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„Recht auf Meinungsfreiheit durchsetzen“

■ Wolfgang Rüddenklau und Bert Schlegel, Mitarbeiter der Ost–Berliner Umweltbibliothek, sind wieder frei / Protestversammlung in der Berliner Eliaskirche / Streitfrage: die Fortsetzung der Mahnwachen in der Zionskirche / Stasi–Rundumschlag einigt die Ost–Berliner Szene

Von Agatha Grün

Berlin (taz) - „Wir werden weiter das machen, was wir bisher gemacht haben: die Umweltblätter herausgeben, unzugängliche Informationen veröffentlichen, Diskussionen erzeugen“. Seit Samstag morgen sind sie frei: Wolfgang Rüddenklau und Bert Schlegel, Mitarbeiter der Ost– Berliner Umweltbibliothek wurden drei Tage nach ihrer Festnahme aus der Stasi–Haft entlassen. Wenige Stunden später nehmen beide schon wieder an der Protestversammlung in der Ost– Berliner Eliaskirche teil: „So schnell kriegen die uns nicht klein“, sagt Rüddenklau ver schmitzt. Drinnen in der Kirche herrscht Euphorie und Aufbruchstimmung. 600 Menschen sind gekommen, um ihre Unterstützung für die Umweltbibliothek und die beiden unabhängigen Zeitungen Grenzfall und Umweltblätter zu zeigen. „Ihr müßt weitermachen. Ihr seid unsere Hoffnung, daß sich doch noch etwas ändert, in diesem Land“, sagt ein 50jähriger, der erzählt, „noch nie“ mit den Öko– und Friedensgruppen „zu tun gehabt“ zu haben. Trotz Reiseverboten und polizeilichen Vorladungen haben auch viele Jugendliche aus der DDR–Provinz ihren Weg nach Ost–Berlin gefunden. Während draußen Polizei in Uniform und Zivil neuankommende Teilnehmer registriert, wird heftig diskutiert: Zentrale Streitfrage ist, ob die Mahnwachen in der Zionskirche weitergehen sollen. Vor allem Pfarrer und Kirchenvertreter plädieren für eine „Atempause“. Der Staat habe ein Stück nachgegeben, jetzt müßten auch die unabhängigen Gruppen kompromißbereit sein und ihre Mahnwache abbrechen. Andere fordern, die Aktionen so lange aufrechtzuerhalten, bis die beschlagnahmten Druckmaschinen freigegeben werden, und die Ermittlungsverfahren gegen Rüddenklau, Schlegel und zwei andere Mitglieder der Umweltbibliothek eingestellt werden. Immerhin droht den vieren eine Anklage wegen „Zusammenschluß zur Verfolgung gesetzeswidriger Ziele“. Dies kann fünf Jahre Knast bedeuten. Einigkeit herrscht bei den Herausgebern der Umweltblätter und von Grenzfall, daß die Zeitungen weiter erscheinen sollen. Die DDR–Strafgesetze verbieten das Erscheinen unabhängiger Zeitungen. „Für einen einigermaßen kritisch denkenden Menschen sind diese gesetzlichen Bestimmungen nicht tolerierbar“, sagt Wolfgang Rüddenklau, Mitherausgeber der Umweltblätter. Auch von der Initiative „Frieden und Menscherechte“, die den Grenzfall herstellt, sind ähnliche Statements zu bekommen: Obwohl ihre Zeitung Grenzfall nicht im schützenden Rahmen der Kirche erscheint, wollen die Zeitungsmacher weiter einfordern, was in der Verfassung der DDR steht: Das Recht auf Meinungs - und Pressefreiheit. Die Razzia in der Umweltbibliothek, die Durchsuchungen, Festnahmen und Verhaftungen, hatten sich gleichmaßen gegen beide Publikationen gerichtet. Einen „positiven Effekt“, so bemerkt ein Vertreter der „Inititative Frieden und Menschenrechte“ ironisch, habe der Stasi– Rundumschlag gehabt. Die seit dem Treffen einiger Gruppen mit CDU–Bundestagsabgeordneten heillos zerstrittene Ost–Berliner Szene sei „einig wie nie zuvor“.

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