Rechte Fangewalt in Italien: Eine bizarre Kneipenkeilerei
Bei Lazio Rom wird Antisemitismus toleriert. Verbindet dieser gar mit dem Erzfeind AS Rom? Die Attacke auf Tottenham-Anhänger wirft etliche Fragen auf.
Eine vermutlich gemeinsam von Hooligans der beiden römischen Klubs Lazio und AS Rom organisierte blutige Attacke auf Anhänger des Premier-League-Vereins Tottenham Hotspurs in der Mittwochnacht wirft derzeit etliche Fragen auf.
Weil Lazio-Anhänger im Stadion antisemitische Parolen skandiert und antiisraelische Transparente ausgerollt hatten – eine Fanfraktion von Tottenham nennt sich „Yid Army“ –, steht der Antisemitismusverdacht auch über der Gewalttat auf dem Campo dei Fiori. Die könnte indes auch andere, bizarrere Hintergründe haben.
Unstrittig ist zumindest, dass in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag in der Bar „Drunken Ship“, einem traditionellen Treffpunkt englischer Fußballfans, die Eingangstür und einiges Mobiliar zu Bruch gingen. Messer, Pflastersteine und Fäuste flogen, Blut floss. Das römische Krankenhauspersonal hatte schon am Vorabend des 0:0 zwischen Lazio und Tottenham einiges an Mehrarbeit.
Elf verletzte englische Fans sind die Bilanz. Einer von ihnen wies Messerstiche in der Brust und im Rücken auf. Ein anderer schwebte durch die Verletzung einer Arterie zwischenzeitlich in Lebensgefahr und musste laut italienischen Medien mit 20 Stichen am Kopf genäht werden.
Eine skurrile These
Auslöser war eine Attacke von etwa 30 bis 40 mit Helmen und Skimasken vermummten Männern. Bei einem von ihnen sah ein Augenzeuge einen Lazio-Fanschal, ein anderer verlor eine Widmung an Gabriele Sandri. Sandri, bekennender Lazio-Fan, wurde 2007 von einem Polizisten während einer Schlägerei von Lazio- und Juve-Ultras auf einer Autobahnraststätte erschossen. Viele Ultras verehren ihn wie einen Märtyrer.
Zwei der bislang vier identifizierten Angreifer werden aber der Roma zugeordnet. In einem der Roma-Fans vermutet die Polizei nach Auswertung von dessen Handydaten gar den Organisator des Angriffs. Für die internationalen Schlagzeilen in Sachen Fangewalt hatten in der italienischen Hauptstadt in den letzten Jahren ohnehin die Roma-Fans gesorgt.
Weil nun die Nachricht durchsickerte, dass sich am Mittwoch in einer Art Vorgriff auf das gestern in der Premier League ausgespielte Londoner Derby zwischen West Ham United und Tottenham auch ein paar West-Ham-Fans auf die Reise nach Rom gemacht hatten und die Angegriffenen auf dem Campo dei Fiori von außen nicht als Tottenham-Fans zu erkennen waren, stellte die römische Tageszeitung La Repubblica folgende ziemlich skurrile These auf:
Die Roma-Anhänger, denen die Fanfreundschaft zwischen Lazio und West Ham – Lazio-Idol Paolo di Canio, im Übrigen ein unverhohlener Sympathisant rechtsradikalen Gedankenguts, war in beiden Vereinen unter Vertrag – ein Dorn im Auge ist, hätten die Engländer für West-Ham-Fans gehalten und deshalb attackiert. Aber warum waren dann möglicherweise Lazio-Fans beteiligt?
Messerstiche als Folklore
Das Ganze erscheint in einem wahrlich bizarren Licht. Die römische Polizei rückte in den vergangen Tagen jedenfalls zunehmend von einem antisemitischen Hintergrund der Gewalttat ab. Der kann aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Zeugenaussagen, es hätte beim Angriff antisemitische Parolen gegeben, sind widersprüchlich.
Dass Lazio-Fans im Stadion aber ungestraft „Juden Tottenham“ grölen und Spruchbänder mit der Aufschrift „Free Palestine“ anbringen durften, weist auf Probleme der Stadionsicherheit hin. Lazio-Präsident Claudio Lotito lehnte jegliche Verantwortung seines Klubs ab. Mit solch einer Haltung toleriert er Ausschreitungen jeder Art.
Die eilfertige Entschuldigung des italienischen Fußballverbands für die vor Tagen noch mit eindeutigem antisemitischen Stempel geprägte Gewalttat verdeckt die epidemischen Gewaltprobleme. Es ist inzwischen so weit gekommen, dass Messerstiche als Folklore aufgefasst werden, ein Erschrecken aber erst bei der „Garnierung“ mit rassistischer oder antisemitischer Hetze erfolgt.
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