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Rechter Wahlsieger zerreißt Israel

■ Nach Auszählung fast aller Stimmen ist eine knappe Mehrheit für Likud-Chef „Bibi“ Netanjahu abzusehen. Das israelische Friedenslager ist geschockt, jüdische Hardliner jubilieren. Westliche Regierungen bleiben vorerst gelassen

Jerusalem/Tel Aviv (AP/dpa/taz) – Das Ergebnis der Wahlen zum Ministerpräsidenten hat Israel zerrissen, obwohl das Ergebnis noch nicht hundertprozentig feststeht. „Ich möchte am liebsten meine Koffer packen und das Land so schnell wie möglich verlassen“, erklärte Lea Rabin, die Witwe des ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin, gestern erschüttert. Nach Auszählung fast aller Stimmen errang der Kandidat des rechten Likud-Blocks, Benjamin Netanjahu, eine knappe Merheit von 0,7 Prozentpunkten.

In seinem Wahlkampf hatte der Likud- Chef keinen Zweifel daran gelassen, daß er von der Versöhnungspolitik, wie sie die Arbeitspartei des bisherigen Regierungschefs Schimon Peres derzeit betreibt, nichts hält. Frau Rabin fürchtet, daß Netanjahu den von ihrem Mann eingeleiteten Nahost-Friedensprozeß nicht ernsthaft weiterführen wird.

Laut der Wahlkommission erhielt Netanjahu 50,3 Prozent der Stimmen, Peres 49,6 Prozent. Insgesamt 140.000 Stimmen der „Sonderwähler“ müssen noch ausgewertet werden. Dazu zählen Soldaten, Häftlinge, Patienten in Krankenhäusern und im Ausland lebende Diplomaten. Beobachter gehen jedoch davon aus, daß ihre Stimmen das Ergebnis kaum verändern. Bei den parallel abgehaltenen Parlamentswahlen verzeichneten Likud und Arbeitspartei Verluste, kleine und religiöse Parteien profitierten.

Angesichts des Ergebnisses frohlockten gestern jüdische Hardliner und islamische Friedensgegner wie der Iran. Westliche Politiker und viele Palästinenser befürchten dagegen eine „politische Katastrophe“, wie der SPD-Politiker Günther Verheugen formulierte. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, erklärte, er befürchte unter einer Likud-Regierung einen längeren Stillstand des Nahost-Friedensprozesses. Die islamistische Palästinenserorganisation Hamas sprach von einer „Kriegserklärung an die Palästinenser und an die Araber“. Rasi Muhammad, ein Hamas-Vertreter in Gaza, sagte gestern: „Die Israelis wollen den Frieden nicht. Die Ergebnisse der Wahlen sind für alle ein Schock, auch für die Palästinenser.“ Er warf Netanjahu vor, „radikale Positionen“ zu vertreten. Auch die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) bezeichnete das Ergebnis als „schweren Schock“. Die Frau von PLO-Chef Jassir Arafat, Suha Arafat, sagte hingegen, der Friedensprozeß werde auch bei einem Sieg Netanjahus fortgesetzt. Der Frieden bleibe in Kraft, weil er auf einer internationalen Entscheidung basiere.

Die USA erwarten nach den Worten von Präsident Bill Clinton von Netanjahu die Fortsetzung des Friedensprozesses. Wie Peres habe auch Netanjahu die „klare Verpflichtung“ ausgedrückt, beim Friedensprozeß zu bleiben, sagte Clinton gestern. Er fühle sich durch die Bekenntnisse der beiden großen israelischen Parteien und der beiden Spitzenkandidaten zum Friedensprozeß „besonders ermutigt“.

Bei einem Bombenanschlag in der von Israel besetzten Sicherheitszone wurden gestern im Südlibanon zwei israelische Soldaten getötet und fünf verwundet. Wie libanesische Sicherheitskräfte weiter mitteilten, erlitten auch zwei Angehörige der mit Israel verbündeten Miliz Südlibanesische Armee sowie ein Zivilist Verletzungen. Nach libanesischen Angaben war der Sprengsatz bei der Vorbeifahrt einer Patrouille in der Nähe der Stadt Mardscheijun explodiert. Die Detonation sei so stark gewesen, daß sie in der ganzen, überwiegend von Christen bewohnten Stadt gehört wurde. Zu dem Attentat bekannte sich die Hisbollah. Tagesthema Seite 3

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