Rechte Verlage auf der Buchmesse: Auf feindlichem Gebiet
Viel ist die Rede von rechten Verlagen. Es gibt sie – ein winziger Fleck im Bücherkosmos. Aber was hat dieser Fleck eigentlich zu bieten?
In den Hallen der Frankfurter Buchmesse geht es zu wie auf dem Weltraumbahnhof von Mos Eisley. Verlegerinnen, Vertreter, Bloggerinnen, Journalisten, Zeichner, Vertriebspartner, Aktivisten, hommes et femmes de lettres von allen nur denkbaren Planeten im zwanglosen Gespräch miteinander. Gastgeber ist das geistige Deutschland, wenn man so will. Es geht ums Denken und Schreiben, ums Lesen und Reden, klar. Aber auch ums Gucken. Und da kommen wieder dieser Kinder ins Spiel, aus dem wir sie eigentlich lassen sollten . . .
Sehen wir lieber Richard David Precht zu, wie er es schafft, mit übereinander geschlagenen Beinen in einem Sofa zu versinken, das Mikro vor der Nase. Vorbei huscht dieser kleine Dicke mit der Literatursendung, Schweiß auf der hohen Stirn. Nicht weit davon an einem Pfeiler lehnt dieser lange Dünne mit der Literatursendung, wie heißt er doch gleich? Der immer so erschrocken guckt? Gerade nickt er gelangweilt die Worte seiner Gesprächspartnerin ab, der Blick schweift erschrocken durch die Halle.
Mädchen mit Zopf, Verleger mit scharfem Scheitel
Denn da sind sie wieder, diese Kinder. Ein kleines Mädchen, die langen Haare zu einem aparten Zopf geflochten. Ein ernster Junge, vermutlich ihr älterer Bruder, in kurzer schwarzer Hose und den Schädel an der Seite akkurat ausrasiert. Sie sind in Begleitung eines jungen Mannes mit einem dieser ordentlichen Scheitel, wie ihn einst Unteroffiziere auf U-Booten getragen haben, beim Auslaufen in Lorient oder Brest. Eine bewusste ästhetische Setzung. Herrgott, die Kinder und ihr Betreuer fallen auf. Sie sollen auffallen, sind hier bewusst ins Spiel gebracht. Unfreiwillige kleine Cosplayer, die an Heimatfilme aus den Fünfzigerjahren erinnern. Ihre Eltern, Ellen Kositza und Götz Kubitschek, stehen an ihrem Stand in Halle 3.1, Reihe G, Parzelle 82, und sind sehr beschäftigt.
Viel war im Vorfeld der Messe von einer Invasion rechtsradikaler Verlage die Rede – was mehr über die Rede verrät als die Konjunktur rechtsradikaler Verlage. Die Junge Freiheit ist da, wie immer. Beim elitären Magazin Cato liest einsam der Chefredakteur ein dickes Buch. Angeblich soll irgendwo in Frankfurt eine rechtsextreme Stiftung rechtsextreme Bücher und ihre rechtsextremen Autoren vorstellen, vielleicht aber auch nicht. Eher nicht.
Bleibt Antaios, der Verlag des „rechten Vordenkers“ Götz Kubitschek und dessen Gattin, die er siezt, so ein feiner Mensch ist das. Antaois war weg und ist dieses Jahr „wieder da“. Von einer Invasion kann keine Rede sein. „Zu zeigen, dass das, was wir tun, Normalität ist, ist ein Teil unserer Aufgabe“, erläutert Kubitschek gerade. Der Stand von Antaios ist also so etwas wie der Stand der Dinge – in einer Zeit, da Rechtsradikale wieder im Bundestag sitzen.
Dabei ist dieser Stand auf der Buchmesse, gemessen an den Quadratkilometern bunter Ausstellungsfläche ringsum, nur ein winziger Fleck. Ein Fleck allerdings, der – wie beim Hautarzt – mehr besorgte Aufmerksamkeit weckt als die ganze übrige Fläche zusammen. Es ist, um in der bellizistischen Gedankenwelt der Rechten zu bleiben und Carl von Clausewitz’ „Vorlesungen über den kleinen Krieg“ zu zitieren, ein Vorstoß auf feindliches Gebiet zwecks Bindung gegnerischer Kräfte. Das Manöver gelingt. Kräfte sind gebunden, Aufmerksamkeit wird geschenkt.
Die Amadeu Antonio Stiftung ist gleich gegenüber
Schräg gegenüber von Antaios hat die Leitung der Buchmesse die Amadeu Antonio Stiftung platziert, als Gegengewicht, Gegengift. Dort finden sich Bücher wie „Gibt es Germanen?“ oder „Identitär!“, hier Broschüren zum „Lagebild Antisemitismus“ oder „Vom Willkommen zum Ankommen“. Es geht ein Riss durch die Gesellschaft, den Kubitschek bewusst „vertiefen“ möchte und der auch in Reihe G auf dieser Buchmesse spürbar ist. Auf der einen Seite wird „Mit Linken leben“ gelesen, auf der anderen „Mit Rechten reden“. Die Platzierung von Antaios ist ein symbolischer Schachzug, ein Austausch zwischen den Weltanschauungen findet nicht statt. Fragt man bei der Stiftung und bei den Rechten, heißt es auf beiden Seiten unisono: „Die haben kein Interesse an einem Diskurs.“ Patt.
Eben trugen Vertreter des Börsenvereins, um „ein Zeichen zu setzen“, Schilder mit Parolen wie „Freiheit und Vielfalt“ und „Gegen Rassismus“ durch die Reihe G. Jetzt treten sich wieder Kamerateams gegenseitig auf die Füße, Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) rauscht vorbei. Er macht der ebenfalls benachbarten „Bildungsstätte Anne Frank“ seine Aufwartung, wo er im Rahmen einer Aktion gegen rechts seinen Mund fotografieren lässt. Wegen „Mund aufmachen“ oder auch „Zähne zeigen“ als „Statement gegen rechts“.
Beim anschließenden Interview mit dem Hessischen Rundfunk drängt Kubitschek sich offensiv neben Feldmann, der wolle mit ihm doch „über Demokratie reden“. Oder doch lieber „über die Intoleranz der Toleranten“? Auch hier findet die allseits geforderte „inhaltliche Auseinandersetzung“ nicht statt, der Bürgermeister wendet sich Kubitschek nicht einmal zu. Der beschwert sich, obwohl als abweichende Stimme auf der Messe eben durchaus wahrgenommen, weiter über die „Grenze der Vielfalt“.
Erst am Morgen, sagt er, seien Bücher seines Verlags beschmutzt worden, wahrscheinlich mit Zahnpasta. Nun wissen gerade rechte Verschwörtungstheoretiker, was eine „false flag operation“ ist – ein Foto der besudelten Bände von Armin Mohler („Gegen die Liberalen“), Gerd-Klaus Kaltenbrunner („Rekonstruktion des Konservatismus“) oder Thor von Waldstein („Metapolitik“) ist bereits via Twitter verschickt.
Freiheiten nutzen, um diese auszuschalten
Vielleicht ist auch schon die Forderung nach einer „inhaltlichen Auseinandersetzung“ leeres Gefasel. Der Historiker und Publizist Volker Weiß, mit „Die autoritäre Revolte“ auf der Shortlist zum Leipziger Buchpreis 2017, hält die Formel von der „Intoleranz der Toleranten“ für gefährlich. Die Neue Rechte wolle die Mittel und Freiheiten des offenen Diskurses nutzen, „um ihn auszuschalten“, sagt Weiß. Und weiter: „In Publikationen von Antaios wird das Frauenwahlrecht infrage gestellt, ein einkommensabhängiges Klassenwahlrecht gefordert und die Demokratie zur Herrschaft der Minderwertigen erklärt.“ Weiß sieht „hinter dem ästhetisierenden Geschwätz“ von Kubitschek und Co. „klare Vorstellungen von einer autoritär gefassten, aggressiven Nation“.
Wobei gerade das Ästhetisierende offenbar verführerisch ist. Zwei ältere Besucher, schwer mit Umhängetaschen bepackt, bleiben vor dem Stand stehen. „Das sind die Rechten“, sagt der eine zum anderen. „Ach ja“, sagt der und hält ebenfalls inne. Und dann stehen beide einfach nur da und gucken die Rechten an. Gucken einfach nur.
Nun könnte man beschreiben, wie Kubitschek im Gespräch mit dem Reporter die Hände in den Hosentaschen lässt, in der Hose steckt schon ein schwarzes Hemd. Man könnte das Eisige beschreiben, das diesen Stand umweht, nicht „eisig“ im Sinne von „frischer Wind“, sondern eine Leichenschauhauskälte. Man könnte den inzwischen ikonischen Janker beschreiben, graue Schurwolle, Hornknöpfe, mit dem er im aktuellen Magazin der New York Times abgebildet ist (Titel des langen Stücks: „The Prophet of Germany’s New Right“) und der nun über der Lehne eines Stuhles hängt. Könnte man machen. Und käme darüber in genau jenes Geraune, das Antaios’ eigentliches Geschäft ist.
Überhaupt dürfte es kaum einen politisch interessierten Journalisten geben, der noch nicht auf dem Kubitschek’schen „Rittergut“ in Schnellroda gewesen ist, den „selbstgemachten Käse“ beschrieben hat, die hohe Stuhllehne des Hausherren, die Kinder. Die Ziegen. Die Ziegen gehören, wie die Kinder, auch zum ästhetischen Programm, in Verbindung zur Scholle zu bleiben. Es sind die vielleicht meistfotografierten Ziegen der Welt. Den Leserinnen und Lesern der New York Times wird gar geschildert, wie Kubitschek einem Ziegenbaby den Bauch massiert, damit es besser scheißen kann. Die Falle ist bereits zugeschnappt, da hat Kubitschek recht. Es ist längst Normalität. Medien, die auf Ziegen starren.
Antaios-Bücher sind nur pflückbare Pilzfrüchte
Vielleicht sollte man, statt „genau hinzuschauen“ oder auch einfach nur mit offenem Mund „gegen rechts“ zu glotzen, lieber dem Blick der Rechten folgen und sehen, wohin sie eigentlich schauen. Dazu zählen die Ziegen, das Gerede vom Autochtonen, den „guten Dingen“, die es noch gebe und die es angeblich gegen eine rasende Moderne zu verteidigen gilt. Dazu zählen auch die Kinder, wie es unlängst die Aussteigerin Heidi Benneckenstein mit „Ein deutsches Mädchen“ so eindrücklich aufgeschrieben hat.
„Man bringt sich in Stellung“, gibt Volker Weiß zu bedenken: „Übrigens werden diese Leute den Diskurs weitaus weniger gepflegt führen, wenn sie einmal in entsprechenden Positionen sind.“ Dass sie in diese Positionen drängen, ist nicht erst mit dem jüngsten Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl evident. Kubitschek und sein ebenfalls in Schnellroda angesiedeltes „Institut für Staatspolitik“ gelten als ideologische Kaderschmiede der „Alternativen“ und Identitären.
Die Bücher von Antaios sind nur die pflückbaren Pilzfrüchte. Die eigentliche Gefahr geht von dem mykologischen Geflecht aus, das unterirdisch und unsichtbar die Akteure vereint – und in dem Kubitschek tatsächlich die Rolle eines „Vordenkers“ spielt. Nachdenker wären dann Leute wie etwa Alexander Gauland oder Duzfreund Björn Höcke, aber auch Identitäre wie Martin Sellner.
Weiß rät zu „weniger Spektakel, weniger Staunen, mehr Analyse“. Diabolisierung und Heroisierung gingen „oft Hand in Hand“, sagt er. Weiß: „Sinnvoller wäre die Feststellung, dass das alles dünnes Zeug ist“, von Rolf Peter Sieferles „Finis Germania“ bis zu den enthemmten Wutschriften eines Akif Pirinçci („Umvolkung“) – um nur die beiden erfolgreichsten Autoren aus dem Portfolio von Antaios zu erwähnen. Mit dem weihevollen Habitus und professoralen Dünkel, mit dem die Neue Rechte sich gerne umwölkt, passen der abgedriftete Historiker mit seinem „Auschwitz-Mythos“ und die volksverhetzende Knalltüte schlecht zusammen.
Kein Geist im neuen Ungeist
Es steckt im Neuen Ungeist einfach kein Geist, mit dem eine Auseinandersetzung sich lohnen würde. Wer sich mit der Selbstentfremdung und den Untergangsängsten des Bürgertums befassen möchte, meint Volker Weiß, „kann bereits im gut sortierten Bücherregal seiner Urgroßeltern fündig werden. Oder antiquarisch.“ Inhaltlich und ästhetisch ist Kubitschek nicht einmal ein Epigone von Ernst Jünger, sondern von dessen verstoßenem Privatsekretär Armin Mohler – also der zweite Aufguss eines zweiten Aufgusses, in der Tat „dünnes Zeug“.
Und das ist eben auch das Schöne an der Buchmesse, dass „die Altlasten“ auch alle vertreten sind. Darüber muss nicht gemunkelt werden, man kann die Bücher alle hernehmen und, ja, lesen. Es ist lehrreicher und unterhaltsamer, sich mit Gabriele d’Annunzio zu beschäftigen statt mit Martin Lichtmesz. Warum Manifeste fürchterlicher Juristen lesen, wenn man mit Carl Schmitt das Original studieren kann?
Realistischerweise dürfte die Rezeption beinhart konservativer Klassiker wie Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ aus stilistischen Gründen eher auf das literaturwissenschaftliche Seminar beschränkt bleiben. Dennoch sind diese Texte keineswegs so toxisch für das demokratische Bewusstsein, wie es uns die Neue Rechte so händeringend weismachen will. Célines „Reise ans Ende der Nacht“ mag ein finsterer Roman sein, kann aber auch als solcher gelesen werden. Einen Schock, wie zur Zeit seiner Veröffentlichung im Jahr 1932, löst er nicht mehr aus. All die Säulenheiligen der „Rechtsintellektuellen“ geben Auskunft über ihre Zeit. Man kann sie lesen, ohne sie nachahmen zu wollen. „Allerdings sollte man nicht auf die Idee kommen, daraus eine Handlungsanleitung für die Gegenwart zu stricken, wie das alte und neue Rechte etwa mit Carl Schmitt tun“, sagt Weiß.
Statt also, wenn’s denn stimmt, Produkte von Antaios mit Zahnpasta zu beschmieren, statt mit Schildchen herumzulaufen oder den eigenen Mund fotografieren zu lassen, statt auf Kinder oder Strickjacken oder Ziegen zu starren, sollte man vielleicht – lesen.
Es lohnt vor allem deshalb, weil ein funktionierendes Verlagswesen verantwortungsvoll mit „den Altlasten“ umgeht. Transparent, editorisch professionell und so gewissenhaft, dass die Lektüre nicht nur ästhetischen Gewinn bringt. Von Ernst Jünger beispielsweise sind bei Klett-Cotta unlängst unter dem Titel „Krieg als inneres Erlebnis“ alle Schriften zum Ersten Weltkrieg versammelt worden. Wort für Wort ist darin nachvollziehbar gemacht, welche Stellen der Schriftsteller in den folgenden Jahrzehnten wann genau gestrichen hat. Aus inhaltlichen Gründen. Weil er reifer geworden war, gelassener, schlauer, den Faschisten kein Futter geben wollte. „Das Bedürfnis des Blutes nach Festfreude und Feierlichkeit“? Gestrichen.
Tilgungen dieser Art waren es, die Jünger und seinen radikalen Sekretär Armin Mohler einander entfremdet hatten. Der gleiche Mohler, den Kubitschek verlegt, dem er sich anverwandelt, auf den er sich bezieht. Man muss Jünger nicht mögen. Man kann ihn aber den Neuen Rechten gewissermaßen vor der Nase weglesen. Es lohnt.
Der Verlagsname Antaios
Immerhin nennt sich der Verlag nach einem Periodikum, das Ernst Jünger von 1959 bis 1971 herausgegeben hat: Antaios. Zeitschrift für eine freie Welt. Darin fanden sich Aufsätze über LSD, das Fliegen, die Raumfahrt, aber auch Essays über „das Abendland“ und „die Tradition“ als faschistischer Schlüsselbegriff. Es war Stoff von engagierten Amateuren für interessierte Amateure. Juristen, Ärzte, Beamte. Mittleres Bürgertum, entwurzelt.
Antaios selbst übrigens ist ein Riese aus der griechischen Mythologie, ein Sohn des Poseidon und der Gaia. Er lebte in einer libyschen Höhle, jagte Fremde und zwang Reisende, mit ihm zu kämpfen. Ungleiche Kämpfe waren das, weil Antaios durch die Berührung mit seiner Mutter, der Erde (und also Scholle) unerschöpfliche Kräfte zugeführt wurden – bis er auf Herakles traf. Der Held umarmte den Riesen. Dann hob er ihn von der Erde in die Luft. Und machte dem Spuk so, durch Umarmung und Hebung, ein Ende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren