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Rechts und orientierungslos?

■ Die Rechten in der DDR sind auf dem Weg von der Randgruppe zu ernstzunehmenden Gruppen am Rande / Rechtsextreme Gruppen kämpfen mit westlicher Hilfe um ihre demokratische Legitimierung

Von Peter Kensok

Stuttgart (taz) - Zwar gelten in West- und Ostdeutschland nur ein Prozent des rechtsextremistischen Spektrums als organisiert. Doch während im Westen diese Gruppen demokratisch klein gehalten werden konnten, droht in der DDR ein Aufblühen neonazistischer Ideologie, das nur schwer in den Griff zu bekommen sein wird. „Wir können noch nicht mit der Demokratie umgehen“, gaben Sozialwissenschaftler aus Berlin und Leipzig während einer deutsch-deutschen Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll zu. Sie gewährten einen Blick in ihre „Panzerschrankforschung“, in Untersuchungen über die Jugend der DDR, die sie bisher der Öffentlichkeit verschweigen mußten, um sich und ihre wissenschaftliche Arbeit nicht zu gefährden.

„Die Rechten in der DDR sind längst keine Randgruppe mehr, sondern eine ernstzunehmende Gruppe am Rande“, warnt Loni Niederländer, Professorin der Berliner Humboldt-Universität. Es geht um mehr als nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Hooligans und Skinheads, die auch in der DDR durchaus wahrgenommen werde. Doch schon wer diese Jugendlichen in „Arbeitslager stecken will, damit sie auf vernünftige Gedanken kommen“, zeige, daß auch er nationalsozialistische Ideologiefragmente verinnerlicht habe. Auf 45 Prozent wird der Anteil derer geschätzt, auf die das zutrifft, ohne organisiert, ja selbst ohne sich dessen bewußt zu sein.

Während die Führer der politisch unbedeutenden rechtsextremen Parteien im Westen als verschlissen gelten, würden diese Gruppen mit westlicher Hilfe und einem entsprechenden Wählerpotential gerade im Osten um ihre demokratische Legitimierung kämpfen. „Die neuen charismatischen Führer von Rechts werden deshalb aus der DDR kommen“, vermutet Loni Niederländer.

Eine Kontrolle rechtsradikaler Entwicklungen, ergänzt ihr Leipziger Kollege Wolfgang Brück, sei derzeit nicht möglich. Der desolate Kontroll- und Polizeiapparat der DDR sei nicht funktionsfähig; seine Mitglieder waren zudem mit dem alten Apparat zu sehr verzahnt.

Zudem habe sich der DDR-Bürger immer diskriminiert gefühlt: durch Ausländer mit frei konvertierbarer Währung und einem Reisepaß, mit dem alle Grenzen überschritten werden konnten. Kompensiert wurde das mit dem „Selbstbewußtsein der deutschen Rasse“, erkennt Loni Niederländer, ohne daß es über Jahrzehnte zu einer öffentlichen Auseinandersetzung damit gekommen sei.

Wächst die Verunsicherung nun dadurch, sich auch nach der Währungsunion eben doch nicht von heute auf morgen alles leisten zu können, was den „Wessies“ in 40 Jahren selbstverständlich geworden ist, droht das rechte Spektrum in der DDR zu erstarken - vor allem unter Jugendlichen.

Das Schlüsselwort der Jugendforschung in Ost und West heißt Identitätsverlust. Die DDR muß in den nächsten Monaten nun selbst mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit rechnen. Dem „gelernten DDR-Bürger“ geht neben der Ideologie auch die Arbeit verloren, die ihm als sicher galt - bei allen Unwägsamkeiten, mit denen er sich zu arrangieren wußte. Vor allem den Jugendlichen geht dadurch Geborgenheit verloren. Sie können sich nicht mehr über ihre eigene oder die Arbeit ihrer Eltern sozial einordnen. Eine für sie an sich leere Parole wie „Besser Fascho als gar nichts sein!“ könnte von rechten und ultrarechten Führern auch mit der Bereitschaft zur Gewalt gefüllt werden, befürchtet der Jugendforscher Dr. Wolfgang Brück aus Leipzig. Rechtsextremistischer Aktionismus und Politrandalen könnten die Folge sein, wobei die Jugend unter dem Einfluß rechtsextremer Drahtzieher eine wichtige Rolle spielt. Doch wie kann ihr in einem wiedervereinigten Deutschland begegnet werden?

Aussitzen rechtsradikaler Tendenzen, wie es Professor Dr. Kurt Möller von der Fachhochschule für Sozialwesen in Eßlingen der CDU vorwirft, sei keine Lösung dieses Problems: Wer sich aus Protest über seine eigene Situation mit den Ideen rechtsradikaler Gruppen anfreundet, legt diese Bereitschaft deshalb nicht gleich wieder ab, wenn es ihm besser geht, sondern taucht im politischen Spektrum von rechts bis links wieder unter. Kurt Möller fordert eine pädagogische Doppelstrategie. Die Gesprächsbereitschaft, um in das „gar nicht immer so geschlossene Weltbild“ Rechtsradikaler einzudringen, müsse mit Handlungsbereitschaft gepaart sein. Doch das ist dem Eßlinger Professor zu wenig. Es gehe hier nicht nur um individuelle psychische Defizite, sondern um politisch beeinflußbare Lebenslagen. Nicht nur ausreichende Arbeitsplätze und Wohnräume müßten geschaffen und Benachteiligungen bestimmter Sozialschichten ausgeglichen werden. Auch Orientierungs- und Verständigungshilfen für die Sinnfindung seien notwendig, wozu auch die Beteiligung an politischen Prozessen gehöre. „Neue öffentliche Foren politischer Kultur“ heißt für Möller die Devise. Der Jugendliche wolle nicht nur verwaltet werden, sondern seine Zukunft wirksam mitgestalten; und rechtsextreme Tendenzen könne nur verhindern, wer die politischen Bedingungen ändere, unter denen sie auftreten.

Vor allem in der DDR ist nach den Entwicklungen seit dem Herbst letzten Jahres höchste Eile geboten, um rechtsradikalen Gruppen den Boden zu entziehen. Denn niemand weiß, wie strapazierfähig die Geduld der DDR-Bürger ist. Aber: „Die soziale und psychische Reintegration der Menschen dort mit allen neuen Poblemen ihres beruflichen, sozialen und kulturellen Alltagslebens wird sich über mehrere Jahre hinziehen“, sagt Dr. Harry Müller, stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig.

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