: Red-Cross-Messages zur Linderung von Leid
■ Suchdienst des DRK: 550.000 Anträge allein in Berlin / Neu hinzugekommen ist die Übermittlung von persönliche Nachrichten von und nach Bosnien-Herzegowina
Fast fünf Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat der Suchdienst des Deutschen Rotes Kreuzes (DRK) alle Hände voll zu tun. Seine Mitarbeiter seien sogar gefordert wie noch nie, sagt der Leiter des hauptstädtischen DRK- Suchdienstes, Werner Lerch. Immerhin gehen seit Öffnung der Archive in der ehemaligen Sowjetunion in der Zentrale in München monatlich um die 15.000 Meldungen über ehemalige Wehrmachtsangehörige ein, die dort in Lagern ums Leben gekommen sind. Bis 1995 werden nicht weniger als 380.000 Datensätze aus Moskau erwartet.
Hinzu kommen 123.000 Namen von Opfern aus Lagern des russischen Geheimdienstes KGB in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone.
Allein in Berlin liegen 550.000 derartige Suchanträge vor. Viele der Uralt-Akten werden jetzt neu bearbeitet. Dafür muß zunächst der Antragsteller ermittelt werden, der vor 45 und mehr Jahren einen Verschollenen gesucht hat. Da die meisten inzwischen bereits tot sein dürften, muß mit Hilfe der Einwohnermeldeämter nach Verwandten geforscht werden.
So viele Jahre nach Kriegsende werde es wohl keine überraschenden Mitteilungen geben, meint Werner Lerch, aber Gewißheiten. Über 300.000 Schicksale von Verschollenen seien bundesweit bisher durch Suchdienst-Gutachten abgeschlossen worden. In Berlin waren es seit 1968 knapp 69.400 Fälle.
Parallel dazu hat der Suchdienst seit Ausbruch des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien bereits über drei Millionen persönliche Nachrichten übermittelt. Dabei übernimmt er sozusagen die Aufgaben der Post. In Berlin wurden im vergangenen Jahr – vor allem von und nach Bosnien-Herzegowina – 6.000 sogenannte Red- Cross-Messages weitergeleitet. Und die Zahl steigt. Im Januar und Februar dieses Jahres wurden so viele Briefe verschickt wie im gesamten Jahr 1993.
„Die Erfahrungen des Suchdienstes nach dem Krieg haben deutlich gemacht, wie notwendig es ist, für eine baldige Erfassung von Betroffenen einer Katastrophe oder eines Konfliktes zu sorgen“, meint Lerch. Man wolle versuchen, ein „Verschollenen-Problem“, wie es die Deutschen kennengelernt haben, gar nicht erst entstehen zu lassen. Vor allem aber könne über diese Briefkontakte „großes menschliches Leid gelindert“ werden. Deshalb sei das Engagement der „dreieinhalb“ haupt- und sechs ehrenamtlichen Mitarbeiter enorm. Die Briefe, die auf speziellen Vordrucken geschrieben werden müssen, werden von ihnen sortiert, registriert und weitergeleitet.
Sozialämter dürfen keine Auskunft geben
Das Formular ist zugleich auch ein Suchantrag. Wird der Adressat nicht gefunden, erhält der Absender eine entsprechende Mitteilung, die „Fahndung“ jedoch geht weiter. Der beziehungsweise die Gesuchte wird in einer Datenbank erfaßt. Delegierte vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) forschen vor Ort in Gefängnissen und Lagern nach.
In Berlin wird die Suche laut Lerch durch den Datenschutz erschwert. So dürften die zuständigen Sozialämter, bei denen die meisten bosnischen Flüchtlinge registriert sind, keine Auskunft geben. Blieben nur die Einwohnermeldeämter und „Namensträger“, die aufwendig angeschrieben und befragt werden.
Der Weg einer solchen Message, die nur persönliche Informationen enthalten sollte, führt über den DRK-Suchdienst Berlin in die Zentrale nach München und von dort zum Suchdienst des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz nach Zagreb. Den Briefen, die unverschlossen versandt werden, dürfen Fotografien beigefügt werden, jedoch kein Geld. Iris Hansch (ADN)
Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin: Am Sandwerder 3, 14106 Berlin
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