer legalen politischen Partei, zu diesem Zeitpunkt noch nicht verboten, jeder Auftritt jedoch mußte von oben abgesegnet werden. Der Oppositionssprecher für Radio- und Fernsehangelegenheiten, der Labour-Abgeordnete Dr. Conor Cruise O'Brien, verglich damals die Regierung mit den Nazis – aber er änderte seine Meinung, als er selbst in einer neuen Koalitionsregierung Minister wurde.

1976 erklärte die neue irische Regierung in panischer Reaktion auf die plötzliche Zunahme von IRA-Aktivitäten in der Republik den Notstand und erließ eine neue Verordnung, nach der man sieben Tage ohne Begründung festgehalten werden konnte. Amnesty international berichtete über Mißhandlungen in der Haft für diesen Zeitraum, und O'Brien formulierte die oben zitierte Bestimmung von Paragraph 31 um; er sei jetzt eine präzisere Waffe, sagte er kürzlich. Im Anschluß daran erließ er eine neue ministerielle Order, die alle Interviews mit „Sprechern“ der IRA verbot, überhaupt mit allen Organisationen, die in Nordirland verboten sind, plus Sinn Fein, die damals noch eine legale Organisation war. Ebenfalls verboten wurden Interviews mit Mitgliedern der nordirischen loyalistischen Organisation UDA (protestantische Paramilitärs, Anm. d. Ü.). Die neue ministerielle Anordnung sollte nur zwölf Monate gelten, war jedoch jährlich erneuerbar. Das Parlament konnte sie zwar abschaffen, auch wenn es bei ihrem Zustandekommen nicht gefragt werden mußte. Tatsache aber ist, daß die Verordnung seit 1976 alljährlich nahezu ohne Debatte immer erneuert worden ist.

Sinn Fein ist in der Republik Irland keine bedeutende politische Kraft und hat lediglich einige Abgeordnete in den Kommunen – RTE jedoch weigert sich, diese Abgeordneten selbst über die allerbanalsten Themen zu Wort kommen zu lassen. Nicht überschätzt werden kann jedoch die Wirkung des Sendeverbots auf die gesamte Berichterstattung über Nordirland, wo Sinn Fein in den Kommunalwahlen im Mai 1993 immerhin 12,5 Prozent aller Stimmen und 36 Prozent aller nationalistischen (= katholischen) Stimmen auf sich vereinigen konnte. Im Stadtrat von Belfast stellt Sinn Fein die zweitstärkste Fraktion. Anders als seine britischen Schwestern erlaubt die irische Fernsehgesellschaft RTE nicht einmal, daß die Aussagen von Sinn-Fein-Leuten von Schauspielern vorgelesen oder als Untertitel im Bild erscheinen dürfen, und verdammt damit einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung zum Schweigen.

Und nicht nur Sinn Fein wird zum Schweigen gebracht. Ein ständiges Element der nordirischen Krise sind auch die von nationalistischer Seite vorgebrachten Beschwerden gegen die Sicherheitskräfte. Dazu gehört der Vorwurf, Polizei und Armee hätten eine shoot to kill-Strategie, sie arbeiteten mit loyalistischen Paramilitärs zusammen, belästigten die Jugendlichen der nationalistischen Bevölkerung aus Prinzip und ohne Grund und mißhandelten Verdächtige bei Vernehmungen.

Die meisten hiermit zusammenhängenden Vorfälle finden in den katholischen/nationalistischen Nachbarschaften statt, in denen viele Leute Sinn Fein unterstützen. RTE kann hierüber nicht berichten, ohne einen potentiellen Interviewpartner jedesmal vorher gefragt zu haben, ob er oder sie Mitglied von Sinn Fein ist. Selbst eine Übertragung mit dieser Frage einzuleiten – „Sind sie Mitglied von Sinn Fein?“ – löst in der Zentrale schon Stirnrunzeln aus. Aus all diesen Gründen ist es vielen Medienleuten einfach zu kompliziert, sich damit zu befassen, weshalb am Ende entweder gar nicht oder nicht gründlich genug berichtet wird. Das Ergebnis ist, daß einer der entscheidenden Faktoren des Konflikts, nämlich die Entfremdung und Ausgrenzung eines sehr großen Teils der katholisch/nationalistischen Bevölkerung Nordirlands, völlig unterrepräsentiert ist.

Die Geschichte des Widerstands dagegen

Im Sommer 1990 fand ein wichtiger Streik in einer Bäckerei in Dublin statt. RTE sendete lediglich ein einziges Interview mit dem Vorsitzenden des Streikkomitees, Larry O'Toole. Zwar waren mehrere Interviews geführt worden, aber weil jemand bei RTE in O'Toole wieder einmal ein Mitglied von Sinn Fein entdeckt hatte, wurden die anderen nicht mehr übertragen. O'Toole zog mit diesem Fall vor Gericht und argumentierte, daß das Blanko-Verbot gegen Sinn-Fein-Mitglieder, das sie von Äußerungen über alle möglichen Themen ausschlösse, weit über die ursprüngliche ministerielle Anordnung hinausginge. Im Juli urteilte das Gericht, daß die ministerielle Anordnung tatsächlich nicht ausdrücklich ein totales Verbot von Interviews mit Mitgliedern von Sinn Fein ausgesprochen habe; insofern sei es möglich, daß dieses Verhalten von RTE grundgesetzwidrig sei.

Obwohl das Verbot gegen Sprecher von Sinn Fein in Kraft blieb, war dies der erste entscheidende Durchbruch im Kampf gegen den Paragraphen 31 in 21 Jahren. Zwar ging RTE prompt in Revision und weigerte sich, dem Urteil zu entsprechen, aber die unabhängigen Sender nahmen die Entscheidung mit Erleichterung auf – und sendeten gleich Interviews mit O'Toole darüber.

Im März 1992 verkündete das höchste Gericht sein Revisionsurteil. Es stellte die ministerielle Anordnung nicht in Frage, sagte jedoch, daß die Politik von RTE einem „erweiterten Verbot“ gleichkäme, und dies sei außerhalb der Kompetenz des Senders. Der nationale Sender mußte am Ende also nachgeben. Er übertrug pflichtgemäß ein Interview mit Larry O'Toole – danach jedoch nie wieder eines mit irgendeinem Mitglied von Sinn Fein.

Inzwischen ist RTEs Interpretation des Verbots noch von anderer Seite in Frage gestellt worden. Im August 1992 veröffentlichte Gerry Adams, Präsident von Sinn Fein, ein Buch mit Kurzgeschichten unter dem Titel „Die Straße“. Schauplatz dieser Geschichten ist in der Hauptsache West-Belfast. Die meisten Rezensenten lobten die Geschichten als bemerkenswert unpropagandistisch. Adams' Verlag, Brandon Books, wollte für das Buch bei RTE einen Werbespot schalten – RTE weigerte sich aber, ihn zu senden.

Die unabhängigen Sender übertrugen Interviews mit Adams über diesen Vorfall – bis die Unabhängige Radio- und Fernsehkommission IRTC ihnen auftrug, für das Buch keine Werbung zu machen. In typisch bizarrem Lauf der Ereignisse wurde das Buch in einem Radioprogramm von RTE rezensiert, kurz nachdem der Werbespot verweigert worden war.

Brandon Books zog vor Gericht mit dem Argument, daß Adams das Buch als Privatperson geschrieben habe und daß es keinerlei Statement über Sinn Feins Politik enthielte. Aufgrund der Gerichtsentscheidung in Sachen O'Toole müsse auch das Buch außerhalb der Ministerorder fallen. RTE machte geltend, daß Adams nun einmal Präsident und bekanntester Sprecher von Sinn Fein sei und daß alles, was er sage, zugunsten von Sinn Fein sei. Die Publikation eines Buches mit Kurzgeschichten von Adams könne „nur das Ziel haben, Mr. Adams als Künstler und Mann von Kultur darzustellen ...“, und dies würde zur Identifikation der Leser mit ihm und seinen Ansichten führen.

Die IRTC argumentierte etwas anders. Sie meinte, daß „bestimmte Geschichten in dem Buch womöglich als Aufruf, Angebot oder Einladung zur Unterstützung von Sinn Fein angesehen werden“ könnten.

Im Laufe dieses Falles kam es zu einer ausführlichen Debatte über Zensur von Literatur, die ihre Handlung vor einem besonderen politischen Hintergrund spielen läßt. Die IRTC brachte den früheren Minister und Autor Conor Cruise O'Brien als Zeugen, während Brandon Books Papiere von anerkannten Literaturkritikern wie Professor Seamus Deane und Dr. Declan Kiberd vorlegte. Auf die Frage, welche Worte in dem Werbespot zur Unterstützung von Sinn Fein aufriefen, antwortete O'Brien: „... der Anfang: ,Hier spricht Gerry Adams‘.“

Im Juli wurde der Fall zugunsten RTEs entschieden. Der Richter sagte, RTE habe behauptet, Adams sei „Mr. Sinn Fein“ und seine „öffentliche persona könne von der Öffentlichkeit nicht getrennt werden von seiner Unterstützung Sinn Feins“. Dies sei eine Frage der Beurteilung „in bezug auf ein Image und seine Repräsentation sowie in bezug auf die öffentliche persona“, sagte der Richter. Diese Frage jedoch müsse RTE selbst entscheiden, das Gericht könne hier nicht intervenieren. Er verurteilte den Verlag zur Zahlung der Gerichtskosten – ein vernichtender Schlag für den kleinen Verlag.

Aber vielleicht ist doch etwas Licht am Ende des Tunnels sichtbar geworden. Seit Januar regiert in Dublin nach einem großartigen Erfolg der Labour-Partei eine neue Koalition von Labour und Fianna Fáil. Diese neue Regierung hat sich eine Politik von Reform, Offenheit und mehr Demokratie vorgenommen.

Im Januar dieses Jahres fand in Dublin eine Konferenz zu Fragen der Zensur und des Zugangs zu Informationen statt – und sie hatte enormen Zulauf. In Irland scheint sich eine neue Stimmung anzubahnen.

Die alte Regierung hat als letzte Amtshandlung noch umsichtig dafür gesorgt, daß Paragraph 31 für ein weiteres Jahr in Kraft ist. Michael Higgins jedoch, der neue Minister für Runfunkangelegenheiten, hat auf Anfrage schon gesagt, er würde die Frage des Verbots neu untersuchen und lud interessierte Parteien gleich ein, ihm Vorschläge zu unterbreiten. Seitdem sind Gegner des Verbots, wie die Journalistengewerkschaft Irlands, die Organisatoren der Zensurgegner-Konferenz und der Irish Council for Civil Liberties, eifrig dabei, Papiere zu schreiben und einzuschicken.

Im Juli hat zudem das UN-Menschenrechtskomitee in Genf Irlands Menschenrechtssituation geprüft und einige hartnäckige Fragen in Hinsicht auf Paragraph 31 gestellt, womit sie der Regierungsdelegation eine ungemütliche halbe Stunde bescherte.

Das erste Mal seit vielen Jahren kann man hoffen, daß dieses undemokratische Verbot, das die Diskussion über den Nordirlandkonflikt in Irland fast erstickt hat, vielleicht doch bald abgeschafft oder wenigstens modifiziert wird.

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