Rassismus in der Premier League: „Ich bin total alleine“
Der Rassismus habe gewonnen. So lautet das resignierte Fazit von Chelsea-Verteidiger Antonio Rüdiger nach dem Londoner Derby gegen die Spurs.
Die Abneigung, die Antiono Rüdiger, dem deutschen Nationalspieler in Diensten des FC Chelsea, am Wochenende beim 2:1-Heimsieg gegen Tottenham Hotspur aus dem Gästeblock entgegenschlug, war nicht zu überhören. Und der Berliner Rüdiger, dessen Mutter aus Sierra Leone stammt, fand dafür nach der Partie klare Worte. Die Buhrufe seien ein Zeichen dafür, „dass wir ein sehr großes Problem haben“. Und zwar dieses: „Der Rassismus hat gewonnen.“
Um diese erschütternde Bestandsaufnahme vor dem Champions-League-Heimspiel gegen Bayern München am Dienstagabend zu verstehen, muss man zurückschauen auf das Hinspiel der Londoner Rivalen kurz vor Weihnachten (2:0 für Chelsea). Nach einer Tätlichkeit gegen Rüdiger sah Tottenhams Offensivmann Heung-min Son die Rote Karte. Einige Spurs-Fans nahmen das zum Anlass, den Chelsea-Verteidiger rassistisch zu verhöhnen, das jedenfalls war Rüdigers Wahrnehmung und wurde von seinem Mitspieler und Kapitän César Azpilicueta bestätigt. Gastgeber Tottenham und die Londoner Polizei dagegen konnten keine Beweise dafür finden trotz aller Bemühungen wie der Klub angab.
Die Buhrufe, die Rüdiger am Wochenende ertragen musste, deutete er als Vergeltung der Tottenham-Fans für seine Vorwürfe. „Vielleicht liegt es daran, dass ich die Stimme gegen Rassismus erhoben habe. Aber wenn man mich deshalb ausbuht, sind das einfach arme Leute.“
Der 26 Jahre alte Innenverteidiger gab nach der Partie gegen Tottenham einen offenen Einblick in das Seelenleben schwarzer Fußballer, die sich mit Rassismus konfrontiert sehen. In einem Gespräch mit ausschließlich weißen Journalisten, wie der Guardian notierte, sagte Rüdiger, der am Donnerstag zum ersten Mal Vater wurde: „Ich möchte niemanden beleidigen, aber ihr werdet nie verstehen, was mir oder anderen schwarzen Spielern in diesem Moment durch den Kopf geht. Ich bin alleine. Ich bin total alleine.“
Wehrhafte Spielergeneration
Weil seine Vorwürfe nach dem Hinspiel nicht verifiziert werden konnten, ist der Fall kompliziert. Trotzdem zeigen Rüdigers Aussagen, dass noch viel getan werden muss, damit Fußballer ihrer Arbeit nachgehen können, ohne Diskriminierung wegen ihrer Hautfarbe fürchten zu müssen. Dabei sind Vereine und die Öffentlichkeit in England seit einer Weile sensibel für das Thema. Ausgangspunkt dafür war der Rassismus gegen Raheem Sterling von Manchester City im Dezember 2018 bei einem Spiel bei Chelsea, worauf hin der englische Nationalstürmer ein bemerkenswertes Statement in den sozialen Medien verfasste.
Nach den Länderspielen der Engländer in Montenegro und Bulgarien, bei denen es massive Anfeindungen gegen schwarze Spieler des Teams gab, stand die englische Fußball-Nation geschlossen hinter der Mannschaft und lobte die neue Spielergeneration dafür, sich zur Wehr zu setzen.
Im Alltag in der Premier League wird zunehmend konsequent gehandelt, wenn es zu diskriminierenden Beleidigungen von den Rängen kommt. So geschehen unter anderem beim Manchester-Derby im Dezember, als ein City-Fan nach Affen-Gesten umgehend festgenommen wurde.
Dass Rüdiger mit seiner Diagnose zum Kampf gegen Rassismus an die Öffentlichkeit tritt, ist vielleicht auch Ausdruck seines gestiegenen Stellenwerts beim FC Chelsea. In der Mannschaft von Trainer-Neuling Frank Lampard zählt er zu den verlässlichen Kräften, obwohl er nach sieben Monaten Verletzungspause erst Mitte Dezember in den Spielbetrieb zurückkehrte.
Dabei hat Chelseas Abwehrchef keinen einfachen Job. Wegen einer Transfer-Sperre der Fifa ist der Kader des Tabellenvierten mit vielen jungen Spielern besetzt. Der nach vorne gewandte Spielstil macht die Mannschaft anfällig für Gegenstöße. Das mäßig verteidigende Mittelfeld erschwert Rüdiger und seinen Nebenmännern die Arbeit. Hinter der Abwehr hat Trainer Frank Lampard gerade Torwart Kepa Arrizabalaga, den teuersten Vertreter seines Fachs, wegen schwacher Leistungen gegen Willy Caballero, 38, ausgetauscht, der ebenfalls Unsicherheiten zeigt.
Keine idealen Bedingungen, aber sie gehören anders als rassistische Beleidigungen zum Fußball dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?