Rechtsextremismus in Deutschland: Neonazis: "Dortmund ist unsere Stadt"
Neonazi-Attacken werden gerne als Ost-Problem wahrgenommen. In letzter Zeit häufen sich die Überfälle aber auch im Ruhrgebiet.
DORTMUND taz Standesgemäß beging die rechte Szene in Dortmund das neue Jahr. Mit bengalischen Fackeln zog ein rund 30-köpfiger schwarz gekleideter Schlägertrupp durch die Silvesternacht, grölte Naziparolen und machte in der Innenstadt Jagd auf diejenigen, die Pech hatten, ihm in die Quere zu kommen. Nur zwei Tage später griffen vier Neonazis mit "Sieg-Heil"-Rufen drei Jugendliche an - "ohne erkennbaren Grund", wie es im Polizeibericht heißt.
Dort ist auch zu lesen, dass dem Staatsschutz "bereits Erkenntnisse" über das rechte Prügelquartett vorlägen, das kurze Zeit später festgenommen werden konnte. Trotzdem will sich die Polizei bislang nicht festlegen: "Ob die Tat einen rechtsextremen Hintergrund hat, ist derzeit nicht bekannt und Gegenstand weiterer Ermittlungen." Auch in der Neujahrsnacht hatten die Beamten zumindest einen Tatverdächtigen ausgemacht, "der dem rechten Spektrum zuzuordnen ist". Trotzdem gilt auch hier: "Ob es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt jedoch um eine politisch motivierte Tat handelte, ist zurzeit noch unklar und wird ermittelt." Business as usual in Dortmund.
Solche Übergriffe sind keine Einzelfälle. So überfielen im April 2006 etwa 25 vermummte Neonazis die linke Kneipe Hirsch-Q, wobei mehrere Gäste durch Reizgas und Schlagstöcke verletzt wurden. Seitdem kam es immer wieder zu Neonazi-Attacken auf den Club in der Innenstadt. Erst Mitte November 2007 überfiel eine Gruppe von 30 Neonazis die türkische Gaststätte Casablanca im Dortmunder Westen. Dabei schlugen die bewaffneten Täter die Scheibe ein und verletzten einen Besucher. Die Polizei konnte fünf der Neonazis festnehmen.
Seit Jahren schon gilt die Ruhrgebietsmetropole als eine der Hochburgen des militanten Rechtsextremismus im Westen. "Dortmund ist unsere Stadt", lautet die Parole von Siegfried "SS-Sigi" Borchardt, einst Landesvorsitzender der FAP, heute so etwas wie der "Elder Stateman" der "Bewegung".
Mit seiner "Borussenfront" fing es Anfang der 1980er-Jahre an: Borchardts "Front", die gewaltbereiten Fußballhooliganismus mit rechtsextremer Gesinnung verband, agitierte die Fans im Westfalenstadion. Heraus kam dabei eine - im wahrsten Sinne des Wortes - schlagkräftige Truppe, die berüchtigt war für Angriffe auf Linke und Nichtdeutschstämmige und auch der NPD als Saalschutz diente. Offiziell existiert die "Front" nach ihrem Stadionverbot nicht mehr, doch die alten "Borussenfront"-Kämpfer haben bis heute Einfluss. Bei den Heimspielen von Borussia Dortmund würden verstärkt rechtsextreme Jugendliche auftauchen, berichten Stadionbesucher. "Um ein klares Zeichen gegen rechts zu setzen", verbot die Vereinsführung deshalb Zuschauern, die Kleidung der Firma "Thor Steinar" zu tragen. Die alten "Front"-Mitglieder feierten derweil im März 2006 im hessischen Kirtorf "20 Jahre Borussenfront" - 600 Gäste grölten "SS, SA, Borussia".
Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes hat sich der einschlägig vorbestrafte Borchardt inzwischen "erkennbar aus der Führungsarbeit zurückgezogen". An seine Stelle seien sogenannte Autonome Nationalisten getreten. Ihr Aktionsradius beschränke sich dabei nicht allein auf Dortmund: Sie nähmen vielmehr "an allen bedeutsamen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der bundesweiten Neonazi-Szene" teil.
Offenkundig bekomme die Stadt ihr Neonazi-Problem nicht in den Griff, kritisiert die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, auf deren Wahlkreisbüro ebenfalls mehrfach Anschläge verübt wurden. Jelpke wirft der Polizei und dem SPD-Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer eine "Strategie der Verharmlosung" vor. "Sie schweigen sich ihre Stadt schön, die für Menschen mit Migrationshintergrund und Angehörige des linken Spektrums längst zu einem Ort der Angst und der Bedrohung durch Nazis geworden ist", kritisiert die Parlamentarierin.
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