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Raus aus dem Elfenbeinturm

■ Als deutsche Erstaufführung ist im Dom eine Messe des Komponisten und Organisten Hans-Ola Ericsson zu hören

Hans-Ola Ericssons „Orgelmesse“ wurde im Sommer 2000 in Göteborg uraufgeführt. Teile waren schon im Hochschulprojekt „Nachtträume-Zeiträume“ im vergangenen Oktober zu hören, Musik, die den Bremer Dom zu sprengen schien. Doch jetzt wird der gesamte Zyklus im Dom gespielt und erlebt damit seine deutsche Erstaufführung. Hans-Ola Ericsson ist Professor für Orgel in Bremen und meldet sich mit diesem Werk als Komponist und Solist zurück.

taz: Sie haben 1986 zum letzten Mal ein Stück veröffentlicht. Warum ein so langes Schweigen?

Hans-Ola Ericsson: Es war immer so, dass kompositorische Arbeit alles schluckt. Ich habe Familie, meine Schüler und eine internationale Konzerttätigkeit. Da bleibt nicht genug Zeit, sich auf Wesentliches zu konzentrieren, wie es das Komponieren erfordert. Dann stelle ich hohe Erwartungen an mich. Es gibt aber noch andere Gründe: Zu vieles, was ich von anderen gehört habe, interessierte mich nicht. Mich hat die Begegnung mit Olivier Messiaen am meisten gefordert.

Interpretatorisch?

Alles: kompositorisch, interpretatorisch und theologisch. Das zeigte mir aber eben auch meine Grenzen. Es ist sehr kompliziert, ich wollte fasziniert sein von meinen eigenen Sachen, war aber so stark geprägt durch die Sachen von anderen, etwa den „Thirty pieces for orchestra“ von John Cage und den komplexen Stücken meines Freiburger Lehrers Brian Ferneyhough. Davon musste ich mich befreien. Und ich wollte keinen Elfenbeinturm, an diese Art der Komponistenexis-tenz glaube ich nicht mehr. Ein weiteres Problem ist, dass ich meine Sachen eigentlich nur alleine spielen will. Alles in allem möchte ich eine Möglichkeit finden, wo ich als Interpret und als Komponist zusammenkommen kann. Früher waren alle Komponisten auch Interpreten. Die Trennung im zwanzigsten Jahrhundert bedauere ich sehr.

Sie haben eine Messe geschrieben mit den Sätzen Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus Dei. Ist Ihre Musik noch funktionale Kirchenmusik oder ist sie – mit der Inspiration der Messteile – autonom?

Es ist ein Auftragswerk des Institutes für schwedische Reichskonzerte für die Internationale Orgelakademie 2000 in Göteborg im Zusammenhang mit der Einweihung der norddeutschen Barockorgel in der neuen Kirche in Örgryte. Die Aufgabe war beides: Einen wirklichen Gottesdienst zu gestalten, mit einer Musik, die auch selbständig existieren kann.

Sie verwenden Texte des schwedischen Dichters Olov Hartmann...

Seit meiner Kindheit beeindrucken mich seine fantasievollen und großartigen Psalmtexten.

Im Gottesdienst wirkt die Gemeinde ja mit, hier muss sie passiv bleiben...?

Ja und nein. Denn die Gemeinde soll schon teilnehmen, indem sie über den Text meditiert. Man muss doch nicht unbedingt singen. Und die Lieder von Hartmann singen zu lassen, dazu hatte ich keinen Mut und keine Zeit. Um die Sprache für ein Gemeindelied zu finden, das etwas Neues bringt, müsste ich jahrzehntelang arbeiten.

Sie haben für die Zuspielbänder Ihrer Messe die Arp Schnittger-Orgeln in Hamburg, Stade, Norden, Cappeln und Lüdingworth verwendet. Was hat Sie an diesen Instrumenten so fasziniert?

Es geht mir um die unglaubliche Individualität aufgrund der verschiedenen empfindlichen Trakturen, die interessanten Windversorgungen und die superverfeinerten Anschlagskulturen.

Das Kyrie ist ein Gebet um Erbarmen. Sie verwenden in diesem Satz als Material sozusagen das „Innere“ der Orgel. Warum?

Es gibt vierzig bis fünfzig Klänge, die bei einer normalen Orgel niemand hören kann. Es ist eine verborgene, eminent fantasievolle Klangwelt und sie ist für mich ganz privat. Zusammen mit den Anspielungen an die Gregorianik soll es wie erstottert klingen.

Im Sanctus erinnert mich die Ballung von gewaltigen Moll- und Durklängen an Messiaen...?

Das stimmt. Es geht mir um eine Irritation. Der Klang wirkt, als drehte er sich im Raum. Man glaubt, dass man etwas hört, aber es stimmt nicht. Es gibt etwas Ekstatisches.

Die sechs Lautsprecher mit den Zuspielbändern werden von Christoph Ogiermann ausgesteuert. Was ist das für eine Aufgabe?

Eine schwere interpretatorische, die eine lange Vorbereitung braucht. Es geht darum, dass das Gleichgewicht zwischen Livemusik und den Boxen hergestellt wird. Und manchmal weiß der Hörer gar nicht mehr, woher der Klang eigentlich kommt.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Konzert am Do, 1. März, 19 Uhr, Bremer Dom. Der Eintritt ist frei.

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