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Reaktionen zu den Bomben auf den Bunker in BagdadBedauern als lästige Routine

■ Noch während die letzten Toten aus dem zerstörten Bunker geborgen und die ersten schon beerdigt werden, rechtfertigt sich die militärische Führung der US-Streitkräfte mit wohlabgestimmten Statements. Die erste Sitzung des Sicherheitsrats zum Golfkrieg findet hinter verschlossenen Türen statt.

Der sicherste Platz für die Bewohner Bagdads ist ihr Bett“ — Generalleutnant Kelleys zynische Bemerkung soll die Stimmung auflockern unter den Journalisten im überfüllten Presseraum des Pentagons. Doch anders als bei den 27 vorangegangenen „Briefings“ hat der Pentagon-Sprecher am Donnerstag keinen Erfolg. Das befreiende Gelächter bleibt aus. Die Bilder von zerfetzten Kinder- und Frauenkörpern sind auch den hartgesottenen unter den Pentagon-Korrespondenten auf den Magen geschlagen.

Binnen Stunden, nachdem diese Bilder die Wohnstuben in aller Welt erreicht hatten — und damit ungewöhnlich schnell —, reagierte die politische und militärische Führung der USA in Washington und im saudischen Riad mit wohlabgestimmten Statements: Der zerstörte Bunker in Bagdad — einer unter 20 ähnlichen — habe eine militärische Funktion als Kommdando- und Kommunikationszentrum gehabt. Von ihm seien Befehle an die irakischen Truppen in Kuwait ausgegangen. Es sei nicht bekannt gewesen, daß sich in der Nacht, als ein Stealth-Kampfflugzeug seine beiden Präzisionsbomben abwarf, Zivilisten darin aufhielten.

Entgegen üblichen Gepflogenheiten werden von US-Offiziellen ausführlich Geheimdiensterkenntnisse zitiert, darunter Aussagen von ausländischen Ingenieuren, die Anfang der 80er Jahre an der Konstruktion des ursprünglichen Luftschutzbunkers sowie Ende der 80er am Umbau in eine militärische Kommando- und Kommunikationszentrale beteiligt gewesen sein sollen.

Zur Untermauerung der offiziellen Version dienen Hinweise auf die besondere Härtung und Dicke der Wände sowie auf Telefone und andere Kommunikationsanlagen im Inneren der Anlage. Außerdem seien in den letzten Tagen Militärs beim Betreten und Verlassen des Bunkers beobachtet worden. Warum ist angesichts dieser präzisen Erkenntnisse entgangen, daß seit dem ersten Kriegstag und so auch von Montag auf Dienstag dieser Woche mehrere hundert Zivilisten in dem Bunker übernachteten? „Die müssen den Bunker nach Anbruch der Dunkelheit betreten haben, dann funktioniert unsere Aufklärung nicht mehr“, gibt Kelly auch auf diese Frage eine Antwort, die den meisten Journalisten plausibel erscheint. Einzig unbeantwortet bleibt zunächst, warum der Bunker erst jetzt zerstört wurde, wenn er doch angeblich eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit den Truppen in Kuwait gespielt hat (siehe Kasten).

„Saddam Hussein weiß, was wir wissen, und mußte damit rechnen, daß der Bunker ein Ziel unserer Angriffe ist“, schieben Kelly, Verteidigungsminister Cheney und Präsidentensprecher Fitzwater die Verantwortung für das Massaker auf die irakische Führung ab. Ihre Worte des Bedauerns über den grausamen Tod vieler Zivilisten klingen wie lästige Routine. Danach wird das Sterben irakischer Frauen und Kinder sofort relativiert und aufgerechnet — gegen Saddam Husseins Scud-B-Raketenangriffe, die Geiselnahme ausländischer Zivilisten im letzten Herbst und die Stationierung von MiG-21- Kampfflugzeugen in der Nähe einer „archäologisch und religiös historisch bedeutsamen“ (Cheney) Stätte im Süden Iraks.

36 Stunden nach dem Massaker von Bagdad sieht es so aus, als akzeptiere die überwiegende Mehrheit der US-Öffentlichkeit die Version der politischen und militärischen Führung. Der demokratische Senator Paul Wellstone, im Kongreß einer der schärfsten Kritiker des Kriegs, auch nachdem dieser begonnen hat: „Wenn unsere Regierung das eine sagt und die irakische Führung das Gegenteil, glauben die meisten Leute unserer Regierung.“

Dennoch hat sich etwas grundlegend verändert. Nach 28 Tagen, in denen zunächst überhaupt nicht und ab der dritten Woche nur sehr vereinzelt menschliche Opfer auf den Fernsehschirmen zu sehen waren, ist der Golfkrieg endgültig kein antiseptisches High-Tech-Videogame mehr. „Die sogenannten und bislang abstrakten ,Zivilschäden‘ haben heute endlich eine konkrete menschliche Gestalt angenommen“, meint Leslie Cagan. Die nationale Koordinatorin der „Kampagne für Frieden im Nahen Osten“ hofft darauf, daß die Menschen in den USA jetzt begreifen, „daß ein Krieg, in dem sich unser Land befindet, auch wieder zu Ende gehen kann“.

Die Administration verspürt zunächst einmal den Druck, ihre Luftkriegsstrategie zu verteidigen und „eventuell die Zielplanung zu überprüfen“, wie inoffiziell eingeräumt wird. Letzteres steht allerdings in Widerspruch zu der offiziellen Darstellung, die Bombardierung des Bunkers sei exakt nach Planung verlaufen und ähnliche Anlagen im Irak seien auch künftig „vorrangige Ziele“. An der „Weisheit dieser Strategie“ äußern jedoch jetzt auch konservative Militärexperten Zweifel. Sie plädieren dafür die Bombardements auf die irakischen Stellungen in Kuwait zu konzentrieren. Ansonsten erhalte der Vorwurf, das eigentliche Kriegsziel Washingtons sei nicht die Befreiung Kuwaits, sondern die Zerstörung des Iraks, vor allem in der arbischen Welt neue Nahrung. Die Befürchtung der Experten, die auch innerhalb der Administration geteilt wird: Bush könne sich — um diesem Vorwurf zu begegnen — unter wachsendem Druck fühlen, doch sehr bald mit dem umfassenden Bodenkrieg zu beginnen.

Die jüngsten Ereignisse in Bagdad führten ganz offensichtlich zu dem deutlichen Ergebnis, mit dem der UNO-Sicherheitsrat in New York eine erste formelle Sitzung zum Golfkrieg seit Kriegsbeginn für den gestrigen Donnerstag abend anberaumte. Zwar wurde auf Druck der USA und ihrer Verbündeten keine öffentliche, sondern — zum ersten Mal seit 16 Jahren und erst zum vierten Mal in der Geschichte der UNO — eine Sitzung hinter verschlossenen Türen einberufen. Doch dafür stimmten immerhin neun der 15 Mitglieder des Gremiums. Die Gegenstimmen kamen von Kuba und dem Jemen, die eine öffentliche Sitzung gefordert hatten, die Enthaltungen vom ständigen Mitglied China sowie von Simbabwe, Indien und Ecuador. Auf der Tagesordnung steht ausdrücklich auch die Frage der zivilen Opfer des Krieges. In New York wurde damit gerechnet, daß die VertreterInnen von über 60 UNO-Staaten in der Debatte das Wort ergreifen werden. Sofort nach Ende der Sitzung hinter verschlossenen Türen wird ein Wortprotokoll veröffentlicht. Den einzelnen Staaten bleibt es darüber hinaus unbenommen, ihre Haltung auch schon vorab oder während der Sitzung öffentlich bekannt zu machen. Andreas Zumach, Washington

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