Rechtspopulisten fordern etablierte Parteien heraus: "Pro" ist vor allem kontra Demokratie
Die "Pro"-Bewegung möchte das neue Sammelbecken für Unzufriedene am rechten Rand werden. Parteien müssen dagegen eine Strategie entwickeln.
Populisten vereinfachen komplexe Probleme, um vermeintliche Patentlösungen zu präsentieren. Auf dieses Rezept versteht sich die rechtsradikale "Pro"-Bewegung besonders gut. Sie ist in Köln entstanden, versucht derzeit aber auch in Berlin Fuß zu fassen. Groß geworden ist sie am Rhein durch ihren Protest gegen den Bau der ersten repräsentativen Kölner Moschee. Das brachte der "Bürgerbewegung Pro Köln" bundesweite Beachtung ein. Ihre Agitation gegen islamische Gotteshäuser fand bei unbefangenen Bürgern Sympathisanten, was die örtliche Politik in eine schwierige Situation brachte: Treffen Populisten mit ihren Themen einen Zeitgeist, der von anderen Parteien vernachlässigt wird, können sie relevante Mengen an Wählerstimmen erlangen. Das hat im Kölner Rathaus funktioniert, wo die Pro-Bewegung in der zweiten Legislaturperiode hintereinander Fraktionsstatus hat, und das klappte bei der jüngsten NRW-Kommunalwahl in mehreren Rathäusern an Rhein und Ruhr.
Die Protagonisten dieser Entwicklung sind und waren Markus Beisicht und Manfred Rouhs. Letzterer ist derzeit abkommandiert an die Spree, wo er Aufbauarbeit leisten soll. Schon kursieren krude Internetvideos mit dem biederen Rechtsausleger. Angebliche Mobilisierungserfolge werden wie beim Kölner Vorbild gnadenlos übertrieben. Das haben Beisicht und Rouhs schon früher gelernt, als sie politische Erfahrung bei der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" und bei den Republikanern sammelten. Stets wurden sie dabei vom Verfassungsschutz unter dem Verdacht des Rechtsextremismus beobachtet - so wie derzeit auch "Pro Köln".
Frank Überall
Der 39-Jährige lebt als Politikwissenschaftler und freier Journalist in Köln. Überall promovierte über das Thema "Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns" und lehrt Politikwissenschaft an der Fachhochschule Düsseldorf. Gemeinsam mit Kollegen hat er das Expertenportal www.politikinstitut.de gegründet. Dort ist eine Broschüre zu seiner Studie über die Pro-Bewegung als pdf-Datei erhältlich. Die Arbeit wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft Kommunaler Migrantenvertretungen NRW und dem Integrationsbeauftragten der Düsseldorf Landesregierung herausgegeben.
Der 3. Oktober ist traditionell der Feiertag der Deutschen Einheit - und auch "Tag der offenen Moschee". Just dieses Wochenende wollen in Berlin Rechtspopulisten für sich nutzen. Die Neupartei des CDU-Aussteigers René Stadtkewitz lädt dazu den niederländischen Islamkritiker Geert Wilders ein. Die Partei "Pro Berlin" probiert's mit einer Pro-Sarrazin-Demonstration. Gegen beides formiert sich Protest.
Schon seit Wochen wirbt Stadtkewitz mit einem Auftritt des niederländischen PVV-Chefs Wilders in Berlin am Samstag, 2. Oktober. Die Einladung war Mitgrund für den Rauswurf von Stadtkewitz aus der CDU und der Gründung seiner eigenen Partei "Die Freiheit" Anfang September. Wilders werde über die "Einflüsse des politischen Islams" sprechen und für eine Diskussion bereitstehen, heißt es in einer Einladung. Die Veranstaltung soll von 14 bis 19 Uhr stattfinden. Der Ort soll aus Sicherheitsgründen bis kurz vor dem Auftritt geheim bleiben. Man arbeite mit dem Staatsschutz und "einem geschulten Wachdienstunternehmen" zusammen, schreibt Stadtkewitz. Erwartet würden 500 Besucher, der Eintritt koste 15 Euro. Es wäre der erste größere Auftritt Wilders in Deutschland.
Kein Einreiseverbot
Das Bündnis "Rechtspopulismus stoppen" will das nicht zulassen. "Unter dem Deckmantel der Islamkritik wird versucht, Ressentiments in der Bevölkerung zu verstärken", sagt Sprecher Dirk Stegemann. "Wir wollen keine Spaltung unserer Gesellschaft, sondern ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller." Deshalb rufe man auf, den Wilders-Auftritt mit Sitzblockaden zu verhindern. Sobald ein Ort bekannt sei, werde man kurzfristig dorthin mobilisieren. Die Forderung des Bündnisses, Wilders wegen "erwartbarer volksverhetzender Äußerungen" ein Einreiseverbot zu erteilen, wurde vom Bundesinnenministerium abgewiesen. Die EU schreibe Freizügigkeit für Unionsbürger vor. Eine Sprecherin des Innensenators sagte, ihr sei eine Forderung nach einem Einreiseverbot nicht bekannt.
Auch die rechtsradikale Partei "Pro Berlin" will an dem Wochenende punkten - mit einer "Solidaritätskundgebung" für den Islamkritiker Thilo Sarrazin am 3. Oktober am Breitscheidplatz (Charlottenburg). Man erwarte zu der Aktion 100 Teilnehmer, so "Pro-Deutschland"-Chef Manfred Rouhs. Das "Rechtspopulismus stoppen"-Bündnis will auch dieser "Hetze" entgegentreten. Eine Gegenkundgebung sei angemeldet.
Die von "Pro Berlin" für Oktober geplante Gründung eines Bezirksverbands im Rathaus Neukölln klappt dagegen vorerst nicht. Das Rathaus stehe grundsätzlich nicht für Parteiveranstaltungen außerhalb der BVV-Arbeit zur Verfügung, so Joachim Terborg, Leiter des BVV-Büros. "Eine Zusage hat es nicht gegeben." Rouhs widerspricht: "Davon war uns gegenüber keine Rede, notfalls klären wir das juristisch." Konrad Litschko
Aus dieser Schublade wollen die Populisten nun heraus, um für breitere Bevölkerungsschichten wählbar zu werden. Sie glauben fest daran, dass es in Deutschland möglich ist, eine rechtskonservative Kraft zu etablieren wie in vielen anderen europäischen Ländern. Deshalb vernetzen sie ihre Arbeit mit Gruppierungen wie der FPÖ aus Österreich und Vlaams Belang aus Belgien.
Berlin ist ihnen dabei besonders wichtig. Ein Achtungserfolg bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im kommenden Jahr wäre ein Zeichen an die europäischen Partner, dass die "Pro"-Bewegung ernst zu nehmen ist. Denn das Rechtsaußen-Lager in der Bundesrepublik dividiert sich zusehends auseinander: NPD und DVU wälzen Finanzprobleme und denken über eine Fusion nach. Die Republikaner sind nahezu bedeutungslos, wollen aber zumindest in NRW mit "Pro" kooperieren. Angesichts dieses Vakuums will sich die "Pro"-Bewegung als einziger stabiler Partner für FPÖ und Konsorten in Szene setzen. Schließlich erstarken rechtspopulistische Parteien derzeit in vielen EU-Ländern, und es stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen internationalen Organisation.
Diese internationale Ebene ist aber nicht das Einzige, was die "Pro"-Funktionäre im Auge haben. Vielmehr geht es ihnen darum, ein "Wir-Gefühl" der Einheimischen zu erzeugen: "Wir" gegen Migranten, Straftäter, Drogenabhängige, Homosexuelle. Gegen unfähige und gierige Politiker. Vorverurteilung und Verunglimpfung sind die Mittel der Wahl. Kurz: Man bedient sich des ganzen Themen- und Argumentationsspektrums der "Neuen Rechten" - einer Denkrichtung, die sich an antidemokratischen Theorien der Weimarer Republik orientiert und nicht offen an nationalsozialistische Traditionen anknüpft. Genau das macht "Pro" so gefährlich.
Für die Politiker demokratischer Parteien, die mit dieser Strategie konfrontiert werden, ist das eine verstörende Erfahrung. Beim Hauptthema Moschee-Protest haben das die Kölner Kommunalvertreter von CDU, SPD und den anderen Fraktionen bitter lernen müssen: Mit Bequemlichkeit und Totschweigen vorhandener Probleme ist es nicht getan. Ganz gleich, ob ein Einkaufszentrum, eine katholische Kirche oder eine Moschee neu errichtet werden soll: Anwohner werden immer kontrovers über Verkehrsprobleme, Lärm und die Veränderung des Stadtbilds diskutieren. Solche Diskussionen abzuwürgen schafft eine Leerstelle, die populistisch gefüllt werden kann.
Und die "Pro"-Bewegung versucht sich jeweils an die Spitze solcher Proteste zu stellen. Erst mit der Zeit merken die Bürger, welche menschenverachtende Tendenzen die Funktionäre in die Argumentation gegen das konkrete Projekt einstreuen, wie sie das friedliche Zusammenleben aller Menschen und damit letztlich die Demokratie schädigen. Dabei greifen sie nicht unbedingt die Probleme auf, die wirklich einer Lösung bedürfen, sondern solche, bei denen sie ihre Klientel bedienen und ihre Ideologie unters Volk bringen können.
140 Anträge hat "Pro Köln", die Keimzelle der Bewegung, in der vergangenen Legislaturperiode im Stadtrat gestellt. Die anderen Fraktionen wissen noch immer nicht so recht, wie sie mit den Rechtsradikalen und ihren ständigen Eingaben umgehen sollen. Erst langsam erkennen sie, dass man die Ratsleute von "Pro Köln" inhaltlich "stellen" muss: Wer im Parlament menschenverachtende Sprüche klopft, darf damit nicht durchkommen. Die Politiker der demokratischen Parteien müssen rhetorisch fitter werden und ohne Schaum vor dem Mund die Grenzen populistischer Hetze aufzeigen.
Ansatzweise wird das in Köln bereits versucht. "Pro Köln" ist dadurch aggressiver geworden. Der frühere CDU-Funktionär Jörg Uckermann, der jetzt für die Rechtsradikalen im Stadtrat sitzt, ist mehrfach aus Sitzungen rausgeflogen. Aber die Ratspolitiker der demokratischen Parteien lassen sich allzu oft zu unbedacht-emotionalen Attacken provozieren, die das vorgebliche Märtyrer-Image der Rechtspopulisten nur noch verstärken.
In Berlin ist die "Pro"-Bewegung zwar noch kein so ernst zu nehmender Faktor. Sich mit ihrer Taktik auseinanderzusetzen ist aber wichtig - um für solche Angriffe auf das politische System durch andere Gruppen oder Personen gerüstet zu sein.
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