Rechte Schülerzeitungen: Propaganda auf Kölns Pausenhöfen
Fallbeispiel Domstadt: Eine rechte Bürgergruppe geht seit einem Jahr mit einer Schülerzeitung auf Stimmenfang. Politiker beschweigen das braune Problem.
Youssef El Rayes wollte etwas für die Jugend und die Schulen am Rhein tun. Und ein bisschen auch etwas für seinen Biergarten am Aachener Weiher. Also buchte er eine Anzeige in der Objektiv, die - so die Werber - die größte Schülerzeitung der Domstadt werden sollte. Als die erste Ausgabe vor drei Kölner Gymnasien aber verteilt wurde, so erzählt Youssef El Rayes, "bin ich fast ohnmächtig geworden". Hinter dem bunten Heftchen verstecken sich nicht etwa Schüler, sondern die rechte Bürgerbewegung "Pro Köln". Wie andere gutgläubige Kölner Geschäftsleute war der Biergartenbetreiber einer der neurechten Schülerzeitungen auf den Leim gegangen.
Rechtsextreme gehen in ganz Deutschland auf Nachwuchsfang. Erst verteilte die NPD Rechtsrock-Musik auf den Schulhöfen, jetzt legen sie Schülerzeitungen aus. Die Hefte sehen sind bunt, knallig und professionell gemacht. "Jung - frech - deutsch" steht über der NPD-Postille Perplex. Unter der Ankündigung "Die Regierung betrügt uns" reckt sich ein Mittelfinger. Drinnen im Heft erklären die Nationalisten, wie man eine Geschichtsstunde in der Schule aufmischen kann ("Der Krieg, der viele Väter hatte").
Die NPD erreicht so mit wenig Einsatz ein vergleichsweise großes Medienecho. Die Produktion übernehmen angeschlossene Verlage (in Sachsen ist die Deutsche Stimme an der Herstellung von Perplex beteiligt), die Mitglieder der Ortsgruppen der "Jungen Nationaldemokraten" übernehmen die Verteilung. Auch in anderen Bundesländern liegen Hetz-Hefte in Zehntausender-Auflage bereit. Sie heißen Der Stachel (Berlin), Jugend rebelliert (Sachsen-Anhalt) - und nun also das Heftchen Köln, das sich frech Objektiv nennt.
Inzwischen feiert die Bürgerbewegung "Pro Köln" mit ihrer angeblich "nonkonformen Schülerzeitung Objektiv" den ersten Geburtstag. Und die Propagandaaktion an Kölner Schulen geht weiter. "Es wäre leicht zu sagen, dass dies nur eine punktuelle Aktionsoffensive ist", sagt Andreas Pöttgen. Der 18-Jährige betreut neben seinen Abiturvorbereitungen am Albertus-Magnus-Gymnasium in Köln-Ehrenfeld die Schülerzeitung Impuls. Die Zeitung werde seit einem Jahr verteilt, die Flyer deutlich länger. "Das ist definitiv eine Strategie, wie diese rechten Populisten flächendeckend und regelmäßig die Briefkästen zumüllen", meint Pöttgen. Der Schülerzeitungsmacher findet es peinlich, "wie die Kölner mit dem Thema umgehen". Wird das Heft verteilt, verfalle Köln in eine kurzfristige "oh mein Gott, die Rechten holen unsere Kinder"-Hysterie. Einen Tag danach aber ist alles wieder vergessen.
Die Schüler reagieren anders. Sie klären ihre Mitschüler auf, organisieren Demos und befördern die Objektiv-Hefte dahin, wo sie ihren Platz haben sollten - in den Papierkorb. Unterstützung von städtischer Seite gibt es, leider, nicht. "Richtig umgehen damit tun die wenigsten. Dabei betreibt Pro Köln Wahlkampf ohne Pause", sagt Andreas Pöttgen. Der Schülerzeitungsgründer findet das auch aus anderen Gründen unappetitlich. "Oberbürgermeister Fritz Schramma feiert Köln als die Medienhauptstadt Deutschlands - jedoch fehlt es weit und breit an demokratischer Nachwuchsförderung."
Diesen Eindruck hat auch Daniel Bär. Der 18-jährige Schüler ist einer, der nicht so leicht aufgibt. Jüngst hat er die Demonstration "Schüler gegen rechts" mit organisiert. Nun hat er mit Freunden einen Verein gegründet, der Schülerzeitungen helfen will: "Wir werden junge Medienmacher mit Seminaren, Recherchebesuchen, Diskussionen und Publikationen bei ihrer Arbeit unterstützen", berichtet Bär. Eine viel versprechende Idee - die bei der Stadt offenbar auf wenig Interesse stößt: "Ich habe leider die Erfahrung machen müssen, dass junge Leute, die neue Angebote zur Förderung der Medienkompetenz schaffen wollen, keine Unterstützung erhalten", berichtet Bär.
Solche Vorwürfe hört Wolfgang Fehr nicht gerne. Dabei ist er derjenige, der junge KölnerInnen medial auf Trab halten soll - Fehr ist Leiter der Fachstelle Jugendmedienpädagogik und damit Ansprechpartner für jugendliche Verleger.
Fehr hat einen Platz auf der Sonnenseite des Kölner Mediaparks. In einem großen Zimmer mit voll verglaster Front im siebten Stock genießt er den Panoramablick auf den Güterbahnhof - was in der Szene vor sich geht, sieht er weniger klar. Sein Vorzeigeprojekt "Jukobox" existiert seit Mai 2004 als Jugend-Online-Redaktion und wird "von Schülern für Schüler" geschrieben - angeblich. Tatsächlich tippen bezahlte studentische Hilfskräfte. Von 121 Artikel zwischen Mai und August 2007 erschienen über 100 unter den Namen von drei Studis. Fehr sucht unverdrossen nach Studenten, die gegen Geld von Schülern für Schüler für die "Jukobox" texten.
"Es ist sehr schwierig, die richtigen Ansprechpartner zu finden, die wirklich helfen können", sagt hingegen Daniel Bär. Man bräuchte zunächst mal einen Raum. Doch selbst diese Starthilfe gibt die Stadt nicht. "Im Moment brauchen wir uns nicht wundern, dass es nur noch an einem Bruchteil der Kölner Schulen Schülerzeitungen gibt", meint Bär.
Tatsächlich erscheinen in Köln nur noch rund 30 Schüler-Publikationen, wie das Jugendmagazin Rheintaucher in einer Befragung aller Schulen herausfand - in der Blütezeit der Schülerzeitungsszene waren es rund 100 Publikationen. Nur jedes dritte Gymnasium verfügt noch über ein eigenes Blatt, in anderen Großstädten liegt die Quote zwischen 70 und 80 Prozent. Noch schlimmer sieht es bei Realschulen aus. Dort hat nur noch jede Sechste eine Schülerzeitung.
Auch der Blogger "demokrat4711" ist aufgeschreckt. Der Beobachter der Bürgergruppe "Pro Köln" betreibt mit "Biedermanni verliert" eines der aktivsten Polit-Watchlogs Deutschlands. Mehrmals wöchentlich spießt er kleine und große Peinlichkeiten auf. "Die Stadt sollte endlich Geld lockermachen für die notwendige Aufklärungsarbeit, die Verwaltungsbeamte nicht leisten können", meint er, will aber anonym bleiben. Dabei sei es einfach, über "Pro Köln" aufzuklären: "Die eine Hälfte der Texte ist der übliche rassistische Müll", sagt "demokrat4711", "die andere Hälfte soll sich an Jugendliche heranschleimen, ist aber irgendwo im Internet geklaut."
Tatsächlich ist es nicht möglich, als interessierter Schüler bei Objektiv mitzuschreiben. Wer zu einem Redaktionstreffen kommen will, muss sich erst bei den rechtslastigen Bürgern vorstellen. Offizielle Begründung vom Objektiv-Herausgeber: "Schutz vor linken Übergriffen". Biedermanni-Blogger vermutet einen ganz anderen Grund: "Ich bezweifele, dass auch nur eine Textzeile in Objektiv von einem Schüler verfasst wurde."
Die Reaktion von Politik, Medien und Öffentlichkeit in Köln hält "demokrat4711" für oberflächlich: "'Nazis raus!'-Rufe an drei Demo-Samstagen pro Jahr reichen nicht", sagt der Blogger. Schließlich gäbe es ein Wählerpotenzial von knapp 18 Prozent für eine autoritäre, nationalistische und fremdenfeindliche Partei. Das belegen Untersuchungen des Berliner FU-Professors Richard Stöss. "Diese Wähler wollen aber Rechtsaußen, nicht Rechtsdraußen", sagt der Kölner Polit-Blogger.
Noch in diesem Jahr soll die vierte Ausgabe von Objektiv an Kölner Schulen verteilt werden. Alle Werbekunden der ersten Ausgabe sind zwar geflüchtet. Doch das kann Herausgeber Martin Schöppe egal sein. Schließlich nehmen die "Pro Köln"-Ratsfraktion, die Zeitschrift Nation 24 sowie der Webspace-Provider "auf-ins-inter.net" (beide Unternehmen gehören dem Pro-Köln-Ratsherrn Manfred Rouhs) und der Medienservice Bernd Schöppe (ebenfalls Pro-Köln-Ratsherr) trotzdem gern freie Werbeflächen. Als Gegenleistung stellt Bernd Schöppe, Bruder des Herausgebers Martin Schöppe, die 3.000 Schülerzeitungen in Eigenregie her.
"Bernd Schöppe lebt offenbar von Druckaufträgen, die die Fraktion ihm zuschanzt", glaubt der Blogger "demokrat4711". Und auch sonst sei die Herstellung von 3.000 dünnen Heftchen eine Investition, die auch kleine Bürgerbewegungen leicht verkraften können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau