Rassistischer Anschlag in Birmingham: Von Hoffnung und Finsternis

Vor 60 Jahren verübten Rassisten einen Anschlag auf die 16th Street Baptist Church in Alabama. Ein Besuch auf den Spuren der US-Bürgerrechtsbewegung.

Weiße Feuerwehrleute in der Kirche nach dem Anschlag

Am Morgen des 15. September 1963 in der Sixteenth Street Baptist Church Foto: Tom Self/Polaris/laif

BIRMINGHAM taz | „Where Jesus Christ is the Main Attraction“. Das steht auf einem Flyer, der auf einem Plastikstuhl in der 16th Street Baptist Church in Birmingham, Alabama ausliegt.

Jesus als Hauptattraktion? Das überrascht, schließlich ist die Kirche als Ort eines der einschneidendsten rassistischen Verbrechen auf US-amerikanischem Boden in die Geschichte eingegangen.

Am Morgen des 15. September 1963 explodierte eine Bombe, die Mitglieder des Ku-Klux-Klans unterhalb einer Treppe an der Ostseite der Kirche deponiert hatten. Vier afroamerikanische Mädchen im Alter von 14 und 11 Jahren starben. Sie hatten sich im Bad auf die Sonntagsschule vorbereitet, die an diesem Tag ausgerechnet unter dem Motto „A love that forgives“ stand.

Der Fall schlug riesige Wellen – nicht zuletzt, weil die Bomben nur knapp drei Wochen nach Martin Luther Kings Rede „I have a dream“ explodierten. Die Hoffnung auf Veränderung, die der Bürgerrechtsführer in Washington aussprach, sollte in Birmingham demonstrativ ausgelöscht werden. Dafür hatten sich die Killer die zentral gelegene 16th Street Baptist Church ausgesucht, weil hier viele Mitglieder der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung verkehrten.

Ebenbild George Floyds

Außer der enormen Orgel und den roten Samtteppichen wirkt der Kirchensaal schlicht. LaJoyce Debro, die durch die 16th Street Baptist Church führt, lenkt die Aufmerksamkeit nach hinten: „Schaut mal, da ist unser Jesus.“ Tatsächlich zeigt das große Buntglasfenster eine schwarze Jesusfigur – es wurde nach dem Attentat von einer Gemeinde aus Wales gespendet. „Die Explosion riss dem vorherigen Jesus Gesicht und Herz heraus. Ob uns das etwas zu sagen hat?“, fragt LaJoyce Debro rhetorisch und erzählt von einer Besucherin, die in dem Fenster das Ebenbild George Floyds sah.

Schnell wird klar: Bei der Erinnerung an das Attentat vor 60 Jahren geht es nicht nur um die Würdigung eines historischen Ereignisses, sondern um das Erbe der Bürgerrechtsbewegung. Und um Gerechtigkeit: „Erst 1977 begann man mit der Strafverfolgung, und zwei der Attentäter wurden erst 2002 verurteilt. Wenn das kein Beispiel für verzögerte Rechtsprechung ist“, sagt LaJoyce Debro.

Dann führt sie in die kleine Ausstellung im Keller. Neben Bildern und Texten wird auch die Kirchenuhr gezeigt. Deren Zeiger stehen seit 60 Jahren auf 10 Uhr 22 still, dem Moment der Explosion.

Die Kirche gehört heute zu den wichtigsten Stationen des U.S. Civil Rights Trail. Diese 2018 gegründete touristische Route beinhaltetet über 100 Gedenkstätten in 15 Staaten der USA. Ob Kirchen, Museen oder Gerichtssäle, ob Parks oder Denkmäler – hier kann man den hoffnungsvollsten wie finstersten Momenten des Freiheitskampfes um die Bürgerrechte nachspüren, teilweise Zeitzeugen und Mitstreiterinnen treffen und viel lernen.

Der Education Trainer

Etwa in dem Museum des Birmingham Civil Rights Institutes. Von separierten Trinkbrunnen über getrennte Klassenzimmer, von Milchshake-Bars, die nur von Weißen besucht werden durften, bis zu Comics, Bildern und Werbetafeln, die Afroamerikaner karikaturesk verunglimpften – die „Jim Crow“ genannten Rassentrennungsgesetze werden hier äußerst plastisch gezeigt. Charles Wood, Anzug und Rastalocken tragender Education Trainer des Museums, spricht vor allem vom Alltag der Segregationszeit: „Schwarze durften in Kleiderläden nichts anprobieren, sie durften keine Weißen im Auto überholen, Schwarze und weiße Kinder durften nicht miteinander spielen. Es ist schwer vorstellbar, aber ich will, dass ihr versteht, wie die Menschen hier früher lebten.“

Wie viel Fahrt die Bürgerrechtsbewegung im Jahr 1963 aufnahm, zeigen die Gitter einer Gefängniszelle. Dahinter saß Martin Luther King im April 1963, nachdem er mit anderen Aktivisten eine Kampagne in Birmingham eingeleitet hatte, und schrieb seinen legendären Brief „Letter from Birmingham Jail“. Damit antwortete er auf die weißen Geistlichen, die ihm mehr Zurückhaltung in Sachen Bürgerrechtsbewegung anempfohlen hatte.

Wenige Wochen später, im Mai 1963, landeten auch Hunderte Schwarze Kinder und Jugendliche hinter Gittern – ihren gewaltfreien Demonstrationen, später „Children’s Crusade“ getauft, begegnete die Birminghamer Polizei mit Wasserwerfern, deutschen Schäferhunden und Festnahmen. Die verstörenden Bilder gingen um die Welt und verschafften der Bewegung die dringend benötigte Aufmerksamkeit.

Nach dem Museumsbesuch führt Charles Wood hinaus ins Freie. Es geht vorbei am frisch renovierten A.G. Gaston Motel, das seit diesem Sommer wieder besucht werden kann. Das ehemalige Hotel diente als Treffpunkt von Bürgerrechtsaktivisten und Presseleuten, im sogenannten War Room entwarf Martin Luther King seine Strategien.

Problematisches Denkmal

Auf der anderen Straßenseite liegt der Kelly Ingram Park. Die Sonne scheint auf die mit Statuen, Denkmälern und kleinen Erklärtafeln übersäte Grünfläche. Die Kinder einer jüdischen Schulklasse flitzen über den gestutzten Rasen und werden von den Betreuerinnen aufgefordert, ihre Pausenbrotpapiere wieder einzusammeln, während sich vor einer Statue Martin Luther Kings ein paar ältere Männer in Anzügen versammeln und Gospels singen.

Ein Denkmal zeigt die Opfer des Bombenanschlags in der 16th Street Baptist Church, ein anderes die Kinder der Children’s Crusade. Mit einem Denkmal ist Charles Wood allerdings überhaupt nicht zufrieden. Aus zwei hohen, den Spazierweg flankierenden Mauerstücken springen Hunde wie zum Angriff heraus – eine durchaus beeindruckende Reminiszenz an die Polizeihunde, die während der Maidemonstrationen auf die Jugendlichen losgelassen wurden. „Aber da fehlen die Polizisten“, empört sich Charles Wood. „Sie haben schließlich die Hunde auf die Kinder gehetzt – man muss doch die ganze Wahrheit erzählen!

Eine Autofahrt aus dem Stadtzentrum hinaus führt an rostroten Industrieruinen vorbei. Die monströsen Bauten sind Überbleibsel aus der Zeit, als Birmingham mit der Stahlherstellung boomte und den Spitznamen „City of Magic“ erwarb. Aus magisch wurde allerdings bald tragisch: Rund 50 rassistisch motivierte Bombenattacken wurden von Anhängern des Ku-Klux-Klans und anderen Segregationisten zwischen den 1940er und 1960er Jahren verübt – was der Stadt den Namen „Bombingham“ einbrachte. Ein Stadtviertel erlebte sogar so viele Angriffe, dass es nur noch „Dynamite Hill“ hieß.

Auf die Bethel Baptist Church, das Ziel der Fahrt, wurden gleich drei Anschläge verübt. Als das Pfarrhaus bei dem ersten Bombenattentat am Weihnachtstag des Jahres 1956 in sich zusammenbrach, blieb der sich darin befindliche Pastor Fred Lee Shuttlesworth unverletzt. Heute erinnert ein weißes Hausgerüst an das einstige Pfarrhaus, wo der Pastor „von Gott berührt wurde“, wie eine Plakette beschreibt. Tatsächlich ließ sich Shuttlesworth durch diesen und weitere Attacken nicht beirren – als Präsident der Vereinigung des Alabama Christian Movement for Human Rights kämpfte er unbeirrt gegen die in Rassentrennungsgesetze.

Nachhilfe und Stipendien

„Fred war eine schillernde Figur – es ist schon eine Riesenverantwortung, hier in der Bethel Baptist Church zu arbeiten“, sagt Thomas Wilder, ein hochgewachsener zurückhaltender Mann, der behauptet, selbst nie so viel Courage wie sein Vorgänger aufbringen zu können. Seit dem Jahr 1988 führt er als Pastor die Gemeinde, die heute vor allem mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Tatsächlich reicht ein Blick in die Nachbarschaft – viele der Häuser wirken verfallen, abgewetzte Couches stehen auf brüchigen Veranden, das Klischee von schwarzer Südstaatenarmut ist hier gelebte Realität. „Wir arbeiten viel mit der Community, bieten Nachhilfe und Stipendien für die Kinder an – wir können ja nicht nur dasitzen und darüber reden, was vor 60 Jahren passiert ist“, sagt Thomas Wilder.

Wie stark die Vergangenheit das Heute beeinflusst, zeigt kaum jemand so eindrücklich wie Lisa McNair. Die Schwester von Denise McNair, dem elfjährigen Opfer des Attentats in der 16th Street Baptist Church, hat ihre Lebensgeschichte gerade in Buchform herausgebracht. Gut gelaunt sitzt sie abends in dem Restaurant Yo Chef Surf and Turf Smokehouse und erzählt: „Der 15. September 1963 hat mein ganzes Leben beeinflusst – obwohl ich meine Schwester nie kennengelernt habe.“ Lisa McNair wurde ein Jahr nach dem Attentat geboren, besuchte als eines der ersten schwarzen Kinder Birminghams rein weiße Schule, ging durch einige Identitätskrisen und arbeitet heute als Rednerin.

Sie bleibt erstaunlich unterhaltsam, wenn sie über das schwere Thema spricht. Damit baut sie Barrieren bei ihrem Publikum ab, ermuntert dazu, Fragen zu stellen und öffnet so den Raum für Gespräche. Ihren Humor nutzt sie oft und gern – auch als Waffe gegen die Verantwortlichen.

Aber manchmal wird aus Humor Empörung – zum Beispiel wenn es um das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung von Alabama geht, den Unterricht von divisive history zu verbieten, also allen Stoffen, die als „spaltend“ interpretiert werden können.

„Wenn das durchkommt, können Geschichten wie meine nicht mehr erzählt werden“, sagt Lisa McNair und berichtet, dass bereits einer ihrer Auftritte in einer öffentlichen Schule abgesagt worden sei, weil sie critical race theory verbreite. „Was für ein Quatsch, das ist keine critical race theory, das ist amerikanische Geschichte! Und wer die Geschichte nicht kennt, wiederholt sie“.

Die Reise wurde teilfinanziert vom Alabama Tourism Department

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