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„Rassismus war alltäglich, nur die Gewalt störte“

Die so genannten „Baseballschlägerjahre“ waren kein reines Ostphänomen, sagt Felix Krebs. Er hat ein Buch über rechte Gewalt in den 1980ern in Hamburg geschrieben

Skinhead mit Baseballschläger in der Wanderausstellung „Die Braune Falle“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz 2004 in Schwerin Foto: Jens Büttner/dpa

Interview Andreas Speit

taz: Herr Krebs, ist Ihr Buch eine Anklage?

Felix Krebs: Ja, es ist auch eine Anklage gegen den schon damals rassistisch geführten Diskurs um Einwanderung, Asyl und Abwehr von gleichen Rechten für migrierte Menschen. Dieser Diskurs aus den 1970er und 1980er Jahren ist mitverantwortlich für die Explosion der damaligen rechten Gewalt.

taz: Das Cover stammt aus der taz und ziert eine Karikatur: Zwei Skinheads, links und rechts im Arm eines Anwaltes, der feststellt, dass die „‚Jungs‘ (…) einfach jeden erschlagen“ würden …

Krebs: Es kritisiert die verharmlosende Arbeit der Staatsanwaltschaft im Mordfall Avcı. Der Rassismus wurde nicht als Problem erfasst, denn er war auch in der Mehrheitsgesellschaft alltäglich. Nur die Gewalt störte. Der damalige Leiter der politischen Polizei hatte sowohl im Mordfall Mehmet Kaymakçı Rassismus ausgeschlossen als auch im Mordfall Ramazan Avcı. Und der damalige Polizeipräsident konstatierte nach Avcıs Tod: „Das Opfer hätte genauso gut ein Deutscher sein können.“

Krebs: Warum schreiben Sie, dass Rechtsextremisten in den Jahren von 1980 bis 1989 „mindestens“ acht Menschen an der Elbe ermordeten?

Krebs: Es gab damals keine statistische Erfassung. Erst ab 2001 erfolgt eine einheitliche polizeiliche Erfassung der „Politisch motivierten Kriminalität rechts“ (PMK rechts). Viele rassistische Delikte wurden nicht als rechts klassifiziert, weil entweder eine eindeutige Bekennung fehlte oder die Täter nicht in einer rechtsextremistischen Organisation waren. Weitere Todesopfer sind nicht auszuschließen.

taz: Sie gehen von mindestens 13 Bomben- und Brandanschlägen und 60 vollendeten Körperverletzungen aus.

Krebs: Auch hier gilt: Weitere Anschläge und Übergriffe sind wahrscheinlich. Unsere Auswertung stützt sich auf Zeitungsberichte, die auf Polizeiberichten beruhen dürften. Der institutionelle Rassismus könnte allerdings verhindert haben, dass es überhaupt eine Meldung gab.

taz: Wer waren die Ermordeten und Betroffenen?

Krebs: Zwei Vietnamesen, Nguyen Ngoc Châu und Đo Anh Lân, die 1980 bei einem rechtsterroristischen Brandanschlag ums Leben kamen. Tevfik Gürel, der 1982 in Norderstedt unter rassistischen Rufen zusammengeschlagen wurde und später starb. Der Fussball-Fan Adrian Maleika, der 1982 von rechten Fußballfans getötet wurde. Mehmet Kaymakçı, der 1985 mit einer 100 Kilogramm schweren Steinplatte umgebracht wurde. Avcı, der im Dezember 1985 von Skins der Nazi-Gruppe „Lohbrügge Army“ erschlagen wurde. Ein Zeitungsbote, der von einen NS-verherrlichendem Skinhead erstochen wurde. Auch den homophob motivierten Mord an Johannes Bügner müssen wir hier einordnen, 1981 ermordeten ihn seine eigenen Kameraden.

taz: Eine Zäsur machen Sie beim Mord von Avcı aus?

Felix Krebs/Florian Schubert:

„Hamburgs ‚Baseball­schlägerjahre‘. Rechte und rassistische Gewalt in den 1980er-Jahren: gesellschaftliche Bedingungen und staatliche Reaktionen“, VSA Verlag, 168 S., 14.80 Euro

Mit den Baseballschlägerjahren in einer brandenburgischen Kleinstadt befasst sich das Theaterstück „Als ich mit Hitler Schnappskirschen aß“ im Theater Kiel: 6./.7./12./15./29. 6. sowie 9. 7. Derzeit sind alle Aufführungen ausverkauft

Krebs: Der Mord war eine Bestätigung, dass rassistische Morde keine Einzelfälle waren. Die Täter waren teilweise einschlägig vorbestraft. Aber auch der Umstand, dass Avcı an Heiligabend starb, eine hochschwangere Frau hinterließ und er am Tag des Überfalls ein Kinderbett kaufen wollte, haben sicherlich zu stärkeren emotionalen Reaktionen geführt.

taz: Ein oft verschwiegenes Thema verschweigen Sie nicht: Der militante Selbstschutz von Migranten?

Krebs: Verschiedene migrantische Jugendgruppen oder Street-Gangs mussten sich der ständigen rechten Überfälle erwehren. Die bekanntesten waren die „Champs“, die „Bombers“, die „Red Cops“ oder verschiedene „Türken-Boys“, die sich nach Stadtteilen benannten. Ihr Beitrag an der Zurückdrängung des rechten Straßenterrors wird auch von der weiß-deutschen Antifa unterschätzt.

taz: Diese Militanz sah auch die Hafenstraße geboten?

Felix Krebs publiziert seit 30 Jahren zur extremen Rechten mit Schwerpunkt Hamburg. Er ist seit langer Zeit im Hamburger Bündnis gegen Rechts aktiv.

Krebs: Beim Heimspiel des HSV musste die Hafenstraße oft mit einem Überfall von rechten Fans und Hooligans rechnen. Sie waren bewaffnet und konnten nur bewaffnet zurückgedrängt werden. Ich habe dies 1988 bei einer Straßenschlacht erlebt und den Eindruck gewonnen, dass die Polizei die Rechten gerne mal gewähren ließ.

taz: Wie sehr reicht die Geschichte in die Gegenwart?

Krebs: Außer beim rassistischen Diskurs? In der Gegenwart haben wir nicht bloß beim NSU eine V-Personen-Problematik. V-Leute, die für den Verfassungsschutz oder den Staatsschutz arbeiteten, beeinflussten damals den Umgang mit der Szene – wie wohl heute auch. Ein V-Mann soll damals der Wirt der Skin-Kneipe „Gerstenkrug“ gewesen sein, in der die Mörder Avcıs verkehrten. Erst vor zwei Jahren wurde in einer Großen Anfrage zur Vorgeschichte des NSU-Komplexes nachgefragt. Der Geheimdienst schweigt bis heute. Und ohne Parlamentarischen Untersuchungsausschuss dürfte das Schweigen bleiben.

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