: Ratsbeschluß „schwebend unwirksam“
■ Anweisung des niedersächsischen Innenministers verhindert tarifliche Entlohnung von Putzfrauen / Delmenhorster Ratsmehrheit entmachtet
Der Delmenhorster Oberstadtdirektor Willi Schramm will für die Reinigung der städtischen Gebäude auch weiterhin Aufträge an private Reinigungsunternehmenvergeben, auch wenn diese keine Tariflöhne zahlen.
Eine Mehrheit von SPD-und Grünen Stadträten hatte am 14.Juni im Stadtrat beschloßen, Firmenaufträge an bestimmte Bedingungen zu knüpfen: Einhaltung von gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen, Einrichtung eines Betriebsrates darf nicht verhindert werden und wenn kein Betriebsrat vorhanden ist, soll ein Wirtschaftsprüfer kontrollieren, ob die Firmenangestellten tariflich entlohnt und sozialversichert werden.
„Das widerspricht EG-Richtlinien und der Vergabeordnung für Lieferung und Leistung (VOL),“ erklärte Schramm und fühlt sich an einen Erlaß des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr von 1986 gebunden; dort heißt es, daß für die Vergabe von Aufträgen im Baubereich die Verpflichtung von tariflichen Leistungen nicht enthalten sein darf.
Zur Überraschung aller veranlaßte die Stadtverwaltung trotzdem, die Verträge mit den Gebäudereinigungsfirmen zu kündigen.
Der SPD-Oberbürgermeister von Delmenhorst, Jürgen Thölke, will sich dem Einspruch des Oberstadtdirektors nicht beugen. „Der Staat muß darauf achten, daß Gesetze eingehalten werden. Ich halte es für eine Form von Wettbewerbsverzerrung, wenn manche Unternehmen sich an Tarifverträge halten und andere nicht.“
Die Delmenhorster Grünen würden es am liebsten sehen, wenn die Stadt die Putzkolonnen anstellte. „Die Stadt kann am besten gewährleisten, daß die tariflichen und sozialen Leistungen eingehalten werden. Momentan herrscht hier ein unmöglicher Zustand: die Firma Neuke drohte den Mitarbeitern, die in die Gewerkschaft eingetreten sind, damit, daß sie nicht mehr mit dem Bus zur Arbeit gebracht würden. Danach sind sie gemeinsam wieder aus der Gewerkschaft ausgetreten: die Gewerkschaft erhielt ein Blatt Papier mit allen Unterschriften. Wer glaubt da noch, daß sie freiwillig gehandelt haben,“ erläuterte Günther Mathes, ehemaliger Stadtrat der Grünen.
Auch der IG Bau, Steine, Erden ist die Problematik seit langem bekannt. Die Gewerkschaftklagt seit drei Jahren gegen die Firma Rational ( mit den Tochter
firmen FWW und Real), weil sie auf jedwede Art versucht die Bildung eines Betriebsrates zu verhindren. Auf einer Versammlung im Gewerkschaftshaus wurde zwar ein Wahlvorstand gewählt, aber das Unternehmen weigert sich, seine Beschäftigtenzahl bekanntzugeben. Jetzt kann nicht festgestellt werden, wieviel Betriebsratsmitglieder gewählt werden müssen. Die Gewerkschaft muß nun die gerichtliche Entscheidung abwarten und so kann das Reinigungsunternehmen Rational weiterhin seine (Be) Dienste (ten) billig anbieten. „Auf der Fraktionssitzung am Dienstag haben wir in der Sache nichts beschloßen. Wir wollen uns in der Verwaltungsausschußsitzung in der nächsten Woche über die genaue Rechtslage informieren. Grundsätzlich vertritt die SPD eindeutig die gewerkschaftliche Position,„erklärte Fred Cordes, Fraktionssprecher der SPD.
Sollte ein neuerlicher Beschluß des Stadtrates am Veto der Stadtverwaltung scheitern, müßten SPD und Grüne vor Gericht gehen. Bis auf weiteres ist die Entscheidung der Ratsmehrheit jedenfalls, im schönsten Amtsdeutsch, „schwebend unwirksam“.
Christian Wiencke
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