Rechte Ecken in Berlin (Teil 4): Friedrichshain: "Jedes Wochenende passiert was"
Friedrichshain ist stärker als jeder andere Berliner Stadtteil von rechter Gewalt betroffen. Nach dem Verbot der Kameradschaft Tor haben sich die Neonazis hier reorganisiert. Der Nachwuchs nimmt verstärkt Antifas ins Visier.
"Die Kameradschaft Tor hat früher immer Migranten angegriffen. Heute gehen die Rechten gezielt auf Linke los." Daniel sitzt vor einer Bäckerei in der Rigaer Straße, nimmt einen Schluck "Club Mate" und zuckt ein wenig ratlos mit den Schultern. Es ist ein schöner Abend im alternativ geprägten Friedrichshainer Nordkiez. Am schräg gegenüber liegenden Infoladen "Daneben" flattern Transparente, die Hauswände sind bunt von Graffiti und Plakaten, die zu Punkkonzerten einladen: Scheinbar nicht der Ort, an dem man sich Sorgen über Neonazi-Gewalt machen müsste. Doch der 29-Jährige, der sich im "Daneben" engagiert, erzählt von einer neuen Welle rechter Übergriffe im Kiez, von jugendlichen Rechtsextremen, die sich ihre Sporen verdienen wollen. "Es kommen Leute nach", sagt er. "Du kannst damit rechnen, dass jedes Wochenende was passiert."
Rechtsextremismus ist überall in Berlin anzutreffen. Einige Ecken der Stadt sind jedoch besonders betroffen. Das zeigt eine Studie über "Rechte Gewalt", die der Berliner Verfassungsschutz vorgelegt hat. Demnach gibt es vor allem in Lichtenberg, dem südlichen Neukölln, aber auch in Prenzlauer Berg Kieze, in denen sich Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund häufen. Auch weil dort viele Täter wohnen. Die taz hat sich vor Ort umgesehen.
Friedrichshain, mit dem sich der vierte Teil unserer Serie "Rechte Ecken" befasst, ist laut der Studie des Verfassungschutzes ein Sonderfall: Hier würden zwar vergleichsweise wenig Neonazis wohnen, dennoch sei der Stadtteil "überdurchschnittlich von politisch motivierter rechter Gewalt" betroffen.
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Friedrichshain eine rechte Gefahrenzone? Das mag zunächst überraschen, hat der Ortsteil doch ein hippes, alternatives Image. Friedrichshain, damit assoziieren viele das wuselige Treiben in den Bars der Simon-Dach-Straße, wo Touristen gerne ausgehen. Die linken Hausprojekte in der Rigaer Straße und schrammelige Technopartys in den Clubs entlang der S-Bahn-Strecke. Die schicken neuen Klamottenläden im Südkiez, wo man mittlerweile teuer shoppen gehen kann, falls man nicht den sonntäglichen Flohmarkt am Boxhagener Platz bevorzugt.
Das ist ein Teil der Realität. Ein anderer ist weniger werbekampagnentauglich und wird von vielen Anwohnern und Besuchern auch gar nicht wahrgenommen. Die Statistiken allerdings sprechen eine deutliche Sprache. Der in Sachen Nazigewalt stets zurückhaltende Berliner Verfassungsschutz zählte im Zeitraum 2003 bis 2006 insgesamt 26 rechte Gewalttaten in Friedrichshain. Im inoffiziellen "Schattenbericht" mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen werden 51 Angriffe allein für das bisher schlimmste Jahr 2006 angegeben, die Antifa Friedrichshain listete gar 103 Opfer. Vier der Attacken wertet sie als Mordversuche. Egal, welche Quelle man heranzieht, ein Schluss drängt sich auf: Menschen, die ins Opferschema rechter Schläger passen, leben derzeit nirgendwo in Berlin gefährlicher als in Friedrichshain.
Es ist zuvorderst ein importiertes Problem. Wenige Täter wohnen hier, die meisten stammen aus der rechtsextremen Szene im benachbarten Lichtenberg. Die reorganisierte sich nach dem Verbot der für ihre Gewalt berüchtigten Kameradschaft Tor im Jahr 2005 und bewies durch eine massive Zahl von Übergriffen ihre ungebrochene Schlagkraft. Tatort war meist der Kiez südlich der Frankfurter Allee. Dort machen Neonazis Jagd auf Andersaussehende, wenn sie an den Wochenenden zwischen ihren Stammkneipen an den Hauptverkehrsstraßen und den S-Bahnhöfen pendeln.
2007 war die Zahl der Angriffe wieder zurückgegangen, seit Anfang dieses Jahres nehmen sie wieder zu. Dabei gerät zunehmend der Nordkiez ins Visier, wo sich die meisten Hausprojekte finden. Eine neue, eher lose organisierte Generation von Neonazis macht sich offenbar daran, das Erbe der Kameradschaften anzutreten. Die linke Szene ist alarmiert.
"Natürlich redet da jeder drüber", sagt Daniel vor der Bäckerei. Extrem aktiv seien die jungen Rechtsextremen; sie würden versuchen, linke Projekte auszuleuchten. Die Blätter der Straßenbäume rauschen leise im Wind, ab und zu brettert ein Auto das Kopfsteinpflaster hinauf. Ein Punkerpärchen schiebt einen Kinderwagen vorbei. Daniel blinzelt in die Abendsonne. "Der Höhepunkt war sicher die Sache im SamaCafé."
In der linken Kneipe in der Samariterstraße fängt gegen acht langsam der Betrieb an. Ein langhaariger Mann in einem schwarz-rot gestreiften Longsleeve wuchtet "Sternburg"-Kästen hinter den roh gemauerten Tresen, an dem ein früher Biertrinker sitzt. An der Wand hängt eine Antifa-Fahne, daneben verkündet eine Wandtafel das heutige Speisenangebot, "Eintopf à la Oma". Schwanzwedelnd schlurft ein schwarzbrauner Hund herein und verschwindet hinter der Bar. Ein Mittdreißiger ist damit beschäftigt, einen vergilbten PC zum Laufen zu bringen, bevor er Zeit für ein Gespräch findet.
In der Nacht auf den 9. März ist es passiert. Gegen vier Uhr morgens kamen zwei, drei Vermummte in den Laden und sprühten Pfefferspray. Vielleicht zehn weitere Rechte warteten vor der Tür. Glücklicherweise waren in dieser Nacht außergewöhnlich viele Gäste lange geblieben, so dass es gelang, die Angreifer hinauszudrängen und die Tür zu schließen. "Die waren sehr jung", sagt der Computerschrauber. "Die wollten sich wohl mal ausprobieren."
Man gibt sich gelassen, aber der Schreck über den Überfall sitzt. Der Langhaarige im schwarz-roten Longsleeve ist es, der der Verunsicherung Ausdruck gibt: "Was ist, wenn das nächste Mal ein Molotow fliegt?" Im Laden herrscht schummriges Halbdunkel. Eine insektenähnliche Metallskulptur mit Gasmaske dient als Lampe, die Fenster sind abgehängt. Nur durch die offene Tür fällt das letzte Tageslicht.
Wie man der Bedrohung begegnen kann, darauf haben sie in Friedrichshain noch keine endgültige Antwort gefunden. Daniel hat erzählt, dass viele Linke jetzt aufmerksamer seien. Der Langhaarige macht eine hilflose Geste. "Aufmerksam auf was? Auf Leute, die schwarze Klamotten anhaben?" Er deutet auf ein Poster an der Wand. Auf den ersten Blick ähnelt es einem RAF-Fahndungsplakat, doch die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Berliner Jungnazis. "Was das bringen soll, weiß ich auch nicht", sagt der Langhaarige. "Die sehen ja aus wie du und ich. Ist halt ein Ausdruck dieser Unsicherheit."
Es handelt sich um eine neue Strategie der Rechtsextremen. "Anti-Antifa" nennt sich das Phänomen, das laut dem Berliner Verfassungsschutz seit 2002 an Fahrt gewinnt und sich nach Einschätzung der Friedrichshainer Antifa 2006 endgültig durchgesetzt hat. Eine steigende Zahl Rechter entspricht nicht mehr dem Klischee des Neonazi-Skinheads mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln. Stattdessen werden normale Kurzhaarfrisuren getragen und schwarze Kapuzenpullis; sogar das Palästinensertuch haben die Rechten sich angeeignet. Die Absicht ist, den politischen Gegner zu verunsichern, ihm seine Symbole streitig zu machen, sich unauffälliger bewegen zu können. Es scheint recht gut zu funktionieren.
Nicht nur das Outfit, auch die Aktionsformen kupfern sie bei der Antifa ab. Militante Aktionen finden seltener im Rudel, dafür öfter in Kleingruppen statt, die sich schnell auflösen und zerstreuen können. Linke Aktivisten werden fotografiert und ausspioniert. Im Februar wagte sich Lichtenberger Nachwuchs gar in den alternativen Szenetreff "Fischladen". Dort bestellten die Heranwachsenden in aller Seelenruhe ein Bier, bevor sie erkannt und auf die Straße gesetzt wurden.
Man könnte meinen, dass es sich hier um eine Auseinandersetzung handelt, die sich zwischen Autonomen und Rechtsextremen abspielt, um Revierbeißereien, um Jugendgruppengewalt, wie es Polizei und Verfassungsschutz mitunter einordnen. Doch das ist mitnichten der Fall. Trotz der Konzentration auf Linke gibt es auch in Friedrichshain eine bedeutende Zahl übelster Angriffe auf Migranten. Im März wurde ein Angolaner im S-Bahnhof Frankfurter Allee von einer jungen Frau rassistisch beschimpft und vor die einfahrende S-Bahn gestoßen; nur das beherzte Zupacken Beistehender rettete ihn davor, überrollt zu werden. Wenige Wochen später wurde ein zehnjähriges Mädchen mit dunkler Hautfarbe Opfer eines rassistischen Übergriffs, sie erlitt einen Schock. Doch auch ganz durchschnittliche Herkunftsdeutsche und Vereine sind gefährdet.
Die Naturfreundejugend (NFJ) etwa ist vielleicht nicht gerade bürgerlich, würde sich aber ganz bestimmt nicht in die Schublade "autonom" einordnen. Sie residiert in einem sauber sanierten Haus in der Gryphiusstraße. Auf den Balkonen der oberen Stockwerke ranken gepflegte Grünpflanzen, Drahtspitzen auf einem Ziersims sollen die Tauben fernhalten. Die kapitalismuskritische Organisation, die ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung hat, bietet sanften Tourismus für Kinder und Jugendliche an und engagiert sich in der politischen Jugendarbeit. Offen will sie sein. Man kann das geräumige Besprechungszimmer und das Büro mit dem hellen Laminatfußboden gut durch die großen Schaufenster einsehen, in denen einige politische Plakate hängen.
Die reichten offenbar, um die NFJ zum Angriffsziel für Rechte zu machen. Im März wurde die Scheibe des Büros eingeworfen, im Monat darauf ihr Bulli beschmiert. Anfang Mai wurde die Frontscheibe des Autos zerstört, am Gebäude klebte ein Zettel mit der Aufforderung "Umzug!". Um letzte Unklarheiten auszuräumen, schickten die Täter der Geschäftsstelle eine elektronische Grußkarte. Die liest sich so: "Der Anschlag auf euer Büro und das Fahrzeug ist eine Antwort auf euer antideutsches Nestbeschmutzertum. Rotfront verrecke!!!"
Die Polizei, die von anderen Akteuren im Kiez ein passables Zeugnis ausgestellt bekommt, erwies sich in diesem Fall als keine große Hilfe. "Die haben das nicht so ernst genommen", sagt Irene Poczka, die bei der NFJ arbeitet. Nachdem die Streifenpolizisten den Tatort fotografiert hätten, hätten sie sich selbst vor dem beschädigten Auto abgelichtet, berichtet die Politologin. "Ich hab nicht das Gefühl, dass es da Solidarität oder Verständnis oder potenzielle Ansprechpartner gibt."
Die Einschüchterung ist nicht derart, dass die Organisation einen Ortswechsel ins Auge fassen würde. Doch inzwischen schließen sie die Tür ab, wenn sie zum Arbeiten da sind. Interessierte müssen ans Fenster klopfen, wollen sie auf ein Gespräch hereinschauen oder am Infotisch stöbern.
Von Matthias Röseners sorgsam bepflanzten Balkon, seinem Lieblingsplatz, blickt man auf die Geschäftsstelle der NFJ auf der anderen Straßenseite hinab. Nach dem letzten Anschlag hat der Verwaltungswissenschaftler den Mitarbeitern in einem Brief seine Solidarität zugesichert. Der Vorfall hat üble Erinnerungen geweckt. Sieben Jahre hat Rösener in Halberstadt gelebt - jener Stadt in Sachsen-Anhalt, die leider nicht nur für ihren prächtigen Domschatz bekannt ist, sondern auch für einen brutalen Neonazi-Überfall auf ein Theaterensemble im vergangenen Jahr. Rösener hat dort für die SPD im Kreistag gesessen, sich gegen rechts engagiert - und dabei wenig Unterstützung erfahren. Vor drei Jahren ist er nach Berlin gezogen, weil er sich in Halberstadt wegen der rechten Dauerpräsenz nicht mehr wohl und sicher fühlte. Nun hat es den Anschein, als hole ihn das Problem wieder ein.
Es ist zu erahnen, wie die rechten Aktionen den noch jungen Mann mit der hohen Stirn und den tief liegenden Augen beunruhigen. Zweimal schon ist er in Friedrichshain in eine bedrohliche Situation geraten, weil er Zivilcourage gezeigt hat. Er hat keine Heldentaten begangen, aber eben demonstrativ hingeguckt. Beide Male endete es glimpflich, Pöbeleien waren die Antwort. Er stelle sich auf die veränderte Situation ein, erzählt er bei einer Tasse Kaffee in seiner mustergültig aufgeräumten Küche. "Man ändert ein bisschen seinen Tagesablauf, geht andere Wege."
In der Beurteilung der Lage sind sich alle einig. "Die Leute glauben, dass die Nazis mit neuen, subversiven Taktiken versuchen, hier wieder Fuß zu fassen", erzählt der Langhaarige aus dem SamaCafé. "Die Nazis wollen diesen Kiez wohl erobern", vermutet Irene Poczka von der NFJ. "Zielgerichtet in den Kiez reingehen, dort Präsenz zeigen, dominant auftreten, das hat zugenommen", sagt Anwohner Matthias Rösener. Dass die rechten Umtriebe in Friedrichshain noch nicht das beängstigende Niveau von 2006 erreicht haben und es sich in den vergangenen Wochen wieder vermehrt um Propagandadelikte handelt, hält Aktivist Daniel indes für keinen Grund zur Entwarnung: Damit habe es bei der Kameradschaft Tor schließlich auch angefangen.
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