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Rechte Wut auf linken „Funktionärskörper“

■ SPD-Kreis Mitte rechnet mit Kuhbier & Co ab: Unter Hamburgs Sozialdemokraten wird der Streit um die Zukunft von Partei und Stadtregierung immer heftiger Von Florian Marten

Mit bitterer Kritik an der Parteiführung hat sich an diesem Wochenende die SPD-Rechte zu Wort gemeldet. In einem sogenannten „Diskussionspapier“ des SPD-Kreises Mitte findet sich unter dem leicht irreführenden Titel „SPD Hamburg – Fit für die Zukunft“ eine schonungslose Abrechnung mit der SPD-Spitze um den Landeschef Jörg Kuhbier: „Der Funktionärskörper“ schade durch falsche Selbstkritik der Partei, entmachte durch Zentralisierung die Basis, vergraule die Stammwählerschaft und zeichne sich durch „eine bedrohliche Technikfeindlichkeit“ aus.

Der Kreis Mitte, politische Hausmacht der Betonfraktion um Bausenator Eugen Wagner und Ex-Senator Volker Lange, mischt sich damit massiv in eine Debatte ein, welche die SPD seit einigen Wochen über ein vom Landesvorstand abgesegnetes „Positionspapier SPD 95“ Kuhbiers führt. Kuhbier hatte darin Reform- und Entscheidungsstau bejammert, schwere Struktur-, Themen- und Organisationsmängel der Hamburger SPD eingeräumt und zu einer umfassenden Reformdebatte aufgerufen. Für Kreis Mitte ist das „eine dicke Bombe“: „Wie keine andere Partei dieser Stadt schaffen es Sozialdemokraten immer wieder, Erfolge totzuschweigen bzw. durch ihr eigenes Handeln in Mißerfolge zu verwandeln.“

Das Papier von Mitte, welches deutlich die Handschrift von Kreischef Volker Lange trägt, ist nur die Spitze eines Eisbergs aus Wut und Angst, der sich mittlerweile im rechten Lager breitmacht. Lange beispielsweise flippte bereits im April 1994 öffentlich auf dem SPD-Parteitag aus, als dieser einen rechten Kungelkandidaten absprachewidrig nicht in den Landesvorstand wählte. Auch als jetzt Mitte Januar ein SPD-Abweichler in der Bezirksfraktion Mitte den Durchmarsch des Lange-Zöglings Siegfried Bars zum neuen Bezirksamtsleiter stoppte, schwollen bei Lange die Zornesadern.

Durchaus verständlich: Lange, der im Bezirk Mitte ausgesprochen ungeniert in Immobiliengeschäften mitmischt, bei denen ihm seine Kenntnisse und Kontakte als Ex-Bau- und Ex-Wirtschaftssenator ebensowenig hinderlich sein dürften wie seine Männerfreundschaft mit dem amtierenden Bausenator Eugen Wagner, muß mittlerweile fürchten, nach der SPD-Eminenz Gerd Weiland zweites prominentes Opfer einer noch recht zögerlichen Säuberungswelle in Sachen Filz zu werden.

Auch Günter Elste, derzeit wichtigster Fuhrmann der nach wie vor einflußreichen Wandsbek-Connection, wendet sich, zusammen mit einer Vielzahl rechter Hinterbänkler, mittlerweile immer deutlicher von Parteispitze und Senatspolitik ab: Während in der Parteispitze die Linke ihre neue Mehrheit genieße und die Partei mit üblen Erneuerungsdebatten quäle, so mosern Elste und Co, habe in Senat und Verwaltungsspitze eine neue Garde voscherauhöriger Macher die Macht ergriffen, die – anders als früher – nicht mehr von rechten Kreisverbänden fernsteuerbar sei, sondern frech ihr eigenes Süppchen im Senatsgehege koche. Der Kurs von „Ick-bün-ollhier-Senator“ Thomas Mirow in Sachen Hafenstraße gilt ihnen als herausragendes Beispiel jener neuen Politik von oben herab.

Kein Wunder also, daß Leute wie Elste und Lange plötzlich in die Argumentationskiste ihrer Parteigegner greifen und heftig über Basisverrat, Zentralisierung und Demokratieverlust innerhalb der SPD wettern. Die nächsten Zusammenstöße von Rechts und Links sind bereits programmiert: Heute abend diskutiert die SPD im Kurt-Schuhmacher-Haus Kuhbiers Thesen, am 25. März soll sich sogar ein SPD-Landesparteitag damit befassen.

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