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Rechtspopulismus Es braucht mehr als moralische Abgrenzung: fitte politische KonkurrenzAfD. Oder: Neulich in Bitterfeld

von Jan Feddersen

Es hat sich gelohnt, nach einer Stunde die Augen zu schließen und mit Absicht zu vergessen, dass da einem am runden Tisch ein Politiker der AfD gegenübersitzt. Der Mann, der dort vor einer Woche in Bitterfeld mitdiskutierte, war Daniel Roi; er sitzt im Landesparlament von Magdeburg, weil er für seine Partei das Direktmandat in eben dieser Kommune gewinnen konnte – eines von 15 in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl 2016.

Versucht man wenige Momente zu vergessen, dass da einer mitspricht zum Thema „Alternativen zur Alternative“, der der AfD prominent angehört, glaubt man eine andere Parteizugehörigkeit zu erkennen: die der Linken. Daniel Roi, der beim Fall der Mauer 1989 nicht einmal zwei Jahre alt war, hat Agrarwissenschaften studiert, und war, nicht unwichtig, ehrenamtlich für die Freiwillige Feuerwehr in Bitterfeld tätig. Er ist das, was man einen Politiker nennt, der das zivilgesellschaftliche Leben jenseits der Exekutive kennt: Er gilt als volksnah.

Und hört man ihm zu, fallen Stichworte, die ebenso gut von einer Person der Linkspartei hätten kommen können. So befürwortet er „Partizipation“ und spielt damit auf die sachsen-anhaltinische Kommunalgebietsreform an, bei der Bitterfeld mit Wolfen zusammengelegt worden ist. Volksabstimmungen, das ist auch der Schlager der AfD, weil doch sonst die politische Elite mache, was sie wolle. Natürlich, die Linkspartei ist nicht für eine Flüchtlingsobergrenze, wie sie die CSU von der Kanzlerin mal abgefordert hat, aber davon abgesehen, dass auch Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht Angela Merkel eine Zufuhr von Menschen in die so­zia­len Auffangnetze vorwarfen, betont auch Daniel Roi, nichts gegen Einwanderer zu haben. Nur der Prozess der Migration müsse gesteuert sein. Der Rest: Bemerkungen über miese Renten, schlechte Löhne, teure Lebensmittel, unsichere Zukunftslagen.

Mit anderen Worten: Daniel Roi und seine Partei haben einen erheblichen Teil des Grummelns und Pöbelns und Giftelns in seinem Bundesland politisch fruchtbar machen können – anders als die Linkspartei, die nicht mehr die katalysatorische Instanz für allerlei sogenannten Volkszorn im Osten der Republik ist. Die AfD verbreitet, obwohl sie im Hinblick auf ihr Wählerprofil keineswegs alle prekär Beschäftigten, alle Verarmten, alle materiell Verängstigten hat mobilisieren können, eine Atmosphäre eines gerechten, nationalen Protests.

Selbstverständlich, auch dies ist eine Erfahrung, die im Lutherhaus von Bitterfeld an einem Abend gemacht werden konnte, wirkt die AfD nicht wie ein neonazistischer Gruselhaufen; die Leute, die Daniel Roi zur Veranstaltung mitgebracht hat, sehen aus wie die allermeisten auf dem Gebiet der früheren DDR aussehen: normal, die Männer etwas drakonischer im Ausdruck, die Frauen auch nicht gerade mäuschenhaft, eher keck und vernehmlich, aber ohne die schlaumeierische Dauerdurchblickhaftigkeit von grünen Politiker*innen.

Diese Sätze sind natürlich nicht als moralische Kritik an irgendwem misszuverstehen. Sie spiegeln nur eine Atmosphäre, von der man in hipsterigen Vierteln und bunten Quartieren nicht viel mitbekommt – in Bitterfeld sieht es nur so aus, dass selbst der Hinweis auf die aufgeräumten Landschaften nach dem Ökohorror der DDR-Jahrzehnte nichts fruchtet, weil eben früher alles der Staat regelte, jetzt muss jede*r selbst in die Puschen kommen – was nicht leicht ist in dieser Stadt, die einen ICE-fähigen Bahnhof hat, aber dort selbst wie eine unheilbare Krankheit aussieht. Und weil das alles nicht schön aussieht und der Marktplatz auch nicht gerade auf Weltläufigkeit getrimmt ist, keine wirklich schönen Cafés, ist es kein Wunder, dass die Zukunftswilligsten sich allesamt nach Leipzig orientieren. Was auch damit korrespondiert, dass die meisten der neuen Jobs in der chemisch nun viel saubereren Industrie von Leuten besetzt werden, die nicht in Bitterfeld leben.

Insofern stellt sich nicht die Frage, ob man mit der AfD redet oder nicht: Mit wem sonst sollte man dies sonst tun? Die SPD? Inexistent. Die CDU? Mehrheitsfähig, stellt den Oberbürgermeister, ist mit Daniel Roi, wie alle anderen auch, per Du. Die FDP? Wer, bitte? Und die Grünen? Stefan Krabbes von den Grünen ist Blogger und sitzt dem Empörungsmodus der AfD nicht auf – Einfluss: geringst. Alle zusammen sind im Stadtbild nicht zu sehen, Wahlplakate gibt es nur von den Rechten, die auch regelmäßig auf dem Marktplatz Bürgersprechstunden abhalten. Bettina Kutz von der Linkspartei erklärt nebenbei, dass sie die AfD nicht verdächtigt, neonazinah zu sein, und selbstverständlich konkurriere man um Wählerstimmen. Dass sie dies eher erschöpft sagt, verweist darauf, dass ihre Partei, in Sachsen-Anhalt mal eine wichtige Kraft, mehr und mehr an Popularität einbüßt.

Kurz gesagt: Daniel Roi und so viele andere seiner Partei mögen extrem unappetitliche Politik im Hinblick auf ihre Generalerzählung vertreten, aber im Kommunalen stehen sie häufig für das, was andere Parteien auszufüllen hätten: Bürgernähe und eine Kümmererfunktion. Der linke Journalist Thomas Wagner hat aktuell ein Buch veröffentlicht, Titel: „Die Angstmacher“. Interviews mit rechten Intellektuellen. Es könnte sich für jenseits kurzatmiger Erregungen Interessierte lohnen, es zu studieren: Vieles, was auch manche Linke gut finden, trifft aufs Wohlgefallen der AfD: Kapitalismuskritik, das Identitäre, die Kritik an sogenannten Entfremdung der Lebensverhältnisse, Hass aufs Liberale, Verachtung fürs Parlamentarische. Das gibt zu denken, zumal nach dem Abend zwischen Berlin und Leipzig.

Bis zur Bundestagswahl reist taz.meinland durch die Republik. Aktuelle Infos: taz.de/meinland

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