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Ratifizierung der IstanbulkonventionBulgarien zeigt sein hässliches Gesicht

In dem Balkanstaat hagelt es Kritik an einem Gesetz des Eurparats zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen – auch von Seite der Sozialisten.

Proteste, diesmal in Kiew: Auch in der Ukraine ist die Istanbuler Konvention noch nicht ratifiziert Foto: imago/ZUMA press

So hatte sich der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow das wohl nicht vorgestellt. Ganz großes Kino sollte er werden, der erste EU-Ratsvorsitz des Balkanstaates seit dem Betritt zur Union 2007. Doch aus der Aufhübschung des ohnehin angekratzten Images wird erst einmal nichts. Denn derzeit tobt eine unappetitliche Debatte, die leider wieder das hässliche Gesicht des Landes zum Vorschein bringt. Und die von vielen Medien auf eher ungute Art und Weise befeuert wird.

Es geht um die Istanbuler Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – ein Dokument des Europarates, das Bulgarien im April 2016 unterzeichnet hat. Die für Januar geplante Ratifizierung im Parlament wurde kurzerhand vertagt. Nicht nur der Juniorpartner in der Regierung, die rechtsextremen Vereinigten Patrioten, stellten sich quer. Zum Leidwesen des selbsternannten Pro-Europäers Borrisow gingen auch vier Minister seiner Partei Gerb von der Fahne.

Oberpatriot und Verteidigungsminister Krasimir Karakachanow von der Partei VMRO sprach von einem „skandalösen Text“ und verstieg sich zu der abstrusen Behauptung, dass internationale Lobbygruppen mit Hilfe der Konvention Bulgarien dazu bringen wollten, ein drittes Geschlecht zu legalisieren. VMRO warnte davor, dass im Schulunterricht Homosexualität und Transvestismus zum Thema gemacht und für die gleichgeschlechtliche Ehe geworben werden könnte.

Die Bulgarische Orthodoxe Kirche meinte, ebenfalls ihren Beitrag zu der Diskussion leisten zu müssen und bezeichnete die Konvention als Türöffner für einen moralischen Verfall. Das Dokument sei ein Instrument zur Errichtung eines Wertesystems, das den Bulgaren fremd sei.

Überraschenderweise positionierten sich auch die oppositionellen Sozialisten (BSP) gegen den „Genderwahn“. Deren Chefin Kornelia Ninova distanzierte sich quasi im Alleingang von der Konvention, die die BSP jetzt zum Gegenstand eines nationalen Referendums machen will.

Offensichtlich hat keiner der Schreihälse die Konvention gelesen. Darin ist weder von einem dritten Geschlecht noch der Ehe für alle die Rede. Der Terminus Gender, so wird in einem erklärenden Text zu dem Dokument ausgeführt, sei kein Ersatz für die Begriffe Mann und Frau.

Die Regierungspartei Gerb will die Konvention vom Obersten Gerichtshof auf Vereinbarkeit mit der Verfassung prüfen lassen. Ein voller Körpereinsatz für demokratische Rechte und Freiheiten sieht anders aus.

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5 Kommentare

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  • Deutschland hat sich erst vor wenigen Monaten angepasst und die Kanzlerin selbst war dagegen. Nun soll ein Land, welches hier Zweifel anmeldet "sein hässliches Gesicht" zeigen? So deutsch-nationalistisch-arrogant ist die taz selten. Je nach Standpunkt kann man sagen, dass die Bulgarien noch ein wenig zögerlicher als die Deutschen sind oder dass die Bulgaren hier eine Konvention, die danach über nationalem Recht steht und direkte Auswirkungen hat, kritischer begutachten, als es die deutsche Regierung getan hat. Mehr als die Hälfte der Unterzeichnerstaaten hat die 2011 entstandene Konvention bislang nicht unterzeichnet. Bislang nicht unterzeichnet haben etwa auch Island und UK, die nicht als moralische Nachzügler bekannt sind. Hier Bulgarien als "hässlichen" Hinterwälder darzustellen, passt da also wirklich nicht. Vielmehr spricht es für die Demokratie in Bulgarien, dass eine so weit reichende Konvention vorab diskutiert wird und nicht wie in Deutschland praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgenickt wird.

    • @Velofisch:

      "Deutschland hat sich erst vor wenigen Monaten angepasst und die Kanzlerin selbst war dagegen."

       

      Solltest Du auf die "Ehe für alle" anspielen - die ist nicht Bestandteil des Vertrags.

  • ...von der politischen Steinzeit in die EU, das konnte nicht gut gehen. Hoffentlich passt man bei den Balkanstaaten, die man seitens der EU gerade hofiert, etwas besser auf!

    • @Klabautermann:

      Das ist gleich mehrfach falsch. Die Istanbul-Konvention hat nichts mit der EU zu tun. Sie ist eine Konvention des Europarats, die zudem für weitere Länder offen ist. Sie führt die sogen. GREVIO-Kommission ein, die eine entscheidende Rolle bei der Interpretation des Abkommens hat aber gleichzeitig aus Lobbygruppen besteht. Das ist auf der einen Seite hochwirksam aber auf der anderen Seite rechtstaatlich höchst bedenklich. In anderen Fällen haben wir unabhängige Richter_innen und nicht die Vertreter_innen von Interessengruppen, die über die Auslegung von Abkommen entscheiden. Wie oben bereits geschrieben, eine Diskussion zu dieser Konvention fand bei uns nicht öffentlich statt. Vielmehr wird immer nur diskutiert, wenn dann Staatsverträge wie CETA, TTIP oder EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden. Dann aber hat der Bundestag praktisch keinen Entscheidungsspielraum mehr. Von daher ist es gut, dass Bulgarien diese Diskussion vorher führt. Selbst dann wenn man manches Argument hier fehlplatziert findet, so hat doch der demokratische Diskurs einen hohen Wert. Wer sich hier in der demokratischen Steinzeit befindet, ist dann auch eher Deutschland.

  • kann mir mal einer erklären wie ein normal begabter Mensch auf so einen Schwachsinn

     

    "dass im Schulunterricht Homosexualität und Transvestismus zum Thema gemacht und für die gleichgeschlechtliche Ehe geworben werden könnte."

     

    kommt? Also nicht der Journalist hier, eher unsere rechten Vollpfosten in Europa...