■ Überall Benachteiligung: Rechtsstaat – wo?
Welcher „Ausländer“ kennt es nicht: Freie Wohnungen sind plötzlich vergeben, wenn man sich am Telefon als „Ausländer“ zu erkennen gibt. Ruft dann kurze Zeit später die deutsche Freundin an, ist die Wohnung noch zu haben, und ein Besichtigungstermin wird vereinbart. Zurück bleibt ein Gefühl der Ohnmacht – denn hier ist weder Gewalt angewandt worden, noch wurden Gesetze übertreten. Man kann den Wohnungseigentümer nicht belangen und sich auf diesem Wege Genugtuung verschaffen. Toleranz im Umgang mit anderen und gesellschaftliche Gleichberechtigung können sicherlich nicht per Gesetz verordnet werden. Jedoch bereitet die rechtliche Ungleichbehandlung von Migranten und Flüchtlingen den Boden für die Art von gesellschaftlicher Diskriminierung, die sich schon längst verselbständigt hat und andere Kriterien der Stigmatisierung benutzt als die Staatsangehörigkeit.
Migranten und Flüchtlinge sind in Deutschland in doppelter Hinsicht betroffen. Das Ausländergesetz und das Asyl„recht“ benachteiligen diese gesellschaftlichen Gruppen durch ihren Aufenthaltsstatus in vielen Lebensbereichen. Doch zu glauben, dieses Problem wäre mit der nun angeblich erleichterten Einbürgerung von Ausländern gelöst, ist ein Trugschluß. Die zweite Ebene der Diskriminierung, die soziale und gesellschaftliche, findet ungeachtet der Staatsbürgerschaft statt. Sie hängt von Merkmalen wie ethnischer Herkunft, Rasse und Religion ab, und von ihr sind schwarze Deutsche und deutsche Juden genauso betroffen wie die vor 30 Jahren zugewanderten Türken oder die vor Bürgerkrieg geflohenen Ghanaer. Ein deutscher Paß allein schützt nicht vor Diskriminierung. Doch gerade die institutionelle Diskriminierung erklärt Menschen aufgrund bestimmter Zuwanderungskriterien und ihres daraus folgenden rechtlichen Status zu gesellschaftlichen Außenseitern und legitimiert somit deren Mißachtung und Benachteiligung. Also ist die Aufhebung der rechtlichen Ungleichheit die Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit des Antidiskriminierungsgesetzes. Wird die rechtliche Diskriminierung aufgehoben, wird der gesellschaftlichen Benachteiligung die politische Legitimation entzogen. Die Signalwirkung eines solchen Gesetzes ist nicht zu unterschätzen. Diskriminierung würde als ein nicht zu tolerierendes Unrecht anerkannt werden.
Damit es nicht bei der bloßen Absichtserklärung bleibt, ist eine unabhängige Instanz für die Überwachung der Einhaltung des Antidiskriminierungsgesetzes notwendig. Parallel dazu muß eine breite öffentliche Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Flucht- und Migrationsursachen mit dem Wohlstandsgefälle Nord–Süd, der Unterdrückung von Minderheiten und der wirtschaftlichen Ausbeutung der Dritten Welt stattfinden. Denn solange den Deutschen eingeredet wird, sie könnten sich vor der Welt verbarrikadieren und mit dem Rausschmiß der Ausländer wären ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme gelöst, ist keine Bereitschaft für ein friedliches Zusammenleben zu erwarten. Ciner Firtina
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