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Raum für Sexualität

„Sexueller Missbrauch untereinander“, taz vom 1.9.2001

Voller Entsetzen habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Leiterin (!) einer Schule in Rotenburg für Menschen mit einer geistigen Behinderung den Vergewaltigungsversuch an einer ihrer Schülerinnen mit den Worten kommentiert haben soll: „Die vergisst das ja schnell wieder“ und dies nur einer von zahlreichen Fällen von sexuellem Missbrauch an dieser Schule sein soll, die gedeckt werden.

Als Mutter eines 16-jährigen Sohnes mit Down Syndrom läuft es mir kalt den Rücken runter bei dem Gedanken, dass ich meinen Sohn, wenn es mal so weit ist, womölich nicht bedenkenlos in eine Einrichtung geben kann, die von Profis geleitet und beaufsichtigt wird, um ihm und allen anderen Bewohnern ein menschenwürdiges Leben zu bieten.

Für mich ist die wirksamste Vorkehrung gegen sexuelle Übergriffe und Übergriffigkeit der tabulose Umgang mit Sexualität auch und besonders bei Menschen mit einer geistigen Behinderung. Nur wenn das Thema angesprochen wird, lässt sich auch über Grenzen reden.

Seit einiger Zeit ist mein Sohn verliebt, und es zeigt sich, dass er bisher keinerlei Anstalten macht, sich der Angebeteten mit Gewalt zu nähern, sondern er hat ganz normal gesagt, dass er sich mit ihr verabreden möchte. Natürlich muss ich täglich erleben, dass er mächtig unter Druck steht, denn andere Jugendliche in seinem Alter haben längst sexuelle Erfahrungen. Das wird heute als normal angesehen. Aber für „unsere“ Jugendlichen soll das nicht gelten. Und da kommen auch die Eltern ins Spiel, die oft schamhaft wegschauen, wenn ihre (fast) erwachsenen Kinder unübersehbar sexuelle Regungen und Verliebtheit zeigen. Die Illusion vom „großen Kind“, das zeitlebens für die Fantasien von verklemmten Erwachsenen herhalten muss, scheint weit verbreitet.

Ich bezweifle nicht, dass es eine große Herausforderung für die Einrichtungen ist, das Vorhandensein von Sexualität bei ihren BewohnerInnen anzuerkennen, denn dann stellt sich ja nicht nur die Frage, wie Übergriffe verhindert werden können, sondern noch viel mehr, wie und wo der Raum für ein angemessenes Ausleben der Sexualität bereitgestellt wird.

Einen positiven Schritt in diese Richtung sehe ich nicht nur in der Behandlung des Themas Sexualität, welche mein Sohn im Rahmen von Schule und Hort in Bremen erfahren hat, sondern auch in der Tatsache, dass sich das Sozialressort endlich zu seiner Verantwortlichkeit im Bereich Jugendarbeit mit (geistig) behinderten Jugendlichen bekannt hat: Seit diesem Herbst ist die Finanzierung für den Jugendtreff beim Martins-Club abgesichert.

Der Martins-Club lädt ein zu einer Veranstaltung für Eltern zum Thema „Sexualität geistig behinderter Menschen“ heute um 20 Uhr, Buntentorsteinweg 24 - 26.

Inger Detlefsen

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