■ Schöner Leben: Ratatatouille!
Wenn einer aber nun partout – sagen wir: punkt 22.30 Uhr – etwas gegen den kleinen Hunger zwischendurch unternehmen will, und sich also – sagen wir: in einem sog. Bistrot, oder Café, oder einem anderen ausgewiesenen Szenetreff – nach der Speisenauswahl erkundigt: Der wird alsbald den Untergang des Abendlandes aus nächster Nähe erleben müssen. Der Imbiß nämlich, wie wir ihn kennen und lieben: Er ist komplett und scheint's unwiederbringlich verschwunden, um nicht zu sagen: ausgerottet.
Wenn einer also partout dort, wo man sich ganz offensichtlich keinen etatmäßigen Koch leisten kann, nach dem Strammen Max seiner Kindheit oder nach dem Hawaiitoast seiner Jugend (“ein oder zwei Scheiben Schmelzkäse?“) verlangt: Der wird bestraft mit Chili con Carne nicht unter drei Portionen, wahlweise Pizzabaguette.
Es kursiert & regiert nämlich eine geheime Abmachung unter den Mikrowellenaushilfsköchen der neuen Generation. Alles, was sich halbwegs als exotischer Genuß verkaufen läßt, ja: als (irgendwie) multikulturelle Küche, folglich: all jene Gerichte, die a) sowieso keiner so genau in ihrer Zusammensetzung kennt und die sich b) also umstandslos verwässern lassen – die kommen jetzt auf den Tisch.
Nach dem plötzlichen Tod des Hawaiitoasts grassierte eine zeitlang das Quiche Lorraine in diversen Versionen. Weil sich wohl niemand an dem vertrockneten Pappkram sattsehen, geschweige denn - essen konnte, folgte das Baguette auf dem Fuß – oder doch zumindest das, was die teutonischen Grillspezis sich darunter so vorstellen. Man biete diese Sorte Gaumenkiller mal einem beliebigen, handelsüblichen Bretonen an (und suche schleunigst das Weite).
Zur Wundertüte der heimischen Imbißkultur entwickelte sich dann alsbald die Ratatouille. Alles, was ein Eintopf braucht bzw. alles, was an Küchenresten und -kehricht sich auf die Schnelle zusammenzuschnetzeln läßt, fand hier seinen Platz. Bis endlich das Chili kam. Und so überrascht es jetzt allabendlich diejenigen, die zum Drittbier eigentlich nur einen Happen essen wollten: mal kommt's als dünnes Süppchen, mal als Bohnenmustorte, kurz: als Allerlei Art des Hauses. Hauptsache: scharf, so scharf nämlich, daß sich die Zutaten einer genaueren Bestimmung höflich entziehen.
Wie die grausige Evolution sich fortentwickelt, ist schon abzusehen. Nach der Öffnung sämtlicher Eiserner Vorhänge ist die Mikrowellenversion des Borschtsch überfällig. Und was sich da alles untermischen läßt – man mag es sich vorstellen. Oder lieber nicht, und warte stattdessen bis 23.30 Uhr, wenn alle Aushilfsköche fort sind und selbst die Mikrowelle schweigt. Dann nämlich kommen – wenigstens! – die Ültjekerne auf den Tresen, diese eiserne Ration eines jeden, noch so schicken Bistrots. Und die bleiben. Denn daran hat sich noch jede Generation die Zähne ausgebissen. Der Karlheinz
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