Reaktion auf miese Wachstumsprognosen: Der Staat hat Konjunktur
Die Regierung korrigiert ihre Wachstumsprognose für 2009 deutlich nach unten. Politiker wie Lobbyisten fordern, dass die Regierung aktiv wird. Das Wort Konjunkturprogramm vermeiden sie.
Was sich derzeit in der Regierung und in der Wirtschaft abspielt, erinnert an das Gesellschaftsspiel "Tabu": Man muss einen Begriff beschreiben, darf aber bestimmte Wörter nicht benutzen. In Berlin geht es darum, eine Politik zu entwickeln, die die Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft abfedert. Auf keinen Fall genannt werden dürfen dabei die Wörter Rezession und Konjunkturprogramm. Gemeinsamer Ausgangspunkt: Die deutsche Wirtschaft kann sich nicht von der Weltfinanzkrise abkoppeln. Am Donnerstag senkte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) die Prognose der Regierung für das Wirtschaftswachstum 2009 von 1,2 auf 0,2 Prozent.
Damit befindet er sich auf einer Linie mit den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten, die am Dienstag ihre halbjährliche Gemeinschaftsdiagnose vorgelegt hatten - oder mit den Optimisten unter ihnen. Denn das Gutachten hält zwei Szenarien für möglich: Im besseren Fall bremst die Wirtschaft zwar ab, gerät aber nicht in eine nachhaltige Krise. Hierfür steht die 0,2-Prozent-Prognose. Läuft es schlechter, halten die Experten auch ein "Risikoszenario" für möglich. Die Wirtschaftsleistung könnte um 0,8 Prozent schrumpfen. Etwas weniger pessimistisch zeigte sich der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Wir sehen keinen Grund zur Panik", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben am Donnerstag. Zugleich senkte aber auch er seine Prognose für 2009 von einer "schwachen 1 vor dem Komma" auf 0,5 Prozent. Grund seien vor allem die sinkenden Exportchancen: Zwei Drittel der Auslandsmärke deutscher Firmen sind bereits von der Krise betroffen.
Die Vorstellungen von dem, was nun zu tun ist, gehen beim Minister und der Wirtschaft in die gleiche Richtung. Glos fordert Steuersenkungen bei Krankenversicherungsbeiträgen und ein "Belastungsmoratorium" für die Wirtschaft: Alle geplanten Regelungen, die die Unternehmen Geld kosteten, müssten ausgesetzt werden. Dazu würden vor allem Klimaschutzmaßnahmen gehören wie die CO2-Zielwerte für die Autoindustrie oder die Versteigerung der CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel.
DIHK-Geschäftsführer Wansleben verlangt darüber hinaus vorgezogene Investitionen des Bundes in die Infrastruktur. Auch die Erbschaftsteuerreform solle die Bundesregierung besser lassen. "Auf die 4 Milliarden Euro kommt es nun wohl auch nicht mehr an." Ein Konjunkturprogramm, so Wansleben, halte er jedoch für falsch.
Offenbar hatte er die Tabu-Regel doch nicht so richtig verstanden, nachdem er das Wort zunächst doch so schön umschrieben hatte. Nach dem Lehrbuch ist ein Konjunkturprogramm nichts anderes, als einzelne konjunkturpolitische Maßnahmen wie Steuersenkungen, Barschecks, Senkungen der Beitragssätze zur Sozialversicherung, vermehrte staatliche Investitionen oder höhere staatliche Sozialleistungen zu bündeln.
Gar nicht erst mit-tabuisieren wollten einige andere. Die Linkspartei etwa, die am Donnerstag einen Antrag für ein 50-Milliarden-Konjunkturpaket in den Bundestag einbrachte. Danach sollen die öffentlichen Investitionen in Bildung, Infrastruktur, die Energiewende und Gesundheit um insgesamt 30 Milliarden Euro aufgestockt werden. Zur "Stärkung der Massenkaufkraft" fordert die Linkspartei, den Hartz-IV-Regelsatz anzuheben und einen Mindestlohn von 8,71 Euro einzuführen.
Auch der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar, sprach sich dafür aus, die Konjunktur anzukurbeln. Er schlug vor, jeden Steuerzahler im November und Dezember mit einem Barscheck über je 100 Euro auszustatten.
Eine ähnliche Geldausschüttung hatte am Wochenende bereits SPD-Vize Andrea Nahles angeregt - allerdings mit einer anderen Ausrichtung. Sie sprach von "Klimaschecks", die jeder bekommen könnte, "der ein Auto kauft, das weniger als 6 Liter Sprit verbraucht, oder einen sparsamen Kühlschrank".
Auch wenn die Forderungen vielfältiger und lauter werden, stehen die Befürworter einer offensiv expansiven Konjunkturpolitik derzeit immer noch isoliert da. Die bereits wiederholten Forderungen von Glos stoßen beim Partner CDU auf Ablehnung. In der SPD deckelt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bislang alle Vorstöße.
Immerhin scheint die Geschlossenheit in der Regierung zu bröckeln. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) jedenfalls wehrte sich nicht, als er bei der Vorstellung seines neuen Klimaprogramms gefragt wurde, ob das auch als Konjunkturprogramm zu verstehen sei. "Das können Sie gern so sehen", sagte er. Klimaschutz sei ein Konjunkturmotor, weil Energiesparen den Menschen mehr Geld in den Taschen lasse - und Ökotechnik ein Exportschlager sei.
Was aber bringt nun wirklich etwas für die Konjunktur? Eine Studie des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Leipzig vergleicht die Wirkung von Steuersenkungen, niedrigeren Sozialversicherungsbeiträgen und höheren staatlichen Investitionen. Danach ist der stärkste Wachstumsimpuls zu erwarten, wenn der Staat zusätzliches Geld in Investitions- und Beschäftigungsprogramme steckt und die Infrastruktur ausbaut. Weniger gezielt wirkt die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen. Vor allem, weil sie Arbeitslose und Geringverdiener benachteiligt, die aber eher dazu neigen, zusätzliches Geld umgehend wieder in den Wirtschaftskreislauf einzubringen, als Besserverdienende. Ähnlich ist es mit der Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge, die Glos fordert: "Für Leute mit ganz niedrigem Einkommen oder kleine Beamte ändert sich dadurch nichts", sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
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