Rassistische Wissenschaft: Der Schreck sitzt in den Knochen
Für die Erforschung der menschlichen „Rassen“ brachten Sammler einst Tausende Gebeine aus den Kolonien nach Berlin. Um den Umgang damit wird heute hart gerungen.
Ein besonders brisantes Erbstück der Kolonialzeit lagert in einem Depot in Friedrichshagen. Hier werden die Gebeine von etwa 10.000 Menschen konserviert. Diese „Human Remains“, so der Fachausdruck, sammelten Wissenschaftler, Kaufleute, Abenteurer im 19. und frühen 20. Jahrhundert in allen Teilen der Welt. Interessiert waren vor allem Forscher, die den in Mode gekommenen „Rassen“ auf der Spur waren.
Auch die damals neuen Völkerkundemuseen in Europa hatte die Sammelwut gepackt. So bat etwa der Leiter der Afrika- und Ozeanien-Abteilung des Berliner Völkerkundemuseums, Felix von Luschan, 1908 einen Sammler gleich um „größere Serien von Schädeln“. Um die Nachfrage zu stillen, gingen die Sammler oft skrupellos vor: Sie plünderten Gräber, bezahlten Auftragsmörder, beschafften Köpfe von Hingerichteten. In den meisten Fällen ist die Herkunft der Knochen jedoch nicht bekannt.
Heute fordern immer mehr Herkunftsgesellschaften die Herausgabe der Gebeine ihrer Vorfahren: Man will sie würdig bestatten, in eigenen Museen ausstellen – auf jeden Fall selbst über sie bestimmen. Namibia, Australien und Paraguay haben bereits einiges aus Berlin zurückbekommen. Dennoch werfen Organisationen wie No Humboldt 21 und der Verein Berlin Postkolonial den Verantwortlichen vor, die Bestände nicht transparent zu machen und ihre Rückgabe nicht offensiv anzubieten.
Das Komitee zur Errichtung eines afrikanischen Denkmals (KADIB) veranstaltet am Samstag, 22. Februar 2014, einen Gedenkmarsch, um seiner Forderung nach einem würdigen Erinnerungsort für die afrikanischen Opfer von Sklaverei, Kolonialismus und rassistischer Gewalt Nachdruck zu verleihen. Seit acht Jahren findet dieser Marsch am letzten Februarwochenende statt: Am 26. Februar 1885 endete die Berliner Afrika-Konferenz, auf der die europäischen Kolonialmächte den Kontinent untereinander aufteilten.
Der Gedenkmarsch startet um 11.30 Uhr am U-Bahnhof Mohrenstraße. Die Straße wurde vor rund 300 Jahren nach den ersten schwarzen Sklavenkindern benannt, die dort lebten und in Berlin als "Hof- und Kammermohren" arbeiten mussten. Die schwarze Community Berlins fordert seit Jahren die Umbenennung in Nelson-Mandela-Straße. In der Wilhelmstraße, wo die Afrika-Konferenz stattfand, soll ein Kranz niedergelegt werden. Anschließend geht es über das Holocaust-Mahnmal zum Potsdamer Platz. (sum)
Die Trägerin der Berliner Museen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), ist in der Sache nicht sehr gesprächig. Im Dezember baten das Tansania-Netzwerk und Berlin Postkolonial die SPK um Aufklärung über menschliche Überreste aus Tansania im Besitz der Museen. Die Antwort: In den Sammlungen „befinden sich keine menschlichen Reste aus Tansania“.
Kenner der Materie hat die Antwort überrascht. „Natürlich hat Berlin Knochen aus Ostafrika“, sagt etwa der Sozialwissenschaftler Heiko Wegmann. Mindestens die mehr als 1.000 Schädel der Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg 1907/08 nach Deutsch-Ostafrika – heute Ruanda, Burundi und Tansania – seien in den Berliner Beständen. Wegmann berichtet, aus den Aufzeichnungen des Anthropologen Jan Czekanowski von dieser Expedition gehe hervor, dass die Schädel teilweise bei Grabschändungen gesammelt wurden. „Die Sammlung ist auf jeden Fall ethisch problematisch“, so Wegmanns Urteil.
Wer ist zuständig?
Die Frage bleibt: Wer ist für die Rückgabe zuständig? Die Mecklenburg-Schädel sind Teil der Sammlung des ehemaligen Völkerkundemuseums, die Knochen von rund 6.000 Menschen umfasst. Die übernahm 2004 das Medizinhistorische Museum der Charité. Daneben gibt es noch die Sammlung des berühmten Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow für die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU). Beide Sammlungen wurden bis 2011 in der Charité aufbewahrt, dann kamen sie ins Friedrichshagener Depot der SPK. Die Charité behielt Gebeine von etwa 250 Menschen aus Namibia und Australien, zu denen es bereits Rückgabeforderungen gab. Um ihre Herkunft festzustellen, wurden diese Schädel und Knochen und die Umstände ihrer Beschaffung im Human Remains Project über drei Jahre erforscht. In den kommenden Monaten sollen sie zurückgegeben werden. Die anderen Gebeine aus der Charité wechselten den Besitzer – und gingen nach taz-Informationen per Schenkung an die SPK.
Dort heißt es, man „verwalte“ die Sammlung nur und suche nach einer anderen „Einrichtung“, die sie künftig betreuen soll. Kritiker befürchten, dass damit die private BGAEU gemeint ist – so wären Bund und Land, denen die SPK gehört, ihre Verantwortung für das schwierige Erbe los. Gegenüber der taz mochten SPK und BGAEU solche Gespräche nicht kommentieren.
Der Vorsitzende der BGAEU und Leiter des Fachreferates Südsee und Australien im Ethnologischen Museum, Markus Schindlbeck, warnt vor einer pauschalen Verurteilung der Sammlungen. Grabschändungen oder Auftragsmorde, um an Knochen zu kommen, habe es zwar gegeben, „aber das war nicht der Regelfall“. Manche Ethnien hätten mit den Sammlern zusammengearbeitet und Schädel eingetauscht, andere hätten sich dem verweigert. „Man darf die indigene Seite nicht pauschal als Opfer darstellen“, betont er.
Wer hat die Bringschuld?
Gegen eine vorschnelle Abgabe ist auch die Anthropologin Barbara Teßmann, die die Sammlung der BGAEU in Friedrichshagen betreut. Bislang seien die Gebeine kaum erforscht, viele Museen oder Sammlungen seien aus Personalmangel noch nicht dazu gekommen. Die meisten Knochen seien bis vor Kurzem in ihrer Originalverpackung des einstigen Sammlers oder in Zeitungen aus den 1940er Jahren verpackt gewesen. Für die Wissenschaft seien sie aber heute sehr wichtig: „Es gibt Anfragen von Alzheimerforschern aus den USA“, andere suchten in den Gebeinen nach Ursachen für Krankheitsresistenzen. Dazu kämen historische Forschungen etwa zu den Ernährungsgewohnheiten einer Gruppe.
Markus Schindlbeck plädiert für die sorgsame Begutachtung jedes Einzelstücks, um herauszufinden, ob es in einem „Unrechtskontext“ beschafft wurde – und zurückgegeben werden müsste. So sieht es auch der Deutsche Museumsbund in seiner Empfehlung zum Umgang mit menschlichen Gebeinen vor, die Schindlbeck mitformuliert hat.
Christian Kopp, Vorstandsmitglied von Berlin Postkolonial, ist das zu wenig. Die Museen müssten aktiv werden, dazu seien sie laut den „Ethischen Richtlinien für Museen“ des International Council of Museums verpflichtet. „Außerdem wissen die Herkunftsländer ja meist gar nicht, wo genau die Sachen liegen und wo sie anfragen sollen.“
Auch die Museen seien damit überfordert, die Erwerbsumstände aller Objekte zu überprüfen, sagt Thomas Schnalke, Leiter des Human Remains Project. Er schlägt vor, eine ständige Arbeitsgruppe einzurichten, die Anfragen bearbeiten und „auch proaktiv wirken könnte“. Die Idee ist nicht neu: Die SPK hat bereits eine Stelle zur Provenienzforschung – für geraubte Kunst.
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