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Ratlos mit Laokoon

Blanca Li -Produktion eröffnet Gordana Vnuks Sommerfestival auf Kampnagel  ■ Von Marga Wolff

Bunte Laserblitze schießen durchs Foyer. Aus den Türen quellen die Gäste hinaus auf die Piazza, scharen sich um „Hot Dog“-Bude und Bierwagen, bis drinnen die marokkanischen Musiker der Gruppe Gnawa Halwa mit ihren Trommeln und Zimbeln erneut zum Tanz aufspielen – diesmal fürs Publikum und nicht allein für Blanca Li und ihre acht Tanztheatergefährtinnen.

Es ist Sommer auf Kampnagel, und das Festival heißt jetzt Lao-koon, sinnbildlich für den trojanischen Priester, der sterben musste, weil er gegen die göttliche Fügung aufbegehrte, das „Fremde“ in Gestalt des hölzernen Pferdes in die Stadt zu holen. Gordana Vnuk, Kampnagels neue Chefin, verknüpft mit dem Namen programmatische Fragen ihrer zukünftigen Theaterarbeit in der Hamburger Kulturfabrik und will mit diesem ersten Festival einen Ausblick auf die kommenden Spielzeiten geben.

Eingeladen hat die Kroatin dazu ihre Favoriten aus 15 Jahren Eurokaz, dem Festival, das sie bislang in Zagreb geleitet hat. Blanca Li mit den Musikern von Gnawa Halwa kommt da eine besondere Rolle zu. 1994 gastierten sie in Zagreb, mitten im Krieg. Und ihr Tanz in dem Stück Nana et Lila, der sich aus dem Korsett strenger Formen in ekstatischen Entladungen Bahn bricht, hatte damals wohl auf die Zuschauer befreiend gewirkt.

Blanca Li, die seit Jahren in Paris lebt und jetzt Chefchoreografin der Komischen Oper Berlin wird, stammt aus dem spanischen Granada. Der Flamenco ist ihr ebenso vertraut wie die arabischen Einflüsse aus der Geschichte ihrer Heimatstadt. In Nana et Lila stellt sie Stolz und Pathos des Flamenco gegen Elemente marokkanischer Trance-Riten und mischt beides mit amerikanischem Modern Dance. Ein gefährlicher Cocktail, dessen Bestandteile sich hier auch oftmals in oberflächlichen Zitaten bizarr und sperrig gegeneinander stellen. Selten sind so poetische Momente wie der, als vier Tänzerinnen weiß verschleiert Kopf und Oberkörper wiegen. Im Gleichtakt fallen sie und richten sich wieder auf, durchlaufen bäuchlings aberwitzige Windungen, bis sie sich mit einem Ruck wieder ins Lot bringen. Da entwickelt der Tanz Originalität und eine stimmige Dynamik zum Lautenspiel von Gnawa Halwa.

Die Choreografin selbst ist eine charismatische Performerin, manchen vielleicht bekannt aus Pedro Almodóvars Film Kika, in dessen Riege extravaganter Charaktere sie sich einreiht. Sie beherrscht die Posen des Flamenco und die Zeichen des Modern Dance, die heute allerdings so seltsam anachronistisch anmuten. Dann streckt sie das Kinn vor und dreht sich im schwarzen Tellerkleid. Ihre Mittänzerinnen schieben sich derweil mehr dekorativ als ausdrucksvoll von der einen zur anderen Bühnenseite. Irgendwann wollen die Arme anfangen zu fliegen, schnellen gen Himmel, schlagen mit der flachen Hand auf den Boden und dann an den Busen. Wie balgende Kätzchen fallen die Frauen übereinander her, peitschen ihre Haare durch staubendes Mehl, rotieren, bis sie erschöpft zu Boden sinken. Die Lust siegt über die Strenge, und doch zwingt Blanca Li den Tanz immer wieder in die kontrollierte Form. Und am Ende siegt die Kunstfertigkeit über das ausgelassene, aber harmlose Spiel.

Gordana Vnuk hatte es einmal deutlich gesagt: Der europäische zeitgenössische Tanz mit seiner intellektuellen Nabelschau sei nicht ihre Sache. Sie suche nach Choreografen, die den Körper in größeren Zusammenhängen erleben. Das durchaus international Tanztheater erfahrene Kampnagelpublikum war nach diesem Einstand einigermaßen ratlos.

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